Koalitions- und Juristenstreit um Online-Durchsuchungen

Während die CSU in Bayern Dampf macht bei den umstrittenen Netzbespitzelungen, will die SPD eine gesetzliche Regelung zunächst auf Eis legen. Anwaltsverbände fordern einen kompletten Stopp des Anti-Terrorpakets.

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Wenn es um ihre Pläne geht, das Überwachungsnetz im Rahmen eines neuen Anti-Terrorpakets auszubauen, gibt die große Koalition weiter ein uneinheitliches Bild ab. Besonders umstritten bleiben die heimlichen Online-Durchsuchungen, die Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) als Teil seines geplanten Sicherheitsgesetzes mit vorantreibt. Während die CSU in Bayern über einen eigenen Gesetzesvorschlag im Bundesrat Dampf machen will, plädieren Sozialdemokraten erneut für ein gesetzgeberisches Moratorium. So fordert der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, im Spiegel, die geplante gesetzliche Regelung für Netzbespitzelungen von Festplatten privater Computer und virtueller Speicherplattformen im Web zunächst "auf Eis zu legen".

Wiefelspütz pocht seit Ende April darauf, alle weiteren Beratungen über eine Rechtsgrundlage für verdeckte Online-Durchsuchungen zurückzustellen. Es sei abzuwarten, wie das Bundesverfassungsgericht über entsprechende Regelungen aus Nordrhein-Westfalen entscheide. Bürgerrechtler und der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) haben gegen das neue nordrhein-westfälische Verfassungsschutzgesetz in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde erhoben, da dieses erstmals einem Nachrichtendienst eine parlamentarisch abgesegnete Möglichkeit zur Netzbespitzelung einräumt. Laut Wiefelspütz soll daher die umstrittene Präventivmaßnahme nicht – wie von Schäuble geplant – noch vor der Sommerpause im Gesetz zu den neuen Präventivbefugnissen des Bundeskriminalamts (BKA) geregelt werden.

Die Union will unterdessen Aufklärung darüber, wer die politische Verantwortung für die offenbar rechtlich nicht ausreichend geregelten Online-Durchsuchungen des Bundesverfassungsschutzes trägt. In einer Sondersitzung des parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) verlangten dessen Mitglieder auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion am vergangenen Freitag vollständige Akteneinsicht rund um die Entstehung einer Dienstvorschrift, die der ehemalige Innen- und heutige Justiz-Staatssekretär Lutz Diwell im Juni 2005 unterzeichnet hatte. Mit der Anweisung autorisierte er den "heimlichen Zugriff auf IT-Systeme unter Einsatz technischer Mittel".

Unter Berufung auf die Klausel forschte das Bundesamt für Verfassungsschutz laut Spiegel unter anderem die Festplatte eines Berliner Islamisten mittels einer Spezialsoftware erfolgreich aus. In anderen Fällen soll die Maßnahme aber im Vorfeld von Verdächtigen entdeckt und konterkariert worden sein. Rund ein Dutzend heimliche Online-Durchsuchungen hat der Verfassungsschutz nach offiziellen Angaben bislang durchgeführt.

Das Innenministerium will für die Präventivmaßnahme nun das Grundgesetz ändern. Nach einem Vorschlag von Schäubles Beamten könnte in Artikel 13, der die Unverletzlichkeit der Wohnung regelt, künftig auch "die Datenerhebung mit technischen Mitteln" mit einer Grundgesetzänderung verankert werden. Das Konzept der bayerischen Regierung will die tiefen Grundrechtseinschnitte dagegen wie eine Telefonüberwachung, also mit deutlich niedrigeren Einsatzhürden, handhaben. Der Entwurf soll am 8. Juni in den Bundesrat eingebracht werden.

Der Präsident des Deutschen Anwaltvereins (DAV), Hartmut Kilger, erklärte die Spionage in privaten Festplatten unterdessen gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung zum größtmöglichen Sündenfall der großen Koalition: "Würde sie erlaubt, hätte das entsetzliche Folgen für Intimität und Würde der Bürger." Insgesamt stößt der "Schäuble-Katalog" bei juristischen Fachverbänden auf massive Vorbehalte. So rief der DAV Schwarz-Rot gemeinsam mit der Bundesrechtsanwaltskammer auf, die Pläne im Koalitionsausschuss am heutigen Montag komplett zu stoppen. "Die Sicherheitspolitik droht jedes Maß zu verlieren", begründet Kilger den Appell. Sollte Schäubles lange Liste umgesetzt werden, "verabschiedet sich Deutschland vom Freiheits- und Rechtsstaat zum Präventivstaat." Die Vorstöße für eine polizeifreundliche Neuregelung des großen Lauschangriffs und Rasterfahndungen etwa seien ein "Frontalangriff auf das Grundgesetz".

Der DAV-Präsident ermahnte zugleich Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD), mit der massiven Rückendeckung aus der Fachwelt im Koalitionsausschuss "klare Kante zu zeigen und den Plänen des Innenministers energisch entgegenzutreten." Es gehe um fundamentale Fragen des Rechtsstaats, in denen sich jedes Koalitionsgeschacher verbiete. Der Vizepräsident der Bundesrechtsanwaltskammer, Ulrich Scharf, unterstützte Kilgers Forderungen: "Es werden Ängste in der Bevölkerung geschürt und instrumentalisiert, um eine gesellschaftliche Akzeptanz für weit reichende Kompetenzen der Sicherheitsbehörden zu schaffen." Grundrechte dürften aber nicht auf dem Altar vermeintlicher Sicherheitsinteressen geopfert werden. Die Juristen wollen im Laufe der Woche auf dem Deutschen Anwaltstag in Mannheim eine Resolution gegen Schäubles Paket verabschieden, sofern die Regierung an den Plänen festhält.

Zu den Auseinandersetzungen um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (vbr)