China: Kantons oberster Zensor unter Beschuss

Die massive Zensur eines Neujahrkommentars in der Wochenzeitung Nanfang Zhoumo trifft auf scharfe Kommentare in Chinas Blogosphäre. Ein offenen Brief fordert sogar den Rücktritt des verantwortlichen Zensors.

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Von
  • Monika Ermert

Nachdem der Zensor im südchinesischen Guangzhou einen Neujahrskommentar in der örtlichen Wochenzeitung Nanfang Zhoumo ("Südliches Wochenende") durch ein Propagandastück ersetzt hat, hagelt es Rücktrittsempfehlungen: Ehemalige Mitarbeiter der Zeitung fordern in einem offenen Brief den sofortigen Rücktritt von Tuo Zhen, dem Chef der Propagandaabteilung der Partei in der Provinz. Tuo Zhen habe seine Grenzen überschritten und sein Vorgehen sei ignorant und überzogen. Es handele sich dabei um einen Griff nach unbeschränkter Macht.

Tuo Zhen wird in dem Brief auch vorgehalten, er habe bereits die vordem anerkannte Wirtschaftszeitung (Economic Daily, Jingji Ribao) sowie eine Buchreihe der Agentur Xinhua zu zahnlosen Publikationen gemacht. Von dem Brief kursieren mittlerweile allerdings verschiedene Versionen im Netz. Im Fall des Neujahrskommentars hatte Tuo Zhen laut South China Morning Post den ursprünglichen Text einfach durch ein eigenes Stück ersetzen lassen, obwohl die Redaktion den Text bereits selbst entschärft hatte. Der im Kommentar eingeforderte Schutz verfassungsmäßiger Garantien ersetzte der Zensor durch Parteiparolen. Gleichzeitig schlossen die Zensoren das liberale Magazin Yanhuang Chunqiu, das sich in seiner Januarausgabe mit ähnlichem Tenor über einem Verfassungsstaat äußerte. Auf der Webseite findet sich dazu nur der schlichte Hinweis, die Seite sei wegen fehlender offizieller Registrierung geschlossen.

Auf die scharfen Kommentare in der chinesischen Blogosphäre reagierten die staatlichen Zensoren in Peking rasch mit einer Anweisung: Danach darf die Neujahrsbotschaft des "Südlichen Wochenendes" auf keiner öffentlichen Plattform diskutiert werden. Solche Anweisungen der zentralen Propagandaabteilung der Kommunistischen Partei geben neben Mitteilungen der Medienaufsicht im chinesischen Journalistenalltag die offizielle Linie der Berichterstattung aus. Früher hoch geheim, finden diese Anweisungen – von Chinas Journalisten als Direktiven aus dem Wahrheitsministerium bezeichnet - heute über Projekte wie die China Digital Times des Berkeley Counter-Power Lab den Weg in die Öffentlichkeit.

Laut Tests durch die Redaktion der China Digital Times waren auf den Microblogging-Seiten von Sina (SINA Weibo), auf denen die Kritik an dem Zensurvorfall tobte, Tuo Zhens Name, aber auch alle möglichen Umschreibungen von Tuos Namen gesperrt. Gleiches trifft danach auf "Chinas Traum", "Traum vom Konstitutionalismus" sowie "Südliches Wochenende" in Verbindung mit Neujahrsbotschaft oder "Kanton und Propagandaabteilung" zu.

Die Veröffentlichung des zensierten Texts neben dem Propagandastück und auch des gesperrten Texts der Yanhuang Chunqiu konnten Chinas Zensoren trotzdem nicht verhindern. Hongkongs Medien, darunter die South China Morning Post, berichten aufmerksam über das Geschehen. Übersetzungen und Hintergründe lieferte zusätzlich das China Media Project des Journalism and Media Studies Center der University of Hong Kong, das den ausführlichen offenen Protestbrief veröffentlichte. Wie das Tauziehen um mehr Bewegungsfreiheit dieses Mal ausgeht, ist schwer abzuschätzen. Eine noch schärfere Gangart gegen Journalisten würde den Versprechungen der chinesischen Führung widersprechen, dass man mehr Offenheit und Transparenz anstrebe, warnen die Autoren des offenen Briefes. (rek)