Kostenlose Online-Kurse boomen

Fernkurse ziehen Hunderttausende Studenten und Millionen Dollar Wagniskapital an. Ist das nur ein Hype, oder öffnet sich die Hochschullehre endlich doch?

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Das Internet weckt Hoffnungen auf eine Revolution der Hochschulbildung. Das berichtet Technology Review in der aktuellen Ausgabe 1/2013 (am Kiosk oder direkt im Heise Shop zu bestellen).

Mehr als eine Million Menschen aus aller Welt haben sich vergangenen Herbst für kostenlose Kurse führender US-Universitäten eingeschrieben. Einer der Vorreiter ist Sebastian Thrun. Im Oktober 2011 hat der 45 Jahre alte Robotik-Experte seine Einführung in künstliche Intelligenz (KI) an der Stanford University kostenlos online gestellt. Thrun, der neben seinem Lehrauftrag in Stanford auch einen Top-Forschungsjob bei Google hat, rechnete mit vielleicht 10.000 Studenten. Doch es meldeten sich rund 160.000 an. Diese Erfahrung hat Thruns Leben völlig verändert: Zusammen mit zwei anderen Roboterforschern gründete er ein ambitioniertes Start-up namens Udacity. Es bezahlt Professoren dafür, dass sie im Netz offene Vorlesungen abhalten. Die meisten der bislang 14 angebotenen Kurse fallen in die Fachgebiete Informatik und Mathematik.

Im April 2012 gingen zwei Kollegen von Thrun mit einem ähnlichen Start-up an den Markt. Wie Udacity ist auch Coursera ein kommerzielles Unternehmen, ausgestattet mit Millionen Dollar an Wagniskapital. Anders als Udacity arbeitet es mit aber mit etablierten Hochschulen zusammen und bietet ihnen ein System, über das sie eigene Kurse online anbieten können. Zu den ersten Partnern gehören Stanford, Princeton und 31 weitere Hochschulen. Derzeit sind ungefähr 200 Kurse im Angebot, von Statistik bis Soziologie.

Im Mai 2012 haben sich das Massachusetts Institute of Technology (MIT) und die Harvard University zusammengetan und edX gegründet, eine gemeinnützige Organisation, die ebenfalls gebührenfreie Online-Kurse für jedermann anbietet. Ausgestattet mit 30 Millionen Dollar von jedem Partner, arbeitet edX mit einer Open-Source-Lehrplattform. Auf ihr sollen Studenten unter anderem auch Experimente in virtuellen Laboren durchführen können.

Online-Kurse sind nichts Neues. Doch bislang bestanden sie hauptsächlich aus Videoaufzeichnungen von Vorlesungen. MOOCs zeigen zwar auch Videos, doch diese werden von Übungen am Bildschirm und Rätseln unterbrochen, damit die Studenten am Ball bleiben und das Gelernte besser verstehen.

Um die College-Ausbildung wirklich billiger und besser machen, müssen MOOCs arbeitsintensive Tätigkeiten wie die Bewertung von Tests an Computer delegieren. Dazu wollen sie die neuesten Entwicklungen in der Verarbeitung großer Datenmengen und maschinellem Lernen nutzen. Die Betreiber erhoffen sich davon auch neue Erkenntnisse über Lernstile und Lehrstrategien, um die Technologie weiter zu verfeinern. Das New Yorker Start-up Knewton entwickelt beispielsweise Tutorensysteme im Netz, die sich an die Bedürfnisse und Lernstile einzelner Studenten anpassen können.

Skeptiker wie Timothy Burke, Historiker am Swarthmore College, meinen allerdings, die Fans von MOOCs hätten eine „recht naive Vorstellung davon, was mit Analyse von großen Datensätzen möglich ist.“ Die Erwartungen an Fernunterricht seien schon immer enttäuscht worden. Online-Kurse eigneten sich zwar für Programmieren und andere Felder mit festschreibbaren Prozeduren. Das Wesen einer College-Ausbildung liege aber eher im subtilen Zusammenspiel zwischen Schülern und Lehrern, das sich nicht von Maschinen simulieren lasse.

Allerdings wollen die Förderer von MOOCs die Lehre auf dem Campus auch gar nicht überflüssig machen, sondern interessanter und effizienter. Denn das traditionelle Unterrichtsmodell, bei dem Studenten in ihre Kurse gehen, dort zuhören und anschließend allein mit Hausarbeiten weitermachen, wird durch Online-Kurse auf den Kopf gestellt: Zunächst sehen sich die Studenten allein am Computer Vorlesungen an, dann erst kommen sie auf dem Campus zusammen, um das Thema zu vertiefen – etwa in Gesprächen mit Lehrkräften oder bei Laborexperimenten.

Ein Grund zur Sorge sind bislang die hohen Abbrecherquoten. Von den 160.000 Teilnehmern, die sich für Thruns KI-Kurs angemeldet hatten, blieben nur 14 Prozent bis zum Ende dabei. Ähnlich am MIT: Hier schrieben sich 155.000 Studenten für den Online-Kurs über elektronische Schaltkreise ein, doch nur 23.000 schlossen die erste Prüfung ab; ungefähr 5000 absolvierten den gesamten Kurs erfolgreich. Ob massiv offene Kurse dem aktuellen Hype gerecht werden können oder nicht, ist also noch offen. In jedem Fall aber werden sie Uni-Verwaltungen und Professoren dazu zwingen, viele ihrer Annahmen über das Lehren zu überdenken.

Mehr in Technology Review 1/2013:

(grh)