Österreichische Juristen für strenge Grenzen bei der Vorratsdatenspeicherung

Auf der Ars Electronica in Linz haben sich Richter und Rechtsexperten mit der Erosion der Privatheit beschäftigt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 16 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Monika Ermert

Gerichten sollten enge Grenzen beim Zugriff auf Daten gesetzt werden, die im Zuge der Vorratsdatenspeicherung künftig bei den Telekommunikationsprovidern aufbewahrt werden. Das haben österreichische Richter und Rechtsexperten auf der gestern in Linz gestarteten Ars Electronica gefordert. Die Teilnehmer beschäftigen sich dort bis Freitag auf Initiative des Grundrechteforums der Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter unter dem Titel "Goodbye Privacy" mit der Erosion der Privatheit. Vor einem Paradigmenwechsel im Grundrechtsverständnis warnte im Workshop zur österreichischen Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gestern die Wiener Strafrechtsexpertin Susanne Reindl-Krauskopf. "Bislang war der Grundrechtseingriff die Ausnahme. Mit der massenhaften Speicherung der Kommunikattionsdaten ohne Verdacht wird er zur Regel."

"Die Staatenvertreter verstehen sich offenbar wieder als Verteidiger der Sicherheit in einem umfassenden Sinn", meint Reindl-Krauskopf. Dieses Staatsverständnis aus vergangenen Jahrhunderten sei aufgegeben worden, weil die Bürger zugunsten einer eingeschränkten Staatsmacht auf die "totale Sicherheit" verzichtet hätten. Es sei aber müßig, das wieder ausgegrabene Verständnis als antiquiert abzutun. Bei der unumgänglichen Umsetzung der ungeliebten Richtlinie gelte es, im parlamentarischen Prozess einen Kompromiss zu finden. "Wir brauchen eine sachgerechte, maßhaltende und sinnvolle Abwägung. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung muss fortgeführt werden, auch wenn wir es mit neuen Phänomenen zu tun haben." Einen Aufschub schloss sie aus. Die Nichtigkeitsklage der irischen und slowakischen Regierung vom vorigen Jahr weise auf kein so gravierendes Problem, Bedenken zur Vereinbarkeit der Europäischen Menschenrechtscharta hätten in erster Linie direkt gegen die Richtlinie vorgebracht werden müssen. Wichtig sei es auf lange Sicht darauf zu achten, die Demokratie nicht zu unterhöhlen.

Nach Meinung von Klaus Steinmaurer, Leiter der Rechtsabteilung der T-Mobile Austria in Wien, nützt die Vorratsdatenspeicherung zwar nicht, könne aber langfristig schaden. Als besonders problematisch sieht er einen ausuferenden Zugriff des Staates, aber auch möglichen Missbrauch. Für ihn sind "die sichersten Daten immer noch gelöschte Daten". Die Missbrauchsgefahr sei jeder Datenspeicherung immanent, auch wenn die Unternehmen sich um eine perfekte Absicherung der Daten bemühten.

Steinmaurer begrüßte die vom österreichischen Gesetzgeber offenbar angestrebte Mindestspeicherzeit, noch sei aber nicht klar, ob sein Unternehmen mehr speichern müsse als bisher. Aktuell speichert T-Mobile in Wien täglich 26 Millionen Datensätze. Statistische Auswertungen hätten ergeben, dass die Mehrzahl der von den Behörden angeforderten Daten innerhalb der ersten Monate komme, das Gros sogar im ersten Monat.

Die ebenfalls von vielen Richtern angesprochene Kostenfrage stand für Steinmaurer an zweiter Stelle, obwohl er sich durchaus schon darüber mit den Behörden gestritten hat. Eine Anforderung, alle Datensätze der fünf Sendestationen am Wörthersee über eine Woche zu liefern, hat ihm schon einmal den Vorwurf eingetragen, er wolle die Republik Österreich betrügen. "Ich habe vorher klar darauf hingewiesen, dass das teuer wird." Trotz des Mehraufwands für die Unternehmen lehnt Steinmaurer die Idee des Salzburger Richters ab, der Staat selbst müsse die gespeicherten Daten vorhalten. Die Unternehmen orientierten sich eher am Kundeninteresse.

Eine klare Begrenzung des Zugriffs auf die bevorrateten Daten forderte Reindl-Krauskopf vom österreichischen Gesetzgeber. Die aktuelle Definition einer schweren Straftat sei zu weit gefasst. Sie erlaube den Zugriff schon bei Straftaten, die mit einem Jahr Gefängnis bestraft werden. Außerdem hält sie eine klare Zweckbindung für zwingend: Jedweder Zweifel, ob man die Vorratsspeicherdaten auch für andere Zwecke nutzen könne, sei im Gesetz klar auszuräumen. Das Gesetz solle sehr klar feststellen, wer wann unter welchen Umständen und für wie lange ein Recht bekomme, auf die Daten zuzugreifen.

Gesetzliche Klarstellungen empfahlen Richter und Experten auch bei der Verwendung öffentlicher Registerdaten und bei der Videoüberwachung im privaten Bereich. Das österreichische Datenschutzgesetz sei im privaten Bereich von beunruhigender Unklarheit. Professor Ewald Wiederin von der Universität Salzburg, der den Workshop zur Videoüberwachung leitete, empfahl abschließend die Verankerung des Rechts auf Privatheit auch im Zivilrecht. Damit will sich auch Österreichs Datenschutzrat befassen.

Zur Ars Electronica siehe auch:

(Monika Ermert) / (anw)