IFA

Digital-TV, der gläserne Zuschauer und die TV-Grundverschlüsselung

Der Chef der entavio-Plattform von Astra, Wilfried Urner, hat auf einem Symposium zum Schutz der Privatsphäre beim digitalen Fernsehen die umstrittene TV-Kryptierung als bestes Mittel gegen den gläsernen Zuschauer bezeichnet.

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Der Chef der entavio-Satellitenplattform von Astra, Wilfried Urner, hat auf einem Symposium (PDF-Datei) zum Schutz der Privatsphäre beim digitalen Fernsehen am Rande der IFA die umstrittene Kryptierung von TV-Signalen als bestes Mittel gegen den gläsernen Zuschauer bezeichnet. "Je mehr verschlüsselt wird, desto weniger Nutzungsdaten fallen an", sagte der Vorsitzende der Geschäftsführung der Firma APS (Astra Platform Services). Datenschützer müssten daher im Prinzip Verfechter der Grundverschlüsselung sein, die sein Haus für entavio lange verfolgte, schließlich aber nach Protesten von vielen Seiten wieder abblies. Eine personalisierte Smartcard zur Freischaltung sei bei dem korrigierten Geschäftsmodell nur noch beim Bestellen von interaktiven Zusatzangeboten und Pay-TV erforderlich.

Bei der internationalen Fachtagung debattierten Experten über einen befürchteten Paradigmenwechsel bei der Kontrolle des Fernsehkonsums. Bei der bis vor einigen Jahren üblichen und vom Großteil der Bundesbürger genutzten analogen terrestrischen Ausstrahlung von Fernsehsignalen konnte nicht nachvollzogen werden, wer wann welche Sendungen sieht. Eine digitalisierte Satelliten- und Kabel-TV-Infrastruktur ermöglicht dagegen erstmals technisch die genaue Registrierung des individuellen Mediennutzungsverhaltens. Auch die zunehmende Individualisierung von Angeboten etwa durch Spartenkanäle, Video-on-Demand oder Pay-per-View sowie die Nutzung neuer Vertriebswege wie IPTV und Handy-TV dürfte Datenschützern zufolge diesen Trend weiter verstärken. Neue Geschäftsmodelle könnten ihrer Ansicht nach dazu führen, dass immer mehr Anbieter individuell adressierbare Programmpakete auf den Markt bringen.

Urner wollte die Gefahren für die Privatsphäre nicht in dieser Weise sehen. Schon heute gebe es hierzulande keinen Haushalt, der anonym Fernsehen schaut, erinnerte er an die Anmeldepflicht bei der Gebühreneinzugszentrale (GEZ). Konkrete Nutzungsdaten seien aber höchstens für die Abrechnung von Video-on-Demand erforderlich, was einer Zusammenführung mit persönlichen Bestandsdaten der Kunden entgegenstehe.

Ähnlich äußerte sich Tobias Schmidt, Bereichsleiter Medienpolitik bei RTL Television. Die Gewährleistung eines freien Informationsflusses kann ihm zufolge zwar nicht bedeuten, dass Fernsehen umsonst zu bekommen sei. Angebote für die klassische Informationsvermittlung werden seiner Ansicht nach über kurz oder lang verschlüsselt sein und Geld kosten. Zugleich würden die Inhalteanbieter aber "in hohem Maß der Anonymisierung Rechnung tragen" und etwa Dienstleister für die Abrechnung zwischen sich und die Kunden schalten. Eine persönliche Beziehung mit eventueller Profilerstellung sei aber bei zusätzlichen Geschäftsmodellen wie Teleshopping angebracht. Je spezieller die Programm- und Interaktionswünsche seien, desto stärker sei auch der Personenbezug.

Ralf Heublein, Geschäftsführer des Deutschen Kabelverbands, erachtet es für die Infrastrukturanbieter als nötig, die Kunden zunächst zu identifizieren und Schwarznutzer künftig stärker auszuschließen. Es bestünde aber kein Interesse daran zu protokollieren, welche einzelnen Inhalte ein Zuschauer sieht. Dies sei ähnlich wie beim vielfach gleich mit angebotenen Internetzugang, wo bei einer Flatrate keine Nutzungsdaten vorgehalten würden. Ähnlich wie bei der von der Bundesregierung bereits beschlossenen Verpflichtung zur verdachtsunabhängigen Speicherung von Verbindungsdaten im Internetbereich sieht Heublein so höchstens die Gefahr, dass ein ähnlicher, inhaltsbezogener Aufbewahrungsauftrag von der Politik auch für die Netzbetreiber fürs Digital-TV ins Spiel gebracht werde. Ermittler könnten etwa wissen wollen, ob bei einem Verdächtigen zu einem bestimmten Zeitpunkt der Fernseher lief.

Robert Strzebkowski von der Technischen Fachhochschule Berlin verwies zudem auf technisch noch bestehende Probleme bei der Speicherung und Auswertung von Nutzerprofilen: "Wenn jemand zwei Stunden pro Tag guckt, sind das bei mehreren tausend Nutzern Terabyte an Daten." Solche Mengen seien rein logistisch derzeit kaum zu bewältigen. Unternehmen verlören aber auch das Vertrauen der Kunden schnell, wenn sie diese gläsern machen würden. Bisher könne der Nutzer Angebote beim IPTV weitgehend anonym konsumieren, es werde höchstens die IP-Adresse gespeichert. Auch zusätzliche Programmempfehlungen oder Verkaufsangebote könnten anhand von Nutzer-Clustern mit Pseudonymen angelegt werden.

Dennoch warnte Victor Car von der belgischen Datenschutzkommission, dass Anonymität eine Sache für Reiche im digitalen Fernsehen werden könnte. Wer "Free TV" wolle, könnte dagegen zur umfassenden Angabe persönlicher Daten gezwungen werden. Er rief die Anbieter auf, etwa anonyme Prepaid-Karten für den Fernsehkonsum zu verkaufen. Zudem müssten die Nutzer stärker auf die Gefahren des Verlusts ihrer Privatsphäre in digitalen Medien aufmerksam gemacht werden. Der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix erneuerte als Organisator der Konferenz die Forderung seiner Zunft, das im Grundgesetz verankerte Telekommunikationsgeheimnis zu einem allgemeinen Mediennutzungsgeheimnis auszuweiten. Das Recht auf unbeobachteten Medienkonsum müsse wesentlicher Bestandteil einer freiheitlich verfassten Gesellschaft bleiben.

Schmidt lenkte den Zeigefinger letztlich auf andere Akteure im Internetbereich, in deren Geschäftsmodellen Inhalte, Infrastruktur und Zusatzdienste viel stärker verschmelzen würden. "Wenn Sie sich Strukturen von Firmen wie Google angucken, potenziert sich die Gefährdung", gab der RTL-Vertreter zu bedenken. Dort kämen Information, Nutzung und Aufzeichnung viel stärker zusammen mit Werbung und individualisierten Inhalten. "Aus dieser Kombination entsteht eine Macht, die zu Missbrauch verleiten kann", sorgte sich Schmidt. Zumal die Portalinhaber auch darüber entscheiden würden, ob und wie Inhalteanbieter bei ihnen zu finden seien. Im Vergleich dazu sei das, was die TV-Sender machen, "Pille Palle". (Stefan Krempl) / (jk)