Vollgas zurück?

Neue Quellen an Öl und Gas gefährden die globale Energiewende. Droht mit dem fossilen Boom das Aus für sparsame Schiffe, gedämmte Häuser und Elektroautos?

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Von
  • Jan Oliver Löfken

Neue Quellen an Öl und Gas gefährden die globale Energiewende. Droht mit dem fossilen Boom das Aus für sparsame Schiffe, gedämmte Häuser und Elektroautos?

Ganz Europa wird 2050 mit Ökostrom versorgt. Millionen von Elektroautos, Schnellzügen und Biosprit-Flugzeugen sichern die Mobilität. Viele Szenarien halten diese Zukunft für realistisch. Doch sie rückt in immer weitere Ferne. Die Ursache ist eine Energiewende der ganz anderen Art. Statt reihenweise Windräder wachsen derzeit Tausende von Bohrtürmen aus dem Boden – vor allem in den USA. Angezapft werden gigantische Vorkommen an Öl und Gas, die lange Zeit wegen zu hoher Kosten und unzureichender Technologie brachlagen. Förderraten steigen, Preise fallen. Damit sind zumindest jenseits des Atlantiks die erneuerbaren Energien ins Straucheln geraten. Schon wirkt sich der regionale Boom fossiler Energieträger kostensenkend auf den Weltenergiemarkt aus. Der russische Konzern Gazprom kündigte bereits an, noch in diesem Jahr eine Milliarde Euro an seine europäischen Großkunden zurückzuzahlen.

So steigt auch in Europa und Asien der Erfolgsdruck auf die Erzeuger grünen Stroms. Den Erneuerbaren droht im Energiewettlauf schon kurz nach einem vielversprechenden Start die Puste auszugehen. In Deutschland dürfte die heftige Debatte um den Preis der Energiewende andauern. „Die Erneuerbaren werden sich nicht so schnell entwickeln, wie sie sollten“, fürchtet Richard Miller, Geologe und führender Ölexperte beim renommierten Oil Depletion Analysis Centre in London. „Und das werden wir im Jahr 2020 sehr bereuen.“

Weltweit decken Wasser, Wind, Biomasse und Sonne gerade mal rund zwölf Prozent des Energiebedarfs, fossile Energieträger dagegen über 80. Dass die Kohlevorräte noch Jahrhunderte reichen werden, ist seit Langem klar. Wenn nun auch noch Öl und Gas weit länger zur Verfügung stehen als gedacht, hat das tiefgreifende Folgen: Spritschluckende Autos blieben ein Verkaufsschlager. Wind-, Wasser- oder Solarprojekte dagegen müssen um ihre Rendite bangen. Die für den Klimaschutz so wichtige Gebäudedämmung würde sich nicht mehr rechnen. Als Vorteil ließe immerhin der Preisdruck auf Grundnahrungsmittel wie Weizen, Mais oder Reis nach, weil Biosprit unrentabel und weniger Ackerfläche für Energiepflanzen genutzt würde. Dafür aber rückt selbst das pessimistischste Klimawandel-Szenario in den Bereich des Möglichen, weil der weltweite CO2-Ausstoß weiter zunimmt. So düster die Prognose ist, so wahrscheinlich erscheint derzeit ihr Eintreffen – obwohl der Eindruck an deutschen Tankstellen das Gegenteil nahelegt.

Wie groß diese Gefahr ist, zeigt die Geschichte des Schiefergases: In den USA boomt die Förderung aus gigantischen Reservoiren in Pennsylvania und Virginia, Montana oder Texas. Dicht an dicht stehen die Bohrtürme, mit denen bis heute Zehntausende Löcher bis in die gasführenden, teils einige Kilometer tiefen Schichten gebohrt wurden. Diese verlaufen nicht nur senkrecht nach unten, sondern können sich über weite Strecken auch waagerecht verzweigen. Um das gebundene Gas freizusetzen, pressen die Förderunternehmen unter Hochdruck pro Bohrloch etwa zehn Millionen Liter Wasser, angereichert mit Sand und einem teilweise giftigen Chemikalien-Cocktail, in die Tiefe (siehe TR 10/2010, S. 32). Ins Gestein werden dabei dauerhaft Spalten gerissen, durch die das Gas austritt und zur Oberfläche gespült werden kann. Die chemischen Zusätze sollen das Wasser zum einen verdicken, um möglichst effizient solche „Fracs“ zu erzeugen. Zum anderen dienen Additive wie Säuren, Antikorrosionsmittel und Biozide dazu, Verstopfungen und störenden Bewuchs zu vermeiden.

Gegen die Methode protestieren viele Bewohner in den Gasregionen, weil sie eine Verseuchung des Grundwassers, Erdbeben und unkontrollierte Methangas-Austritte befürchten. Als Reaktion suchen die Förderunternehmen nach einer wirksamen Additivmischung, die komplett ohne giftige Zusätze auskommen soll. Weiterbohren werden sie auf alle Fälle. Denn die Lagerstätten enthalten etwa 7,7 Billionen Kubikmeter Erdgas und bilden damit das weltweit fünftgrößte Vorkommen. Die Quelle ist zu verlockend, um Förderunternehmen wie Shell, Devon Energy oder ExxonMobil von der Ausbeutung abzuhalten. Allein in den vergangenen fünf Jahren ist die Förderung um fast 25 Prozent angestiegen, und sie wird weiter zunehmen. Der Lobbyorganisation „Potential Gas Committee“ zufolge könnte sich das Land noch hundert Jahre lang mit dem fossilen Brennstoff versorgen.

Als Folge sackte der US-Gaspreis von über 10 Dollar pro Maßeinheit (eine Million British Thermal Units, BTU) auf zeitweise unter zwei Dollar ab. Für Wind- und Solarenergie ist es mit heutigen Technologien unmöglich mitzuhalten. David Victor, Energieexperte an der University of California in San Diego, prophezeit: „Auf die Windkraft kommt ein regelrechtes Blutbad zu.“

Einen Vorteil hat der Gas-Boom allerdings: Er verdrängt auch die heimische und importierte Kohle aus den Kraftwerken. Das Erdklima profitiert, da die Gasverbrennung pro erzeugte Kilowattstunde weniger als die Hälfte an CO2 freisetzt. Aktuelle Zahlen der U.S. Energy Information Administration (EIA) belegen, dass der Kohlendioxid-Ausstoß der USA schon dieses Jahr mit knapp über fünf Milliarden Tonnen auf das Niveau von 1990 schrumpfen wird. Der Ausbau von Wind- und Solarkraftwerken, staatlich gefördert mit jährlich etwa 15 Milliarden Dollar, stützt diesen Wandel nur mit einem Anteil von weit unter zehn Prozent. Eine langfristige Beurteilung, was der Gas-Boom für den Klimawandel bedeutet, will Michael Greenstone, Ökonom am MIT, allerdings nicht abgeben: „Im Moment gibt es zwei Deutungen: Entweder ist der Gas-Boom eine ‚blaue Brücke‘ in eine grüne Zukunft, oder er bringt das Aus für Erneuerbare.“

(wst)