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Was war. Was wird.

The Bobos are back. Hal Faber blättert gerührt in alten Fotoalben. Wo ist Dotcomtod, wenn man es braucht? Und ist beim Kinderwagentragen helfen nun alte Schule oder alter Chauvi?

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei", sang einstmals Lale Andersen, "auf jeden Dezember folgt wieder ein Mai". Doch bis der Mai kommt und die Verliebten wieder turteln und gruscheln, leistet sich IT-Deutschland eine Sexismus-Debatte. Noch haben wir Januar und es geht eisig zu zu in den Kommentaren. Was Hacker, Häcksen und zwei transsexuelle Eichhörnchen auf dem "Kommunikations"-Kongress des Chaos Computer Clubs bewegte, muss doch eine Lehre für alle bereit halten. Richtig gelungen als Schlussfolgerung muss man die ökonomische Analyse von Smari McCarthy loben, fürs Herz ist mehr der Bericht aus der Sicht einer Autistin empfehlenswert und für die große Hackermasse spricht natürlich Fefe, ganz alternativlos. Schade nur, dass die wirklich lustigen Momente außen vor bleiben wie das große Gelächter von allen Beteiligten bei der roten Karte für das Zückerpüppchen am Stand des RaumZeitLabors. Lachen ist in Deutschland immer noch unterbewertet, im Zweifelsfall muss halt die große Analyse her und das bittschön ganz ohne Kontext. Humor ist immer noch "der" Humor und leitet sich in Deutschland von "der" Humifikation ab. Der Hundehaufen lässt grüßen.

*** Auch diese kleine Wochenschau aus der norddeutschen Tiefebene hat es auf dem Kongress erwischt. Sie wurde als Beispiel für sexistische Sprache am Beamer-Pranger präsentiert. In diesem Video kann man das nachsehen. Dem Herrn Stefanowitsch fiel auf seinem Feldzug gegen das generische Maskulinum dieser Satz in die Hände: "Ach, da ist noch eine Veranstaltung unter freien Himmeln, wo Hacker brutzeln und ihre Häcksen ächsend die Kinderwagen über Heidehügel schieben lassen", der hier in einem Kommentar zum Outdoor-Kongress Hacking at Random im Jahre 2009 zu lesen ist. Auf diesem Festival hatte ich mein Zelt an einem Hang unter einem Busch errichtet und durfte mehrmals dabei helfen, im Stand festgefahrene Kinderwagen über den Hügel zu bringen. Lustig fand ich die Entschuldigung einer Frau-Häckse, dass *ihr* Mann-Hacker leider nicht helfen könne, da er proggen müsse. So kamen die furchtbar sexistischen *ihre Häcksen* ins WWWW mit ächsend als Hinweis, dass es um steckengebliebene Kinderwagen handelt. Der komplette Satz bezog sich zudem auf den vorausgehenden Absatz, in dem dicke Männer Metallklumpen durch die Luft schubsen. Ja, es geht alles vorüber, bis zum Urlaubsschein für den Landser, und wenn er dann doch kommt, der Urlaub, dann findet vielleicht das nächste Camping statt. Auf dem kann der Unsinn mit den Karten und der ach so harschen deutschen Sprache der Nerdszene weitergehen, in der jedes Wort für Frau über kurz oder lang auf ein Weibchen an der Klotür hinausläuft.

*** Ich merke gerade, wie hammeräffinnengeil das Selbstzitieren ist. Wie war das noch, als bei uns die Dotcom-Blase platzte? Blättern wir rund 700 WWWWs hierhin zurück, so findet sich diese wunderbare Beschreibung: Nach den Babyboomern oder den Schlaffis der Generation X, nach dem großen Plopp der Generation@ im Loch von Bielefeld haben die Soziologen der Gegenwartskultur nun die Bobos gefunden. Bobo ist das Modewort für "Bohemian Bourgeoisie", die sich an Orten wie dem Silicon Valley, in London oder Berlin herumtreibt. Bobos sind die Neureichen des Internet-Booms, die Millionen gescheffelt haben, aber sich nicht anständig anziehen. Die, die die teuerste Uhr am Handgelenk tragen, sich aber mit einem eBay-T-Shirt und dreckigen Jeans in die Berliner U-Bahn werfen, um zur Internet World zu fahren. Danach wurde es still um die Bobos, es kamen die schicken, biologisch-dynamischen Lohas. Heute werden die Blender-Bobos von damals vornehm Generation Dotcom genannt, die nunmehr von den Digital Natives ins Rentier-Dasein getrieben wird. Diese trübgeilen "Gründer"-Typen, die auf Edelkitsch-Konferenzen wie der nächsten DLD in jedes Mikrofon lamentieren, dass es in Deutschland kein Facebook und kein Google gibt, tun bekanntlich alles, um genau dies zu verhindern. Da wird in aller Exitgeilheit der letzte Pfusch, der xte Klon einer US-Idee "gegründet" und gepusht, bis sich der nächste doofe Millionär gefunden hat, der für den angesamwerten Müll 10 oder 20 Millionen berappt.

*** Mit dem Skandal um Lieferheld tritt nun ein weißer Bobo auf den Plan, der Gerechtigkeit ruft und aus seiner angesammelten Kohle gar eine Belohnung ausgesetzt hat, auf dass die dunklen Machenschaften all der Dons der Berliner Startup-Szene ans Tageslicht kommen. Der WWWW-Lesern wohlbekannte Ehssan Dariani ist's, der einstmals seinen Geburtstag mit dem "Gebot der Pflicht" zur Feier des Führergeburtstages verknüpfte und 2006 unter der Domain "Völkischer-Beobachter.de" den "Erfolg der Bewegung" feierte. Besagter Dariani zitierte in einem späteren Interview gar Kant zum eigenen Vorbild, wenngleich leicht schiefgewickelt – "Höre auf, Autoritäten zu zitieren" entspricht nicht wirklich dem kategorischen Dativ vom Einschalten des eigenen Verstandes. Nun ist er wieder beim Führer angelangt und vergleicht in einem längst von Anwälten gelöschten Kommentar die feindlichen Start-Masterminds mit Adolfski Hitlers entrepreneurial Spirit, der Parteien, Organisationen und Reiche gründete.

*** Beginnt jetzt das große Fressen unter den Alt-Bobos? Stehen sie sich die Augen aus, passiert gar ein komischer Unfall auf einem "südafrikanischen Schießplatz"? Es wäre nicht das Schlechteste, wenn die dubiosen Machenschaften mancher Start-Ups aufgedeckt würden und sich darunter der eine oder andere Direktbefehl zum Copycat-Geschäft findet. Vieles spricht allerdings dafür, dass die Geschichten mit anwaltlicher Hilfe unter einer Flauschdecke verschwinden, bis neue Frontmänner wie René Obermann das freundliche Gesicht dieser Branche stellen. Bis dahin kann man die Schwurbeleien der von den Masterminds finanzierten Hofberichterstatter wie Gründerszene oder Deutsche Startups lesen, muss man aber nicht. Digitalnativistisch gesagt: [mimimi]Wo ist Dotcomtod?[/mimimi] Es ist bezeichnend, dass der große Grantler vom Tegernsee schweigt – post coitum omne animal triste est, sive gallus et mulier.

Was wird.

Beim stark statistisch gefärbten Jahresrückblick haben treue WWWW-Leser_innen (so richtig?) bemängelt, dass so gar nichts für die nächste Zukunft vorhergesagt wurde. "XY Oder auch nicht" sei zu beliebig, da müssten Fische in die Butter. Nun denn: 2013 ist ein Wahlkampfjahr, das macht die Dinge einfach: Das Internet wird diskutiert und von der Politik umschmeichelt, doch von der Polizei überwacht wie nie zuvor. Hat nicht das wunderbare COMPOSITE-Projekt gezeigt, wie sich Alles zum Guten wenden kann, wenn sich die Herrschaften digital präsentieren? Der eKontaktbereichsbeamte wird es richten: " Zum einen wird eine vertrauensvolle Verbindung zwischen Bürgern und Polizeien aufgebaut. Die Interaktion wird enger, der Dialog verstärkt. Die Polizeiarbeit wird transparenter, Bürger erleben die Polizei als menschlicher und das Vertrauen steigt. Verstärkt wird dies durch den in den sozialen Netzen üblichen persönlichen Kommunikationsstil, der im Gegensatz zur gewohnten bürokratischen Behördensprache steht. Jaja, die Zeit der digitalen Romantik mit moralischen Hackern ist vorbei, nun gilt es, Präsenz zu zeigen.

Alle Annahmen zur Sicherheit im Internet müssen nach den Berichten über Türktrust oder dem Kongress-Vortrag über Diginotar auf den Prüfstand, egal wie viele Cryptokonferenzen auf der ganzen Welt Verbesserungen in Sachen Sicherheit vorstellen werden. Peer Steinbrück gewinnt mit den Grünen die Bundestagswahl, tauscht aber den Posten mit dem Präsidenten des Sparkassen- und Giroverbandes Schleswig-Holstein. So bekommt er endlich das Amt, das er schon 1998 haben wollte. Die Piratenpartei fusioniert mit den ebenfalls gescheiterten Gelbsäcken zur Freien Piratenpartei.

Der Blick schweift ins Ausland. Präsident Obama trifft sich zum Ordensanhängen mit Adrian Lamo für seine Verdienste, der eben erwähnten moralischen Hackerei den Garaus gemacht zu haben. Julian Assange bleibt bis zur Wahl von Ecuadors Präsident Correa in der Londoner Botschaft und wird dann nach Schweden transportiert. Dort wird er wegen verrotteter Beweise auf freien Fuß gesetzt und erleidet eine Identitätskrise, nachdem der den Film mit Alicia Vikander und Daniel Domscheit-Brühl gesehen hat.

Microsoft vernichtet mit seiner Obsession, Google vernichten zu wollen weiter ordentlich Kapital und muss am eigenen Büro erleben, wie Apple bevorzugt wird. Google übernimmt nach einigen Anläufen das Management von Nordkorea als Testbed für Google Country. Der Heiseticker fällt nicht unter die Leistungsrechtssperrdurchführungsanordnung von Co-Bundeskanzlerin Schröder. Schließlich ist "10 kleine Negerlein" im IT-Support ein gängiger Ausdruck für all die Anwender, die man loswerden will. (vbr)