Ein Internet "des Volkes, durch das Volk und für das Volk"

Wie Straßen und Wasser sei auch die Versorgung mit breitbandigem Internet künftig eine Grundaufgabe von Stadtverwaltungen zur Daseinsvorsorge, meinte der Direktor des Instituts für Informationsindustrie der Pekinger Universität für Telekommunikation.

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Von
  • Wolfgang Kleinwächter

In weniger als fünf Jahren wird jeder Bewohner Pekings freien drahtlosen Zugang zum breitbandigen Internet haben. Dies prophezeite Kai-Li Kan, Direktor des Instituts für Informationsindustrie der Pekinger Universität für Post und Telekommunikation auf der 2. Konferenz "Zugang zu Wissen" (A2K2) der Yale University in New Haven. Das vor kurzem gestartete Projekt "Wireless Peking Commune" (WBC) ziele darauf, aus der 15-Millionen-Metropole eine "Wireless City" zu machen. Demnach werden zunächst 3000 Zugangspunkte auf der Basis des WLAN-Standards 802.11g mit 54 MBit/s am Access-Point eingerichtet.

Bis zu den Olympischen Spielen im kommenden Jahr soll die Zahl der institutionellen Mitglieder des WBC-Projekts auf 10.000 steigen, die der individuellen gar auf 100.000. Damit werde eine kritische Masse erreicht, die dann zu einer "Explosion" führe, sagte Kan. Praktisch habe dann jeder Einwohner Pekings – ob zu Hause, im Büro, im Café oder im Park – freien und kostenlosen Zugang zum Internet. Unter Anspielung auf die Gettysburger Rede des US-Präsidenten Abraham Lincolns am Ende des Bürgerkrieges in den Vereinigten Staaten im Jahre 1863 sagte Kan, dass das die Welt ein Internet "des Volkes, durch das Volk und für das Volk" brauche und mit diesem Projekt auch bekäme.

Projekte, ganze Städte in eine WLAN-Zone zu verwandeln, sind nicht neu. Google hat bereits die Kleinstadt Mountain View, den Sitz seines Hauptquartiers im Silicon Valley, "freigeschaltet" und arbeitet gegenwärtig daran, aus ganz San Francisco ein "Wireless City" zu machen. Nach Kan gab es Ende des vergangenen Jahres weltweit etwa 40 Städte, die man "Wireless Cities" nennen könne. Diese Zahl werde bis 2008 auf über 400 steigen, verursacht vor allen durch Entwicklungen in der asiatisch-pazifischen Region. Neben Peking hätten etwa Singapur, Hongkong und Taipeh ähnliche Pläne, die vorwiegend von den lokalen Stadtverwaltungen vorangetrieben würden.

Wie Straßen, Wasser, Strom und Gas sei auch die Versorgung mit breitbandigem Internet zukünftig eine Grundaufgabe von lokalen Verwaltungen zur Daseinsvorsorge. In Peking plane man, jedermann auch kostenfrei Zugang zu gewähren. "Das Internet wird wie frische Luft. Fenster auf und einatmen. Kostet nichts", sagte Kan. Vor allem die chinesischen Mobilfunkbetreiber gerieten bei dieser Entwicklung in große Bedrängnis. Ihre Chance bestünde, meinte Kan, jedoch darin, innovative Dienste zu entwickeln, für die sie dann kassieren können. Den Rest würde der Markt richten.

Eine ähnliche Entwicklung sah Sasha Jha, Co-Chair des World IT Forum (WITFOR), für Indien voraus. "Breitband für alle" im Jahr 2010 sei für Indien sehr realistisch. Man habe zwar weder Wasser noch Energie noch Bildung und schon gar nicht Gesundheit für alle, sagte der Inder, aber Breitband für alle werde schneller kommen, als man sich das heute noch vorstellen könne. Der Beginn dieser Entwicklung sei zunächst sehr zäh und langwierig gewesen, wenn aber einmal die kritische Masse erreicht sei, gebe es auch in Indien eine "Explosion". Hauptproblem sei, dass die politischen Institutionen und Instrumente nicht mehr mit dem Tempo der technischen Entwicklung mitkämen und zum Hemmschuh würden. Nach Ansicht von Jha denkt die Regierung noch in Telekommunikationskategorien. Auch Geschäftsmodelle würden noch darauf basieren und nach "Quantität" ("distance and duration") abrechnen. Das Internet sei aber kein Telefon; eine solche politische und wirtschaftliche Strategie werde schon mittelfristig kollabieren. Die Regierung solle sich am besten überhaupt nicht in die Auswahl von Technologien und ihre Anwendung einmischen.

Für Lateinamerika sei ein ähnlicher Trend absehbar, jedoch nicht in der für China und Indien erwarteten explosiven Art, erklärte Carlo Preira, Professor für internationale Kommunikation an der Sao Paulo Law School. WLAN und Wimax seien relativ billig – im Vergleich zu traditionellen Techniken – implementierbar und lösten vor allem das Problem der "letzten Meile". WLAN und Wimax benötigten aber noch immer ein breitbandiges Backbone-Netz, einen regulativen Rahmen, komplexe Partnerschaften und ein funktionierendes Geschäftsmodell. Hier klemme es noch, jedenfalls in Brasilien. Immerhin habe Brasilien seine "Explosion" im Mobilfunkbereich in den letzten zwei Jahren bereits erlebt. Es gebe jetzt 120 Millionen Mobilfunknutzer im Land, einhundert Mal mehr als vor vier Jahren. Brasilien hat 180 Millionen Einwohner.

In Afrika, kommentierte Willie Curie von der Association for Progressive Communication (APC), klaffe gegenwärtig vor allem die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen den vorhandenen Möglichkeiten und der Fähigkeit, diese auch zu nutzen. Prinzipiell sind Afrikas Chance für ein so genanntes "Leapfrogging" – das Überspringen einer ganzen Technologiegeneration – nicht schlechter als in Asien, sagte Currie. Große Pläne geraten jedoch immer wieder mit kleinen Streitereien zwischen den über 50 Mitgliedstaaten der "Afrikanischen Union" (AU) in Konflikt. Das Großprojekt EASSY – ein Unterwasserbreitbandkabel für die ostafrikanische Küste – komme zwar voran, aber das Anschlussprojekt, ein Backbone-Breitbandsystem für 23 Länder, bei dem man von den so genannten Landepunkten an der Küste dann ins Innere des Kontinents vordringen will, ist erheblich ins Trudeln geraten. Das bereits unterzeichnete Protokoll ist bislang nur von 12 der 23 betroffenen Staaten ratifiziert worden. Einige Länder wie Kenia planen daher jetzt Alleingänge, was wiederum dem gesamten Projekt eher schadet und neuen politischen Streit auslöst.

Der Versuch, das Pferd vom anderen Ende aufzuzäumen, also mit lokalen WLAN- und Wimax-Inseln einen Bedarf vor Ort zu schaffen, der dann wirtschaftlichen und politischen Druck auf das landgestützte Backbone-Projekt ausübt, kommt jedoch auch nicht wie gewünscht voran. Zwar seien die Ideen so genannter "Community Driven Networks" (CDN) und "Telecenters" weit verbreitet, ihre Implementierung stoße aber immer wieder auf häufig engstirnige nationale politische, regulative und ökonomische Hindernisse. Insbesondere fürchten jene Regierungen, die den Telekommunikationsmarkt noch nicht liberalisiert haben, um Einnahmeverluste aus dem bedrohten staatlichen Telekommunikationsmonopol.

Zur 2. Konferenz "Access to Knowledge" der Yale University siehe auch:

(Wolfgang Kleinwächter) / (jk)