Next07: Von user-generated Content, Wikization, Geldeinnehmen und User-Protesten

Eine Konferenz über das Web 2.0 oder das Mitmach-Web ist keine triviale Sache. Gleich beide Keynote-Redner bemühten die Pareto-Verteilung, um zu erklären, dass der user-generated Content zu 20 Prozent Wichtiges enthält und zu 80 Prozent Schrott bringt.

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Von
  • Detlef Borchers

Die eintägige Next07 ist eine Internet/Web-2.0-Konferenz, die aus einer Geburtstagsparty der Werbeagentur SinnerSchrader entwickelt wurde. Rund 700 Teilnehmer, überwiegend Werber und Investoren, kamen zur neuen Konferenz am gestrigen Donnerstag in die Hamburger Hafenstadt. Zwei Keynotes beschäftigten sich mit der Pareto-Verteilung, die treffend die Präsentationen zum Web 2.0 zusammenfasst: 80 Prozent Schrott, 20 Prozent brauchbare Ansätze.

Eine Konferenz über das Web 2.0, das "Mitmach-Web" oder den "user-generated Content" ist keine triviale Sache. Das beginnt schon mit der Frage, welche Blogger man denn einlädt, die allgemeine Skopophilie dieser Szene stützend. Auch kann man die Keynotes von jungen Menschen bestreiten lassen, die das Mitmach-Web prägen, oder von alten Erklärbären, die immer das große Ganze kennen. Die Veranstalter der Next07 entschieden sich für die zweite Variante und eröffneten die Konferenz mit Vorträgen des Medienwissenschaftlers Norbert Bolz und des Markenprofis Bernd M. Michael. Beide Redner bemühten die erwähnte Pareto-Verteilung, um zu erklären, dass der "User-Generated Content" der Mitmacher im Internet zu 20 Prozent wichtige Inhalte enthält und zu 80 Prozent Schrott.

Bolz schmeichelte in seinem Vortrag den Bloggern, deren Tagebücher gut besucht werden und die vielfach verlinkt sind. Sie seien die Augsteins und Nannens der Zukunft und verwandelten sich am Ende in Massenmedien. Nach dem Motto "The link is more important than the thing" erklärte Bolz das Internet als System, in dem die Linkwertigkeit und Authentizität der Mitmacher zählt, während die Blogs inhaltlich kaum gelesen werden. Werber Bernd M. Michael schimpfte zunächst über das "verdammte Vokabular" des Web 2.0, nur um mit dem Begriff "Wikization" ein neues Wort in die Debatte zu bringen. Michael zufolge steht Wikization für das Phänomen, dass eine "Community" im Stil eines Wikis die Marke definiert, während der klassische Werber einen Kontrollverlust erleide.

Ähnlich wie bei der Berliner Re:publica hatte das Publikum die Möglichkeit, die Vorträge live zu kommentieren, doch wurde dies kaum für humorige Widersprüche genutzt. Nur bei der Mittags-Keynote, einem Interview mit Zwanzigjährigen, von den Werbern bestaunten Vertretern der "Generation Internet" spöttelten die Kommentatoren angesichts von Fragen wie "Wofür gibst du dein Geld aus außer für das Internet?"

In 24 Vorträgen der Next07 ging es überwiegend um das Geldeinnehmen von den internet-affinen jugendlichen Geldausgebern. In einem flotten Vortrag machte Martin Oetting von Trnd (The real network dialogue) klar, dass in der Mundpropaganda, betrieben als Empfehlungsmarketing, die Zukunft der Produktwerbung liegt. Was die typischen Web-2.0-Nutzer empfehlen, was sie wie Open Cola begeistert, kann von einem entsprechend internetaffinen Strukturvertrieb wie trnd aufgegriffen werden, um eine Marke zu etablieren. Der bekannte Blogger Nico Lumma stellte in seinem Vortrag die kombinierte Empfehlungs- und Einkaufsplattform Shoppero vor, in der Web-2.0-Nutzer über so genannte Adgets für "ihre" Produkte werben und bei Einkäufen an den Erlösen beteiligt werden. Ob das nach dem US-amerikanischen Vorbild des Social Shopping konzipierte Shoppero in Deutschland eine Chance hat, wird sich zeigen müssen: Die Website wurde mit dem Vortrag von Lumma freigeschaltet.

Die vielleicht interessantesten Vorträge der Konferenz beschäftigten sich mit Second Life, dem Lieblingsthema aller 2.0-Denker und -Berater. Während Norbert Bolz das MIT dafür lobte, dass das Institut alle Vorlesungen in Second Life veröffentlicht, während Bernd M. Michael beklagte, dass in Second Life nur die schlechte Werbung auftaucht, die schon das First Life verschandelt, gaben sich die Macher pragmatisch. So etwa IBM, die gerade von der US-Zeitschrift Computerworld für die beste Second-Life-Präsenz ausgezeichnet wurde. Rainer Mehl von IBM Global Business erklärte, warum es für IBM Sinn ergibt, dass über 4000 Mitarbeiter ihre Avatare in Second Life ausführen. So könne man erfolgreich und kostengünstig internationale Meetings durchführen oder beim Recruiting neue Wege beschreiten. Der Journalist Rowan Barnett, der im Auftrag von Bild.T-Online in Second Life die Wochenzeitung The Avastar produziert, betonte die Rolle der Leserreporter 2.0: Rund 50 Prozent der "Clebrity&Gossip"-Berichte der virtuellen Zeitung stammten von Second-Life-Bewohnern.

Eine Lösung für das ultimative Problem aller virtuellen Welten stellte schließlich Andreas Gerber von X-Aitment vor. Die Ausgründung von Doktoranden der Universität Saarbrücken hat aus dem Turing-Test ein Geschäftsmodell gemacht und vertreibt KI-Programme, die in virtuellen Welten Menschen simulieren können. Solche Programme werden von Betreibern künstlicher Welten gekauft, damit diese Welten den sie besuchenden Menschen nicht allzu leer erscheinen. Ethische Bedenken für den Etikettenschwindel gibt es nicht: "Künstliche Intelligenz ist in einer virtuellen Welt eigentlich nicht mehr künstlich", erklärte Gerber den Zuhörern.

In der echten Welt der Next07-Konferenz boten die vielen Gespräche, die solch ein Auftrieb von Web-2.0-Anhängern mit sich bringt, vielleicht die anregenderen Themen. Sehr kontrovers wurde die Kapitulation von Digg diskutiert. Während sich Werber und Investoren über den "Mob" aufregten, der das Geschäftsmodell von Digg.com zerstört, feierten Blogger die Aktion als politische Demonstration im Sinne des Web 2.0. Es hätte der Veranstaltung gut getan, diese Diskussion zum Abschluss auf das große Podium zu heben, als sich die ursprünglich vorgesehenen Diskutanten Bolz und Michael längst verdünnisiert hatten. Stattdessen gab es ein paar Allgemeinplätze zum Thema "Marke". So gesehen ist für eine Next08 noch Potenzial für weitere Verbesserungen drin. (Detlef Borchers) / (jk)