EU-Lobby: Open Source bedroht das Software-Ökosystem

Die "Initiative for Software Choice" schießt in einem Brief an die EU-Kommission scharf gegen eine stärkere Unterstützung für freie Software. Sie will die Wahl von Lizenzen und Entwicklungsformen dem Markt überlassen wissen.

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Die "Initiative for Software Choice" (ISC) schießt in einem Brief an die EU-Kommission scharf gegen eine stärkere staatliche Unterstützung für freie Software. Die noch vergleichsweise junge Lobbyvereinigung, zu deren über 280 Unterstützern Konzerne und Verbände wie Microsoft, der Bundesverband der Digitalen Wirtschaft, EDS oder CompTIA zählen, will die Wahl von Lizenzen und Entwicklungsformen dem Markt überlassen wissen und schlägt daher teils dramatische Töne an. Jede Förderung von offenen Standards gemäß dem Open-Source-Prinzip "würde das gesamte Software-Ökosystem signifikant zum Erliegen bringen", heißt es in dem heise online vorliegenden Schreiben. Auf Basis des Modells der freien und Open-Source-Software seien zwar zahlreiche Produkte hoher Qualität entstanden. Man dürfe deswegen aber nicht zu der Annahme kommen, dass dieses Entwicklungsmuster allein selig machend sei.

Konkret wendet sich der Autor des an die Industriekommission gerichteten Briefs, Hugo Lueders, gegen den noch unveröffentlichten Entwurf einer EU-Studie zum ökonomischen Einfluss freier Software auf die Innovation und den Sektor für Informations- und Kommunikationstechnologien. Darin wird laut Lueders dargelegt, dass Ende 2005 bereits 40 Prozent aller europäischen Firmen Open Source einsetzen und Europa den Rest der Welt beim Markanteil der Nutzer und Entwickler freier Software anführe. Trotz des Erfolgs des alternativen Modells für die Erzeugung und den Vertrieb von Computerprogrammen schlage die Studie Steuerbegünstigungen für die Open-Source-Entwicklung vor, empört sich Lueders über die seiner Ansicht nach "extreme" Ausrichtung der umfassenden Analyse. Das würde nicht nur den Markt "auseinander reißen", beklagt der auch für die CompTIA arbeitende und für seine Unterstützung von Softwarepatenten bekannte Lobbyist. Darüber hinaus könne dann jeder Geld vom Staat beziehen, der ohne weitere Qualitätsprüfung freien Quellcode bei der Open-Source-Gemeinde "deponiere".

Lueders verweist weiter darauf, dass gemäß dem Report mehr als die Hälfte der Open-Source-Entwickler bereits Einkommen mit ihrer Arbeit an frei verfügbaren Programmen verdienen würden. Der Markt selbst würde sie also bereits entlohnen. Umso unverständlicher sei es, dass der Entwurf der Studie die Entwicklung freier Software als "wohltätige Spende an die Gesellschaft" verstanden wissen wolle. Andere Lizenzvarianten für staatlich geförderte Forschung und Entwicklung wie das "Bayh-Dole-Modell" aus den USA würden den begünstigten Firmen mehr Alternativen lassen, wie sie ihre Innovationen vermarkten wollen. Trotzdem würde so der Technologietransfer beschleunigt; auch den Interessen der Gesellschaft würde Genüge getan.

Generell zeigt sich die ISC besorgt, dass der Report die Errungenschaften anderer Formen der Softwarelizenzierung und andere Geschäftsmodelle nicht ausreichend berücksichtige. Diese würden allein negativ beschrieben etwa in der Form, dass sie der Open-Source-Szene "Kopfschmerzen" bereiten würden. Eine wissenschaftliche Ausgeglichenheit sei der Studie daher abzusprechen. Sie erscheine mehr ein "Marketingdokument" darzustellen als eine seriöse Marktumschau rund um diese "zunehmend komplexe und dynamische Materie". Fatal wäre es, betont Lueders, wenn das gegenwärtige System geistiger Eigentumsrechte durch eine stärkere Weichenstellung hin zu freier Software "unterminiert" werde. Vor allem dürften Standards rund um Patentrechte, die nicht dem so genannten RAND-Modell ("reasonable and non-discriminatory") entsprechen, nicht zur Regel werden. Gleichzeitig schreibt Lueders aber, dass letztlich auch das Open-Source-Modell von "starken geistigen Eigentumsrechten" abhänge.

Der Streit um die Lizenzierung von Standards spielt auch bei der wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzung zwischen der EU-Kommission und Microsoft eine wichtige Rolle. Der Softwaregigant muss gemäß der Auflagen der Brüsseler Behörde Kommunikationsprotokolle für Windows Dritten zur Verfügung stellen, tut dies bislang aber nur anhand der vergleichsweise restriktiven RAND-Bedingungen. Praktisch bedeutet das auch, dass die zur Verfügung gestellten Schnittstelleninformationen nicht in konkurrierenden Open-Source-Projekten wie Samba eingesetzt werden können. Firmen, die mit freier Software arbeiten, sowie Verbände wie die Free Software Foundation Europe wollen Microsoft daher gemeinsam mit der Kommission zu einer Lizenzierung unter offeneren Bedingungen bewegen.

Volksvertreter und einzelne Parteien fordern immer wieder eine breitere staatliche Unterstützung freier Software, um die Monopolstrukturen der Redmonder etwa im Desktop-Markt aufzubrechen und sich selbst verstärkende Netzwerkeffekte bei der Nutzung einzelner dominanter Softwareprodukte zu lockern. Zuletzt hatte sich im Juli das EU-Parlament geschlossen in einem Entschließungsantrag für eine stärkere Förderung von Lizenzen aus der freien Softwarewelt wie der GNU General Public License (GPL) und der Public Documentation Licence (PDL) ausgesprochen. Konkret betonten die Abgeordneten, dass ein "nutzerfreundliches System des geistigen Eigentumsschutzes" in der Wissensgesellschaft geschaffen werden soll. Urheber-, Marken- oder Patentrechte dürften nicht den freien Zugang zu öffentlichen Gütern und öffentlichem Wissen behindern. (Stefan Krempl) / (jk)