Baden-Württemberg will auf Online-Razzien vorerst verzichten

Die CDU im Ländle konnte sich im Streit über die Verankerung von heimlichen Online-Durchsuchungen im neuen Polizeigesetz nicht durchsetzen, während es im Spitzengespräch der Koalitionspartner auf Bundesebene keine Einigung zu Netzbespitzelungen gab.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 97 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.

In Baden-Württemberg wird es vorerst keine heimlichen Online-Durchsuchungen geben. Die CDU im Ländle scheiterte mit ihrer Forderung nach dem Einbau einer Befugnis für entsprechende Netzbespitzelungen in die Novelle des baden-württembergischen Polizeigesetz am Widerstand des Koalitionspartners FDP. Innenminister Heribert Rech (CDU) erklärte zu der sich abzeichnenden politischen Schlappe, es wäre nicht verantwortbar gewesen, die Reform an diesem Punkt scheitern zu lassen. Um Einvernehmen mit den Liberalen zu erzielen, habe seine Partei zudem ihre Pläne zur Ausweitung der präventiven Telekommunikationsüberwachung zurückgeschraubt. Doch sei die Forderung nach Online-Razzien nicht vom Tisch. Die Polizei müsse in die Lage versetzt werden, "mit modernsten Mitteln in die virtuelle und konspirative Welt des internationalen Terrorismus einzudringen und Gefahren rechtzeitig abzuwehren".

Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll (FDP) hält dagegen eine Debatte über den Stopp des Personalabbaus bei der Polizei für wichtiger als eine über die verdeckte Online-Durchsuchung: "Ein paar Beamte mehr, die Augen und Ohren offen halten, nutzen viel mehr als eine Technik, die jede Privatheit zunichte macht und dann auch noch am Ziel vorbeischießt." Auch aus Sicht der Grünen braucht die Polizei keine weitere technische Aufrüstung und vor allem keine Lizenz für die Ausforschung "informationstechnischer Systeme".

Eine Ausklammerung des Stein des Anstoßes der Online-Überwachung brachte Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, auch für die Bundesebene bei der von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) vorangetriebenen Änderung des Gesetzes für das Bundeskriminalamt (BKA) erneut ins Spiel. "Wir wollen die BKA-Novelle unter Zurückstellung der Online-Durchsuchung", erklärte der Innenexperte gegenüber heise online. Die Reform müsse zügig ins Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden, da sie sehr wichtig sei für die Stärkung der Sicherheitsarchitektur hierzulande. Der umstrittene Entwurf aus dem Bundesinnenministerium enthält neben der Lizenz zu Netzbespitzelungen unter anderem präventive Befugnisse für das BKA für den großen Lauschangriff, Rasterfahndungen und die Telekommunikationsüberwachung zur Terrorabwehr.

Das dritte Spitzengespräch der großen Koalition zur Überarbeitung des BKA-Gesetzes blieb derweil aus Sicht der Union "ohne greifbares Ergebnis" zu einem möglichen Einsatz des "Bundestrojaners". An dem streng abgeschirmten Treffen im Reichstagsgebäude nahmen neben Schäuble und Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) unter anderem auch die Chefs der Regierungsfraktionen, Volker Kauder (Union) und Peter Struck (SPD) teil. Der Bundesinnenminister hatte sich vor dem Termin noch einmal vehement für verdeckte Online-Durchsuchungen ins Zeug gelegt.

Danach hieß es lediglich, man wolle weiter über den Streitpunkt beraten. Zuvor hatte Struck noch erklärt, es werde das "letzte Gespräch" auf der Spitzenebene zur Novelle des BKA-Gesetzes sein. Die SPD will laut Wiefelspütz aber nicht an ihrer Position rütteln, die interne Meinungsbildung zu Online-Razzien erst im Lichte des für Frühjahr 2008 zu erwartenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts abzuschließen. Das "subtile Instrument" wird nach Ansicht des Innenpolitiker auch "völlig überschätzt" und sei bislang weder technisch noch rechtlich zu handhaben. Auf keinen Fall handle es sich dabei um ein "Patentrezept gegen den Terrorismus".

Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) zeigte sich trotzdem überzeugt, dass die Befugnis für Online-Durchsuchungen bald kommen und der Koalitionspartner doch noch umdenken werde. Die Frage sei nur, ob "heute oder morgen" und "wie viele Terrorhelfer bis dahin den Ermittlern durch die Maschen schlüpfen". Schäuble bemühte sich nach dem Gespräch dagegen, die gerade von Unionsseite mit scharfen Worten geführte Auseinandersetzung mit dem Koalitionspartner nicht zu dramatisieren: "Es tut der freiheitlichen Demokratie keinen Abbruch, wenn man über schwierige Fragen notfalls auch streitig debattiert."

US-Geheimdienstdirektor Mike McConnell hat derweil erstmals Angaben deutscher Sicherheitspolitiker und der Bundesanwaltschaft über eine enge Zusammenarbeit mit US-Behörden bei der Festnahme des terrorverdächtigen Trios im Sauerland bestätigt. Er erklärte vor dem US-Kongress, die Überwachung von Gesprächen im Ausland sei entscheidend für die Festnahme der Männer gewesen. Ob die US-Geheimdienste dabei einen Trojaner oder Keylogger einsetzten, verriet McConnell nicht. Er verwies aber auf das jüngst verschärfte Anti-Terrorgesetz FISA als Grundlage für die erfolgreiche Beschattung und warnte die Kongressmitglieder davor, die darin enthaltenen, heftig umstrittenen Vollmachten zum Abhören von Telefonanten und E-Mails ohne Richtervorbehalt zu begrenzen.

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

Siehe dazu auch die Anmerkungen zur Online-Durchsuchung von BKA-Chef Jörg Ziercke und von Datenschützern auf der Datenschutz-Sommerakademie des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz:

Einen ausführlichen Einblick in die jüngsten Ausführungen des Bundesinnenministeriums zu den Plänen für Online-Razzien und in die Antworten Schäubles auf den Fragenkatalog des Bundesjustizminsteriums sowie der SPD-Fraktion zur Online-Durchsuchung bieten Meldungen im heise-Newsticker und ein Bericht in c't – Hintergrund:

(Stefan Krempl) (pmz)