Experten befürchten neuen Ölboom

Mit neuen Fördertechniken können bislang unwirtschaftliche Öl- und Gasquellen ausgebeutet werden. Experten befürchten, dass ein neuer Boom fossiler Energieträger die globale Energiewende gefährdet.

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Mit neuen Fördertechniken können bislang unwirtschaftliche Öl- und Gasquellen ausgebeutet werden. Experten befürchten, dass ein neuer Boom fossiler Energieträger die globale Energiewende gefährdet. Das berichtet Technology Review in seiner neuen Ausgabe 11/2012 (ab Donnerstag am Kiosk oder direkt in Heise Shop zu bestellen).

"Auch wenn die meisten Menschen es nicht glauben: Weltweit wachsen die Versorgungskapazitäten für Öl", schreibt Ölexperte Leonardo Maugeri in seinem Bericht "Oil: The Next Revolution", den die renommierte Harvard University im Juni dieses Jahres veröffentlichte. Mit 93 Millionen Barrel pro Tag sei schon 2011 rund 7 Prozent mehr Öl gefördert worden als benötigt. Eine Steigerung auf über 110 Millionen Barrel bis 2020 hält Maugeri für wahrscheinlich. Während die Förderung aus den einfach zugänglichen Erdölfeldern jedes Jahr um 2 bis 4 Prozent sinkt, scheinen unkonventionelle Quellen die Lücke mehr als nur zu füllen.

Harvard-Ökonom Maugeri stützt seine Prognose auf "unkonventionelle Ölvorkommen", wie sie derzeit in den USA ausgebeutet werden. Neben dem so genannten Schieferöl bilden Ölsande in Kanada, Schwerstöl in Venezuela und Tiefseeöl vor Brasilien die wichtigsten Säulen seiner Ölboom-Theorie. Hinzu kommt der Anteil flüssiger Kohlenwasserstoffe bei der Erdgasgewinnung.

Bis 2025 etwa will Kanada die Tagesproduktion aus Ölsanden von derzeit knapp anderthalb Millionen Barresoll auf 3,7 Millionen Barrel mehr als verdoppeln. Das soll unter anderem durch "In-situ"-Fördertechniken ermöglicht werden.

Ölsande sind ein Gemisch aus Ton, Wasser, Silikaten, Rohöl und zäher Bitumenmasse. Um auch bis zu einem Kilometer tiefe Lagerstätten ausbeuten zu können, presst das Unternehmen Cenovus durch Bohrlöcher etwa 250 Grad heißen Dampf zu den teils 30 Meter mächtigen Ölsandschichten. Dadurch wird das Bitumen verflüssigt und kann mit Sand, Ton und Wasser an die Oberfläche gefördert werden.

Diese Technik wollen andere Ölfirmen wie Shell, Suncor Energy oder Imperial Oil noch weiter verbessern. Sie testen das Einblasen heißer Luft zum Aufschmelzen des Bitumen-Anteil. Auch Zusätze von Butangas in die heißen Schwaden könnten die Fördermengen erhöhen. Viele dieser Verfahren stecken derzeit noch in der Entwicklungsphase und müssen sich im großen Maßstab erst bewähren. Doch wenn dies der Fall ist, besteht die Chance, die Ölsande günstiger als heute zu fördern.

Der Harvard-Ökonom ist zwar eng mit der Ölindustrie verzahnt, schließlich war er früher Topmanager beim italienischen Ölkonzern Eni. Auch die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover stützt jedoch diese Argumentation. Galt bisher, dass der Förderhöhepunkt – "Peak Oil" – bereits 2006 überschritten wurde, zeichnen aktuelle Schätzungen der Behörde ein ganz anderes Bild. "Wir sehen in unserer Projektion den tatsächlichen Peak Oil Mitte der 2030er-Jahre", sagt BGR-Ölexperte Hans Georg Babies. Jedenfalls bei optimaler Entwicklung und Produktion sämtlicher Ressourcen.

Das globale Potenzial aller noch nicht genutzten Vorkommen aus erschlossenen, bekannten Reserven und schwerer zugänglichen Ressourcen besteht laut BGR aus gut 500 Milliarden Tonnen. Damit stünde genug Öl für 125 Jahre zur Verfügung – legt man den heutigen Weltjahresbedarf von 4 Milliarden Tonnen zu Grunde.

Sollten die förderbaren Vorkommen rund um den Globus so groß sein wie vermutet, wird Öl nicht mehr so billig wie in den 80er- und 90er-Jahren – denn Förderkosten von deutlich unter 5 Dollar pro Barrel wie in Saudi-Arabien sind für die neuen Lagerstätten unerreichbar . Aber gegen ein auf Jahrzehnte stabiles Preisniveau zwischen 90 und 120 Dollar pro Barrel spricht ohne größere Krisen im Mittleren Osten wenig. Bis die Erneuerbaren preislich mit der fossilen Energie gleichziehen können, dürfte es länger dauern, als viele hofften. Das Ende des fossilen Zeitalters scheint damit zumindest vorerst aufgeschoben. "Die Erneuerbaren werden sich nicht so schnell entwickeln, wie sie sollten", fürchtet Richard Miller, Geologe und führender Ölexperte beim renommierten Oil Depletion Analysis Centre in London. "Und das werden wir im Jahr 2020 sehr bereuen."

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(wst)