Sicherheit durch Monitoring

Die passive Sicherheit im Sinne von Safety befindet sich auf dem Rückzug. Dagegen wird die Sicherheit im Sinne von Security breit ausgebaut. Sie ist Überwachung im großen Stil.

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Von
  • Detlef Borchers

Auf dem Gebiet der Sicherheitsforschung fließen nicht nur militärische und zivile Anstrengungen zusammen. Der zweite Sicherheitsforschungskongress in Karlsruhe machte deutlich, dass mit der Verschmelzung der beiden Forschungszweige auch die Sicherheit selbst eine Umdeutung erfährt. Die passive Sicherheit im Sinne von Safety befindet sich auf dem Rückzug. Dagegen wird die Sicherheit im Sinne von Security breit ausgebaut. Sie ist Überwachung im großen Stil: Wo eine Gefahr vermutet wird, kommt ein Monitor zum Einsatz – Kampfstoffsensoren, Überwachungskameras, Terahertz-Scanner und Tomographen schnüffeln, schauen und suchen, intelligente digitale Lagetische werten die Daten aus und geben uns damit das, was heute als Sicherheit definiert ist. Die Zukunft der Sicherheitsforschung liegt in der weiteren Verfeinerung von Monitoring-Systemen. Die zunehmende Überwachung der Privatsphäre ist da militärisch gesprochen nur ein Kollateralschaden.

Über den heute zu Ende gegangenen Kongress der Sicherheitsforscher dürften die Naturwissenschaftler und die Industrievertreter gleichermaßen zufrieden sein. Forschungsausgaben gibt es reichlich und für Absatz ist gesorgt. Die "Sicherung der Freiheit" und das Erschließen neuer Märkte für "Sicherheitslösungen" ergänzen sich prächtig. Weniger glücklich dürften die Geisteswissenschaftler sein. So wurden in mehreren Referaten zwar betont, dass zur Lösung des Problems der "asymmetrischen Kriege" durch bombende Terroristen auch Analysen ihrer Entstehung gehören. Ganz ohne Erwähnung des Lieblingsspielzeugs Online-Durchsuchung kam beispielsweise BKA-Vizepräsident Jürgen Stock aus, der das "systematische Vorausschauen" propagierte und das hauseigene Monitoringsystem Terrorismus/Extremismus lobte, in dem Sozialwissenschaftler Ursachenforschung betreiben. Doch unter all den Referaten des dreitägigen Kongresses befand sich gerade einmal ein Beitrag aus dem Bereich der sensorisch arbeitenden Sozialwissenschaften. Rob de Wijk vom niederländischen Zentrum für strategische Studien ermahnte die Anwesenden, dass die erfolgreiche antiterroristische Strategie darin besteht, die Köpfe und Herzen der Menschen zu gewinnen, die sich von der Gesellschaft ausgestoßen fühlen. Wer von "home-grown terrorists" rede und alle Verdächtigen sofort internieren möchte, produziere erst die Bedrohung, statt sie zu bekämpfen. In seiner Analyse von geplanten, durchgeführten oder verhinderten Attentaten betonte de Wijk, dass Terroristen in Afghanistan wie in Europa strategisch schwach, aber technisch stark operierten: Gebombt werde nur mit erprobten, fortlaufend verbesserten Verfahren.

"Wir müssen heute schon das denken, was die Täter morgen denken könnten", forderte Bernd Bechtold, Präsident der baden-württembergischen Industrie- und Handelskammer zu Beginn des Kongresses. Diese Kurzschlusslogik, dass Sicherheitsforscher wirklich das denken können, was Attentäter antreiben wird, machte den Kongress insgesamt zu einer sehr friedfertigen und optimistischen Angelegenheit. Die NIVEGOS-Forscher (das deutsche Kürzel steht für "Nachweis und Identifikation verborgener gefährlicher Objekte und Substanzen") finden immer bessere spektrographische, akustische oder elektromagnetische Verfahren, um gefährliche Stoffe aufzuspüren oder herannahende Projektile in Nullkommanichts zu erkennen. Das Vertrauen in die Sensorik führe dazu, dass dem Monitoring eine immer größere Bedeutung beigemessen werde, erklärte der Baustatiker Norbert Gebbeken von der Münchener Universität der Bundeswehr. Er belegte mit einigen Bau-Beispielen, wie wichtig passive Sicherheit sein kann. Ein anderer Aspekt kann im Tagungsband im Bericht zum Forschungsprojekt EMANZE (Emergency Management in Australia, New Zealand and Europe) nachgelesen werden: Gegenüber den technisch hochgerüsteten Frühwarnsystemen spricht sich der Leiter des Katastrophenschutzes der Fidschi-Inseln dafür aus, traditionelle Warnsysteme wie die Tierbeobachtung nicht zu vergessen.

Im Mittelpunkt der Tagung stand der Schutz kritischer Infrastrukturen, ein Thema, das von Stromversorgung über die Baustatik und Geldversorgung bis zur Sicherheit von Häfen und Flughäfen in vielen Referaten abgehandelt wurde. Günter Jost, Sicherheitschef der deutschen Bundesbank, erklärte Unkenntnis für den allerbesten Schutz. Wenn im Internet ohne Umstände Details etwa zu den (nicht geschützten) Umspannwerken zu finden seien, von denen die Rechenzentren der Bundesbank ihren Strom beziehen, dann zeige das Wissen im Internet Wege für Terroristen. "Solche Dinge sollten nicht öffentlich sein." Jost machte auf die Bedeutung von Übungen wie LÜKEX aufmerksam und erzählte anschaulich von den Problemen, die die USA am 11. September 2001 meistern mussten, als die New Yorker Banken praktisch ausfielen, weil viele Spezialisten nicht zu ihren Arbeitsplätzen kamen. Nach Alois Sieber von der CEN-Standardisierungsgruppe "Protection and Security of the Citizen" fehlt es vor allem an einheitlichen Standards für den Schutz kritischer Infrastrukturen, wie sie etwa in den USA mit den CIP-Standards angedacht wurden. Bei der Diskussion kritischer Infrastrukturen zeigte sich, dass Militär- und Zivilforschung sich noch ein gemeinsames Vokabular schaffen müssen. Christian Less von EADS versuchte sich an einem entsprechenden Ansatz, in dem er die vom Militär benutzte Methode der "Survivability Onion" zur Bestimmung der Kampftauglichkeit oder Überlebensfähigkeit eines Systems auf den zivilen Luftverkehr übertrug. Bis zum nächsten Sicherheitsforschungskongress sollen diese und ähnliche Modelle weiter verfeinert und vor allen Dingen von beiden Seiten angewendet werden.

Siehe zur zweiten Sicherheitskonferenz Future Security auch:

(Detlef Borchers) / (jk)