Studie: Überwachung untergräbt Unschuldsvermutung

Ein erster Bericht eines EU-Projekts zur Erforschung von Überwachungsgesellschaften schätzt die unbeabsichtigten Folgen und Kosten staatlicher und privater Kontrolle als inakzeptabel hoch ein.

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Die unbeabsichtigten Folgen und Kosten staatlicher und privater Überwachung könnten "voraussichtlich inakzeptabel hoch" ausfallen, wie ein von der EU-Kommission gefördertes Forschungsprojekt zu Überwachungsgesellschaften in einem ersten Bericht (PDF-Datei) urteilt. Die über 400 Seiten lange Studie führt bei den sozialen Belastungen durch steigende Kontrolle unter anderem nicht hinnehmbare Raten falscher "Treffer" unter Verdächtigen auf sowie die kategorische Diskriminierung sozialer und ethnischer Gruppen. Die Überwachung könne zudem soziale und demokratische Aktivitäten genauso untergraben wie das Vertrauen in Staat oder Gesellschaft, heißt es in der Untersuchung.

Mit dem Wachstum der "präventiven Überwachung" vor allem im Kampf gegen den Terror oder die organisierte Kriminalität werde zudem "die Unschuldsvermutung als wichtige rechtliche Schutzregel schrittweise ausgehöhlt". Polizeiarbeit werde immer weniger mit dem "Verhaften von Dieben" verknüpft. Dagegen sei ein proaktiver Ansatz in Mode gekommen, der den Fokus auf die Verhinderung und die frühe Identifikation möglicher Verdächtiger lege. Die Folgen seien noch nicht zu überblicken. Insgesamt gebe es eine Tendenz zur "Normalisierung" der Überwachung in gegenwärtigen Gesellschaften.

Als Trends hat das Konsortium unter anderem die wachsende Nachfrage für einschlägige Techniken im öffentlichen Sektor ausgemacht. Aber auch im zivilen und kommerziellen Sektor würden Instrumente etwa zur Videoüberwachung verstärkt gekauft. Es habe sich eine globale Überwachungsindustrie gebildet, deren Schlüsselmärkte Biometrie, die Durchleuchtung des Internetverkehrs, Chipkarten und RFID, das "intelligente Heim", unbemannte Flugobjekte, Personen- oder Objektscanner und Kamerainstallationen seien.

Die Branche habe mit einem schlechten öffentlichen Image zu kämpfen, das genährt werde durch "unethische und sogar illegale Geschäftspraktiken", rechtswidrige staatliche Subventionen, Datenschutz- und Sicherheitsbedenken. Zum Sündenregister zählt der Bericht auch Menschenrechtsverletzungen, den Verkauf von Technologien in autoritäre und undemokratische Regime sowie die Irreführung von Verbrauchern.

Angesichts dieser Ausprägung der Branche und ihres wachsenden Potenzials, in Grundrechte und Freiheiten einzugreifen, empfehlen die Experten die Überwachung der Überwacher durch verschiedene Interessenvertreter. Ein solches Forum sei nötig, da Datenschützer nur begrenzte Ressourcen und einen eingeschränkten rechtlichen Blick auf die Folgen der Bespitzelung hätten. Zudem könnten ihrer Einschätzung nach eine stärkere Selbstkontrolle und verpflichtende Datenschutzabschätzungen die Lage verbessern.

Das im Februar 2012 gestartete, auf drei Jahre ausgelegte Projekt mit dem Titel "Increasing Resilience in Surveillance Societies" (IRISS) hat es sich zur Aufgabe gemacht, Formen der Widerstandskraft in Überwachungsgesellschaften auszuloten. Zu den Beteiligten zählen 16 Forschungseinrichtungen und Beratungsfirmen. Aus Deutschland sind ein kriminologisches Institut der Uni Hamburg, das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) und die Universität der Bundeswehr München.

In weiteren Schritten sollen unter anderem die Einstellungen von Bürgern zur Überwachung eruiert und Möglichkeiten zum Ausüben demokratischer Rechte in unterschiedlichen regulatorischen Systemen beleuchtet werden. (axk)