WM 2006: Fußball ist eine Frage der Technik

Technisch ist die WM darauf ausgerichtet, den Krawall möglichst von den Stadien fernzuhalten. Das beginnt bereits bei Datenbankabgleichen bei Bestellung der mit RFID ausgestatteten Tickets und reicht über Verkehrsüberwachung bis zu Notfallsystemen.

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Von
  • Detlef Borchers

Die 1300 Spezialisten aus 65 Ländern, die sich nach Angaben des veranstaltenden Behörden-Spiegels im bcc zum 9. europäischen Polizeikongress zusammenkamen, hatten andere Interessen als die auftretenden Politiker. Den größten Beifall bekam wohl der Dresdener Panikforscher Dirk Helbing, der minutiös mit zahlreichen Videobeispielen Paniksituationen in Fußball-Stadien analysierte. Helbing ging dabei nicht auf die Kritik der Stifung Warentest an den deutschen WM-Stadien ein, zeigte aber viele Details, die beim Ausbruch einer Panik erst zur Katastrophe führen können. Viele der Beispiels-Videos hatte zuvor der FIFA-Abgesandte Walter Gagg mit dem schlichten Hinweis gezeigt, dass die Stadien nicht den FIFA-Sicherheitsrichtlinien entsprochen hätten. Dabei nutzen Standards nicht unbedingt, meinte Helbing: "Wenn eine Panik ausbricht, wirken meistens Gerüchte und fehlerhafte Informationen als Katalysator". Das beste Notfallkonzept hatte Helbing zufolge das auf 73.000 Zuschauer ausgelegte Kolosseum in Rom. Es konnte in fünf Minuten evakuiert werden.

Technisch ist die WM darauf ausgerichtet, den Krawall möglichst von den Stadien fernzuhalten. Das beginnt schon bei den viel diskutierten RFID-gestützten Eintrittskarten. Sie selbst enthalten keine direkt personenbezogenen Daten, sondern nur eine Bestellnummer, der die Datenbank die Person zuordnen muss. Die verschlüsselte Spielinformationen auf den Tickets enthalten aber "Fan-Informationen", die die Fan-Trennung so aktiviere, dass sich "gegnerische Fans" im Stadion praktisch gar nicht treffen können. Dies erklärte Günther Sreball, der beim Regierungspräsidium Darmstadt für das Ticket-Design zuständig ist.

Schon bei der Bestellung des Tickets werden die personenbezogenen Daten mit den verschiedenen in- und ausländischen Hooligan-Dateien abgeglichen. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass Hools doch Karten bekommen, kommt das portable FastID-Fingerabdrucksystem zum Einsatz. Wie Heike Zielinski von der Steria Mummert Consulting erklärte, gleicht das Hit/No-Hit-System einen Fingerabdruck in ein bis zwei Sekunden ab. Zusätzlich kommt das von Steria entwickelte FIT-System zum Einsatz, das einem Tischkopierer mit angeschlossenem Rechner nicht unähnlich ist. Bei dem System kann ein "Live-Scanner" einen kompletten Fingerabdruck-Datensatz bereits nach 20 Sekunden an das BKA übermitteln. FIT ist in der Allianz-Arena und der Franken-Arena fest installiert und eignet sich auch zur biometrischen Kontrolle von Gesichtszügen und Unterschriften.

Im großen Stil wird auch die Verkehrsüberwachung in Deutschland an die Erfordernisse der WM angepasst. Wo nicht, wie etwa in Stuttgart oder im Ruhrgebiet, komplett neue Leitsysteme installiert werden, kommen mobile AdHoc-Systeme zum Einsatz. So liefert Vodafone in Kaiserslautern Videokameras aus, die mittels eingebauter UMTS/GPRS-Karten die Daten über ein geschlossenes Funknetz in die Leitzentrale funken. Ohne Installationsaufwand könne jeder Platz in Minutenschnelle überwacht werden, erklärte Harald Holzer, Projektleiter GSM-BOS bei Vodafone.

Das zentrale Element ist allerdings deNIS, ein von der Dortmunder ProDV auf der Basis von Oracle 10g und Oracle Spatial entwickeltes MANV-Notfallsystem – MANV steht in der Sprache des Katatrophenschutzes für "Massenanfall von Verletzten und Erkrankten". Das System soll sämtliche Einsätze steuern, wenn der Katastrophenalarm ausgelöst wird. Im Unterschied zu den Polizeisystemen, die von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich und nur über die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze in Düsseldorf verbunden sind, ist deNIS zentralisiert, sind die Schnittstellen standardisiert. Das vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) in Auftrag gegebene System ist nach den Worten von BBK-Chef Christoph Unger das derzeit leistungsfähigste Notfallsystem der Welt. "Wir sind der Vernetzer aller Einsätze zur Fußball-WM", erklärte Unger, "einer muss den Hut aufhaben."

Zu Technik und Datenschutz bei der Fußball-WM 2006 siehe auch:

(Detlef Borchers) / (jk)