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Was war. Was wird.

Schnee, von gestern. Schnee von gestern. Gestern, mit Schnee? Hal Faber fröstelt. Der Winter ist auch nur ein Fake, befürchtet er. Die Kälte und Dunkelheit sind leider echt. Der ultimative Widerstand (ebenfalls leider) nicht.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es soll Winter sein, aber das ist nur ein Fake. Der Schnee von gestern wird über der norddeutschen Tiefebene ausgeschüttet und deckt die Glühweinkotze auf den Weihnachtsmärkten zu. Der Schnee von gestern ist überall, wer wirklich Tabula Rasa machen will, braucht halt ein Boogie Board, das derzeit nichts vernünftig abspeichert und wie der Wunderblock funktioniert. Wie der Schnee von gestern funktioniert, hat Julian Assange gezeigt, als er den Zuhörern in Hannover das Vorwort seines neuen Buches vorlas. Mittlerweile ist das dramatische Vorwort von einigen Webseiten veröffentlicht worden, etwas beim Mitgründer der Cypherpunks. Kryptografie als die ultimative Form des gewaltlosen Widerstandes? Da ist es wieder, das ehrenwerte Motto der Cypherpunks aus jenen 90er Jahren, als die Regierungen strenge Exportverbote für Verschlüsselungssoftware kannten und über Schnüffel-Chips nachgedacht wurde, als Hintertürchen auf jedem Rechner zu installieren.

*** Im Jahre 2001 erklärte 42565, Cypherpunk-Gründer John Gilmore auf der Konferenz Hacking at Large, warum das Ende der Cypherpunks gekommen ist, mit Mathematik und Physik per Kryptographie dem Staat Widerstand zu leisten. Die Guten hätten gesiegt, die Bösen aufgegeben: Jetzt seien zahlreiche Verschlüsselungsprogramme auf dem Markt. Künftig werde es "nur" noch darum gehen, die Verschlüsselungssysteme benutzerfreundlich für Jedermann zu programmieren und auf die Fortschritte bei der Hardware zu achten. Gilmore schloß nicht aus, dass es eines Tages einen Großrechner geben könnte, der mit Brute Force einen verschlüsselten Text oder eine verschlüsselte Festplatte knacken könnte. Die schlichte Idee, die dazu führt, dass die Empfehlungen zur Verschlüsselung und zu den Schlüssellängen fortlaufend überarbeitet werden, ist für einen wie Assange allzu trivial: Ein Satz wie "Das Universum glaubt an Verschlüsselung" hat einen zutiefst religiösen Charakter in der Form, dass offenbar ein höheres Wesen nötig ist, weil längst alles kostengünstig abgehört und gespeichert wird. Beweise für so eine Aussage braucht es nicht, wo nur das Lesen frommer Texte ausreicht. Dass mangels verschlüsselter Einreichungs-Plattform Wikileaks am Ende ist und auf kriminelle Text-Aquise durch verschiedenen Anonymous-Fraktionen angewiesen ist, merken nur die, die nicht daran glauben, dass längst jedes Bit woanders mitgespeichert wird.

*** In den USA hat der Prozess gegen Bradley Manning noch nicht begonnen, den angeblichen Informanten, der Wikileaks mit geheimem US-Material gefüttert haben soll. Bei der anstehenden Voruntersuchung präsentierte sich Manning ungebrochen und nicht ohne Witz. Auch dass sich Manning in acht Punkten für schuldig erklärt hat, zeigt seinen Willen, nicht einzuknicken und der Anklage zu widersprechen. Er ist die kleine kluge furchtlose Ratte, von der Assange am Ende seines Buches schwärmt. Wenn nur ein Bruchteil der Behauptungen stimmen, die Manning über seine Haftbedingungen aufstellt, sitzen die USA auf der Anklagebank, eindrücklicher als jede Diplomatenpostveröffentlichung. Und die BRD, die im Irak nicht dabei war, aber in Afghanistan? Sie rückt ab, während die Afghanistan-Papiere veröffentlicht werden und ihrer Entschlüsselung harren. "Es wird Zeit, dass wir in Deutschland darüber reden, wo und aus welchem Grund die Bundeswehr kämpfen soll. "

*** Scheinriesen wie den Herrn Tur Tur kenne ich seit Kindesbeinen an, nun sind Scheinengel hinzugekommen in Gestalt von Google, das nach Meinung des Qualitätskommentators der Süddeutschen Zeitung sich als vermeintlicher Schutzengel des Internet ausgibt. Immerhin ist das noch ein gemäßigter Kommentar. Mittlerweile habe ich gelernt, dass Google ein mächtiger Arm der amerikanischen Regierung ist – von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die zudem noch einem Google-Imperialismus auf die Spur gekommen ist. In der Welt war vom Angriff Googles auf die Grundrechte zu lesen und davon, dass man für die Meinungsäußerung in Deutschland eine Lizenz braucht – auch für mich ein Novum. Ich habe in dieser Woche gelernt, dass es eine Scheinfassade gibt, hinter der Google sich die "Freiheit des Ausschlachtens" nimmt, habe gelesen, dass Google in seinem Nachrichtenprotal illegal Texte sammelt, ohne Rücksicht auf Urheber- und Verlagsrechte. Würden all diese Aussagen stimmen, wäre Google längst ein Fall für die Justiz und Deutschlands Google-Chef Overbeck in Untersuchungshaft. Aber die Aussagen sind ein Beispiel dafür, dass der vielgepriesene deutsche Qualitätsjournalismus Scheinqualität produziert, weil er sich nicht mit der programmierbaren Realität beschäftigt. Statt der Schere im Kopf schreiben unsere Qualitätstrompeten mit dem Milchaufschäumer in der Hand.

*** Die Debatte um das Leistungsschutzrecht hat, ganz ohne die unbeholfene Kampagne von Google auch ihre guten Seiten. 180.000 Menschen, die zu später Stunde im Internet dem Leistungsschutzrecht-Schnack der Politik hörten, in der ein Ansgar Heveling (CDU) dem "liberalen Kapitalismus Angloamerikas" die Leviten liest, gehören dazu. Ebenso gut ein Jimmy Schulz (FDP), der Lessigs "Code is law" zitiert (in Assanges neuem Buch lobt Assange die Cypherpunks der 90er für diesen Satz und wird von Jacob Appelbaum korrigiert). Noch löblicher ist es, wenn in der Debatte auf leistungsschutzrechtbedrohte Angebote wie den Perlentaucher oder Rivva aufmerksam gemacht wird. Wenn Suchalternativen wie DuckduckGo oder Startpage ins Licht der Öffentlichkeit kommen und zeigen, wie gänzlich unböse Google sein kann, wenn es mit einem dieser "Aufsätze" durchsucht wird.

Was wird.

Die nächste Woche startet die World Conference on International Telecommunications im schneefreien Dubai, auf der ein ganz besonderer Schnee von Gestern zu neuen Ehren kommen soll, wenn das Internet stärker an die Zahlungsmodalitäten der TK-Branche angepasst werden soll. Ein Plan, von dem zum letzten Mal 1998 (!) zu hören war, als die ITU über den Standard ITU-T verhandelte und man in Genf H.323 verabschiedete. Eine Demonstration der Internet-Telefonie durch die schweizerisch-israelische Firma Vocaltec wurde damals mild belächelt. Heue ist es bitter Ernst, wenn Netzneutralität abgebaut werden soll, um die schrumpfenden Gewinne der Telcos wieder aufzupäppeln.

Fußballtechnisch ist der Betzenberg eine mythenumrankte Erhebung in Deutschland. Dort hat die erste deutsche Polizeiwache ihren Twitter-Streifendienst aufgenommen und will transparent über Fußballeinsätze kommunizieren. Bedenken gibt es, ähnlich wie die gegenüber der Facebook-Fahndung. Immerhin beschäftigen sich auch Juristen mit diesem Problem. Ganz groß will der nächste europäische Polizeikongress im Berliner bcc das Thema unter dem Motto "ePolice – Polizei in sozialen Netzwerken" angehen und den "Schutz und die Sicherheit im digitalen Raum" debattieren, der für viele Bürger nicht antizipierbar sein soll, heißt es in der Ankündigung. Es mag banal klingen, aber auch ein Verkehrsunfall ist für mich nicht antizipierbar, wenn diese Kolumne gleich mit dem Rad (wo ist nur der schwarze Hubrschrauber geblieben) zu einem geheimen Parkplatz gefahren wird, wo der diensthabende Redakteur bibbernd (wo ist nur das komofortable, mit Rotwein bestückte Redaktionswartebüro geblieben) wartet.

Die Macher des Polizeikongresses schreiben weiter: "Die Zeit der 'Digitalromantik' mit 'moralischen Hackern' und experimentierfreudigen 'Skript Kiddies' scheint längst vorbei. Aus diesen Gruppen rekrutieren sich inzwischen auch Kriminelle, die für Bereiche der Cyber Crime zur Verfügung stehen." Ist es die Trauer nach dem Vergangenen, wo man sich mit dem Chaos Computer Club den Veranstaltungsort teilte? Der aber ist nach Hamburg umgezogen und vor dem 29C3 schwer mit dem Packen beschäftigt. So schließt sich die Schneedecke von gestern, wenn Jacob Appelbaum in weihnachtlicher Stimmung als Keynote das Vorwort des Assange-Buches vorlesen wird und die halbviertel moralischen Hacker mit glühenden Bäckchen im frisch sanierten Messezentrum rumlaufen; Abq zl Qrcnegzras. (jk)