WCIT: Neuer Telekommunikationsvertrag gescheitert

Der neue Telecom-Vertrag ITR ist verabschiedet - und doch ist die Welttelekommunikations-Konferenz WCIT gescheitert. Westliche Regierungen werden den neuen Vertrag wegen möglicher Internet-Regulierungen nicht unterschreiben.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 26 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Monika Ermert
  • Jürgen Kuri

Alle Versuche von WCIT-Präsident Mohamed Al Ghanim, einen Konsens zu zimmern, scheiterten am Ende. Viele Ländern erklärten, sie werden den neuen Telekommunikationsvertrag ITR nicht zeichnen.

(Bild: Michael Rotert, eco)

Die neuen International Telecommunication Regulations (ITR) sind verabschiedet – und doch bleibt alles beim Alten. Westliche Regierungen haben sich mit ihrer harten Haltung gegen eine Einbeziehung des Internet zwar weitgehend durchgesetzt. Allerdings machen es allgemeine Erklärungen zur "Zusammenarbeit der Regierungen zu Spam" und "Netzwerksicherheit" und eine nicht zum Vertrag gehörende Zusatzerklärung zur Arbeit der ITU im Bereich Internet-Regulierung den USA unmöglich zu unterzeichnen, sagte US-Botschafter Terry Kramer. Er legte sich unmittelbar nach einer Kampfabstimmung fest, die in der Nacht zum Freitag in Dubai bei der World Conference on International Telecommunication (WCIT) über ein "Zugangsrecht der Staaten zu den Telekommunikationetzen". stattfand. Auch Deutschland will nach ersten Informationen aus Dubai nicht zeichnen.

Die Bemühungen auf der WCIT eine Neuregelung der ITR zu erreichen, sind damit faktisch gescheitert. Zwar wird in der endgültigen Fassung der neuen ITR das Internet nicht mehr direkt erwähnt, die westlichen Staaten widersetzen sich aber Formulierungen, die ihrer Ansicht nach die ITR auf das Internet ausdehnen und allen Staaten Rechte für dessen Regulierung geben würden.

Die ITR, ein völkerrechtlich bindender Vertrag, wurden zuletzt 1988 überarbeitet, sie legen die Regularien sowohl zwischen Staaten als auch zwischen Carriern fest, die für ein reibungsloses Funktionieren der weltweiten Telefonie sorgen. Die ITR sollten auf dem WCIT auf den Stand der Technik angepasst werden; schon im Vorfeld entzündete sich heftiger Streit darum, ob die ITR auch fürs Internet gelten sollten und der ITU damit ein mehr oder weniger weitgehendes Mandat zur Internet-Regulierung geben sollten.

Das "Nein" vieler Länder – laut der kanadischen Registry CIRA vor allem der Demokratien – bedeutet faktisch ein Scheitern der Verhandlungen, auch wenn ITU-Generalsekretär Hamadoun Touré von "vielen Gewinnen" sprach, die der Vertrag bringe, etwa im Bereich Transparenz von Roaming-Kosten.

Das Zugangsrecht zu den Netzen für Staaten, das ursprünglich das Embargo-geplagte Kuba eingebracht hatte, könne trotz eines expliziten Ausschlusses von "Inhalten" in den ITR einer Inhalte- und Internetregulierung Tür und Tor öffneten, sagte der britische Verhandlungsführer Simon Towler. Die USA, Großbritannien und Schweden unterstrichen, dass der Vertrag nicht als Ergebnis eines Multi-Stakeholderprozesses entstanden sei, also unter Einbeziehung aller Interessengruppen, wie es für Internetfragen angezeigt sei. Der Regierungsbeirat der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) und das nicht beschlussfähige Internet Governance Forum (IGF) wurden von Towler als die richtigen Foren bezeichnet.

Deutschland sollte auf keinen Fall unterzeichnen, sagte in einer ersten Reaktion Michael Rotert vom eco, dem Verband der Internet-Provider. Der eco war als einziger deutscher Verband der Einladung der Bundesregierung gefolgt und als Delegationsmitglied nach Dubai gereist. Auch Rotert nannte die Paragraphen zu Sicherheit und Spam problematisch. Die Resolution zur Internetarbeit der ITU sei zwar kein Vertragsbestandteil, dennoch hätte die Formulierung weiter abgeschwächt werden können, so Rotert.

Die westlichen Staaten widersetzen sich von Anfang an Formulierungen in den neuen ITR, die diesen Telecom-Vertrag praktisch auch fürs Internet gültig machen, allen Staaten gleiche Rechte für die Regulierung des Internet geben und ihrer Ansicht nach staatlicher Zensur des Netzes Tür und Tor öffnen würden. Besonders China, Russland, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate hatten neben anderen Staaten darauf bestanden, dass Kommunikationstechnologie in den ITR weit gefasst wird und grundsätzlich auch die Regulierung des Internet einbezieht.

Der "Horrorkatalog", den China, Russland und die Vereinigten Arabischen Staaten in die WCIT-Verhandlungen eingebracht hatten, wurde nicht übernommen. Er sah eine weitgehende Ausdehnung der ITR auf das Internet und eine breite Definition von Telekommunikation vor. Der alte ITR-Vertrag, der die Zusammenarbeit bei Telefonie-Netzen regelte, sollte auf den Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie ausgedehnt werden, und damit die ITR-Prinzipien wie "Sender pays" und Quality of Service auf das Internet übertragen. Auch das von Russland vorgeschlagene Internetkapitel war darin enthalten; es sieht "nationale Internetsegmente" vor, die von den jeweiligen Staaten reguliert werden sollen.

Auch in dem Kompromissvorschlag des WCIT-Vorsitzenden fanden sich allerdings für die westlichen Länder unannehmbare Regelungen, unter anderem zu den Themenkomplexen Spam und Sicherheit ebenso wie zu Domainnamen und IP-Adressen. Demnach sollen Länder die Nummern, Namen, Adressen und andere Identifikatoren für internationale Netzverbindungen selbst verwalten können, soweit es ihre Hoheitsgebiete betrifft. Die Mitgliedsstaaten werden auffordert, den grenzüberschreitenden Zugang zur Telekommunikation, zu Internetdiensten, Webseiten und Ressourcen nicht zu behindern. Dazu kommt ein Punkt, der den Aufbau von Internet Exchanges anregt. Außerdem wurde im WCIT-Plenum bereits – zum Ärger der westlichen Länder – eine Internetresolution verabschiedet, die grünes Licht für internet-bezogene Arbeit der ITU gibt. All diese Regelungen würden die ITR auf das Internet ausdehnen – und genau das ist es, was die USA, Europa und weitere Länder ablehnen und unbedingt verhindern wollen.

Das Ringen darum, ob das Internet und damit Inhalte, im Vertrag eine Rolle spielen sollten, bescherte den Delegierten auf der WCIT viele Nachtsitzungen. Dabei nahmen die Verhandlungen oft bizarre Züge an. So wurde der Vorschlag, den Verweis auf das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit in den Telecom-Vertrag aufzunehmen, auf Drängen der USA und zahlreicher europäischer Delegationen zunächst geopfert, um nur ja nicht durch die "Hintertüre" Menschenrechtscharta die Regulierung von Inhalten und Internet in den ITR einzulassen. In einer Kehrtwendung forderten die westlichen Regierungen dann jedoch doch eine Referenz auf die Allgemeine Menschenrechtserklärung, allerdings unter der Bedingung, dass keine neuen Rechte, etwa der umstrittene "Zugang von Ländern zu den Netzen", aufgenommen werde. Im Prinzip kam der Lagerkampf zwischen den USA und ihren Partnern einerseits sowie den arabischen Ländern, Russlands und China andererseits voll zum Tragen. Der Vorstoß der afrikanischen Ländern, mehr Artikel zur Finanzierung der Netze in den Vertrag zu bekommen, kam dabei fast vollständig unter die Räder.

Byran Holland, CEO der kanadischen CIRA, der an den Verhandlungen teilnahm, sagte in einer kurzen Reaktion, er fürchte die ITR in ihrer jetzigen Form könnten allen Einschränkungen zum Trotz von autoritären Regimen so interpretiert werden, dass das Internet stärker staatlich überwacht werden müsse. Sein tschechischer Kollege Ondrej Filip nannte etwa die harmlos erscheinende Erwähnung von Internetaustauschknoten gefährlich in Bezug auf mögliche Regulierungsgelüste.

Die Unfähigkeit, sich in einer vernetzten Welt gerade zu den Themen Netze zu einigen, sei ein bedenkliches Ergebnis, sagte Frank Dolenc von der slowenischen Regulierungsbehörde. Nicht zuletzt illustriert das Scheitern auch ein Scheitern der Diplomatie. Ob das Internet vor Kill-Switches, Verträgen wie SOPA, zunehmender Filterung oder Vorratsdatenspeicherung nun sicherer ist, steht auf einem anderen Blatt. Das Scheitern des WCIT beziehungsweise die Weigerung der westlichen Länder, die neuen ITR zu unterzeichnen, lässt also einerseits erst einmal alles beim Alten. Die Verabschiedung eines neuen Telecom-Vertrags durch Mehrheitsentscheid des WCIT-Plenum öffnet andererseits aber die Türen sperrangelweit, um künftig staatliche Eingriffe ins Internet auch auf internationaler Ebene zu rechtfertigen.

Ein auch online verfügbarer Artikel in der aktuellen c't 26/2012 verdeutlicht Hintergründe und Interessenlagen zur World Conference on International Telecommunications:

Eine Themenseite versammelt die Berichte von heise online zur WCIT:

(jk)