Google: "Wir fangen gerade erst an"

Eine Analyse: Mit manischem Tempo treiben über 50.000 Google-Mitarbeiter die Entwicklung voran. Die Entwicklung wovon lässt sich nicht mehr so richtig eingrenzen. Doch Google-CEO Larry Page sieht seinen Konzern erst am Anfang.

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Mit manischem Tempo treiben über 50.000 Google-Mitarbeiter die Entwicklung voran. Die Entwicklung wovon lässt sich nicht mehr so richtig eingrenzen. Am Ende hat alles irgendwie mit Menschen und Daten zu tun. Das Ausmaß der Google-Dynamik wird selbst vielen Beobachtern erst beim Blick ins Archiv bewusst. Doch Google-CEO Larry Page sieht seinen Konzern erst am Anfang.

"Ich weiß es klingt lustig", schnaufte er den Finanzanalysten anlässlich der Bekanntgabe der Jahreszahlen 2012 via Telefon ins Ohr. "Aber mit den ambitionierten Plänen, die wir haben, fangen wir gerade erst an." Pages Stimme ist krank. Bis Oktober war der 39-Jährige deswegen monatelang nicht in der Öffentlichkeit aufgetreten. Seine medizinische Diagnose ist nicht öffentlich bekannt. Die Diagnose geht eigentlich auch niemanden etwas an. Doch wenn es den Chef des größten Datenkonzerns der Erde betrifft würde selbst ein Schnupfen zum Thema.

Der Kontrast zwischen der Stimme, die man hört, und den Worten, die sie spricht, ist stark. "Es ist meine Natur, nie zufrieden zu sein", sagte Page gleich zu Beginn. "Wir haben tatsächlich echten Fortschritt dabei erzielt, schönere und intuitive Produkte zu kreieren." Dann zählte er einige Errungenschaften des Jahres 2012 auf.

2012 hat Google den Umsatz von knapp 38 auf über 50 Milliarden US-Dollar gesteigert, auch durch den Zukauf von Motorola Mobility zur Jahresmitte. Der Reingewinn ist um eine Milliarde Dollar von 9,74 auf 10,74 Milliarden gestiegen, trotz der Verluste von Motorola Mobility. Der Kurs der Google-Aktie ist von Anfang 2012 bis Dienstagabend, als nachbörslich infolge der Bekanntgabe der Jahreszahlen noch ein Plus von fünf Prozent herausschaute, um mehr als ein Viertel gestiegen. Damit hat Googles Gesamtbörsenwert sowohl jenen Microsofts als auch den IBMs überholt. Zwei dieser drei Firmen zusammen sind etwa so "schwer" wie Apple. Doch das kann sich jederzeit ändern und scheint für die Google-Gründer keine Richtschnur zu sein. Sie haben langfristige Pläne.

Dazu gehören etwa die selbstfahrenden Autos, die 2012 erstmals öffentliche US-Straßen befahren durften. Oder die Übernahme des angeschlagenen Handy-Herstellers Motorola Mobility. "Wir leben in einer Welt der vielen Bildschirme. Die Leute tragen einen Supercomputer in der Hosentasche, die ganze Zeit", führte Page aus. "Viele Leute haben mehrere Geräte, einen Laptop, ein Handy und ein Tablet. Wir leben in unerforschtem Territorium." Eine solch umfassende Veränderung habe es seit der Geburt des Personal Computing wohl nicht mehr gegeben.

"Die Möglichkeiten sind unendlich. Denken Sie an Ihr Gerät: Die Akkulaufzeit ist ein Problem", krächzte es aus dem Hörer. "Wenn Sie Ihr Handy fallen lassen, sollte es nicht 'klirr' machen." Das Motorola-Team arbeite an diesen Gelegenheiten. Finanzchef Patrick Pichette trat wenig später auf die Bremse: "Wir sind wirklich sehr erfreut über die Geschwindigkeit der Veränderungen bei Motorola. Aber wir sind immer noch ganz am Anfang der Google-Motorola-Story."

Niemand solle überrascht sein, wenn die Finanzergebnisse dieses Segments für einige Zeit schwanken würden, während das Geschäft restrukturiert werde. "Und behalten Sie in Erinnerung: Wir haben eine zwölf bis 18 Monate lange Produktplanung geerbt, die wir noch abarbeiten", suchte Pichette die Erwartungen zu dämpfen.

Zu den weiteren langfristige Projekten zählen beispielsweise Google+, Google Maps samt Streetview, Google Wallet, der Aufbau eines eigenen Fibre-to-the-Home-Netzes in Kansas City, oder namhafte Investitionen in erneuerbare Energien. Gleichzeitig kann sich Google Fehlschläge leisten und ist dann auch nicht scheu, weniger erfolgreiche oder überreife Produkte ohne Wehmut abzuschaffen. Die Liste ehemaliger Google-Dienste ist lang, berühmtestes Beispiel dürfte wohl der Twitter-Konkurrent Buzz sein. Aber auch Sky wird von Google praktisch nicht mehr gepflegt; und warum die schon präsentierte und zwischenzeitlich bestellbare Kugel "Nexus Q" bisher nicht zu haben ist, wurde bislang nicht verraten.

Unterdessen setzen sich die erfolgreichen Dienste (und in jüngerer Zeit auch Geräte) so schnell im Bewusstsein der interessierten Anwender fest, dass sie manchmal verwundert feststellen, wie jung diese Angebote eigentlich sind. Im heise-Ticker fand sich im Jahr 2012 das Stichwort Google in durchschnittlich mehr als einer Meldung pro Tag. Eine willkürliche Auswahl der darin vorgestellten Neuerungen soll das Eingangs erwähnte manische Tempo Googles veranschaulichen:

Die Machbarkeitsstudie der "Glass"-Brille, die Eröffnung von Google Play, die neuen Geräte Nexus 4, 7, und 10 sowie neue Chromebooks zu auffallend günstigen Preisen, der Beginn eines eigenen Hardware-Vertriebs, die Übernahme von Motorola Mobility und die Einigung mit einem Käufer für die Teilsparte Motorola Home, Google Now (mulmiges Gefühl inklusive), der Knowledge Graph in sieben Sprachen, die selbstfahrenden Autos auf den Straßen Nevadas, Anträge auf diverse generische Top Level Domains, die Compute Engine in der Wolke, die ersten Glasfaseranschlüsse in Kansas City, neue Versionen von Android und Chrome, iOS-Apps für Google Maps und andere Dienste, detaillierte Luftaufnahmen für Google Maps, eine Reform von Google Shopping, der Verkauf von Software-Dienstleistungen an Unternehmen und Behörden, die Senkung des Energieverbrauchs in den Rechenzentren, Google Earth 7, Hangouts mit Live-Streaming, die Programmiersprache Go, Initiativen für ein barrierefreies Web und IPv6 und ein Vorstoß für SPDY als Grundlage für HTTP 2.0.

Abseits der Produkte sei auf eine Kampagne gegen Homophobie, Zoff mit Kartellwächtern und diverse Patentstreitigkeiten, die Beilegung des Streits mit französischen Verlegern sowie belgischen Zeitungsverlagen, die erfolgreiche Verteidigung gegen Oracle in Sachen Java bei Android und ein Bemühen für mehr Transparenz in Sachen Zensurbegehren verwiesen.

Während es mit der GEMA und Youtube in Deutschland nicht klappte, konnten in den USA mit großen Verlagen sowie den wichtigen Labels und Hollywoodstudios Verträge für Google Play abgeschlossen werden. An unangenehmen Vorfällen im eigenen Haus gab es etwa Probleme mit indischen Vertragspartnern, die Open Street Map sabotieren wollten, sowie kenianischen Mitarbeitern, die sich laufend an einem fremden elektronischen Branchenbuch bedienten. Als Beispiele für kleinere Übernahmen im Jahr 2012 seien Buffer Box und Incentive Targeting genannt.

Und das alles nur im Jahr 2012. Wenn Page seine Firma damit erst am Anfang sieht, steht er vor einer großen Herausforderung: Diese auseinander driftenden Betätigungsfelder unter einem Dach, unter einer Philosophie zusammenzuhalten.

Siehe dazu auch:

(jk)