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Was war. Was wird.

Nach dem #Aufschrei ist über der norddeutschen Tiefebene noch ein gequältes Aufstöhnen zu hören. Doch Hal Faber geht weiter an die Schmerzgrenze und guckt "Beauty & The Nerd", natürlich aus rein wissenschaftlichen Gründen.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Der #Aufschrei war groß, gefolgt von einem gequälten Aufstöhnen. Was Talkshows von Jauch über Will bis Illner über die Diskussionen im Internet ablieferten, war einfach nur grausam. Noch den besten Auftritt hatte @marthadear, deren Wunsch, am V-Day mit #billionrising groß rauszukommen, in Erfüllung gehen dürfte. Eine Milliarde Menschen sollen für eine Milliarde misshandelter Frauen tanzen. Ein Unding für eine wie Wibke Bruhns, die bei Jauch in jenseitiger Maskenstarre als Relikt der schlechten 60er auftrat. Für sie ist gesellschaftliche Veränderung offenbar bei den Hoden der Männer angesiedelt und damit praktisch nicht existent oder nur in Ochsenform passend zum dirndltauglichen Gegenstück.

*** Was reden Männer so über Frauen, wenn sie mal nicht Brüderle oder Kubicki heißen? "Die macht nicht den Eindruck eines Dorffahrrads – also dass jeder schonmal draufgefahren ist." Ganz ohne jeden Aufschrei fiel dieser Satz bei #batn oder Beauty & the Nerd, mit dem Zuschauer Einblick in das heiße Leben von IT-Fachleuten bekommen sollen. So muss man sich also den typischen männlichen Heise-Leser vorstellen, wenn man nicht gleich den Über-Geek Gates vor Augen hat, der aus dem Stand über Stühle springen konnte. Die Serie beruht auf einer geekigen Idee von Jobs-Darsteller Ashton Kutcher, wurde aber in Deutschland bzw. Südafrika bizarr umgesetzt, mit Frauen, die nicht programmieren und Nerds, die kein Zelt aufbauen können. Jedes nerdige Sommercamp beweist das Gegenteil. Wer immer die "Mode" für die Nerds ausgesucht hat, muss seinen Spaß gehabt haben wie die Nerds in Berlin, die eine CCC-Versammlung simulieren oder fotografieren durften. Der Film über die Flegeljahre von Wikileaks und Assange ist bald im Kasten, die IMDB-Daten über das Abenteuer der beiden Freunde Julian und Daniel sind angelegt. Nun soll der Assange-Darsteller Cumberbatch Alan Turing spielen: Manche Nerd-Witze sind wirklich gut.

*** Die meisten Leser dieser kleinen Wochenschau würden Kim Dotcom nicht einmal ihren Müll anvertrauen, geschweige denn sein Mega nutzen. Nun hat besagter Wunsch-Neu-Neuseeländer nicht nur sein Mega Vulnerability Hack ausgerufen, sondern sich für Assange ins Zeug gelegt und bestätigt, wie furchtbar gemein die USA doch ist. Ein Spionagestaat, in dem die Vision von George Orwell Realität wird, in dem Andersdenkende gnadenlos gehetzt werden. Passt das zu der real existierenden USA? Passt das zu dem friedlichen Blick auf die Folter, wie es vom "Duo" Joschka Fischer und Ernst Uhrlau (v)erklärt wird? Wenn Protagonisten der neuesten und allerneusten Geschichte bereits Gedächtnistrübungen haben, bleiben die Lehren aus der Geschichte aus.

*** Es ist fast so wie damals mit diesem Stalingrad oder dem Ort, der sechs Tage im Jahr Stalingrad heißen soll. Aus Paulus wurde Saulus, mit Auto, aber einem Fahrer, der nicht nach seinen Weisungen fuhr. Die Lehren der Geschichte? Ach, lassen wir das. Ein feiger Feldherr war das und der Rest Produkte eines Wahnsinnigen aus Braunau, der ganz Deutschland beherrschte. Ganz Deutschland? Ein Dorf leistete Widerstand, ganz ohne Zaubertrank.

*** Das heutige Deutschland hat Soldaten im Kosovo, in Afghanistan und bald werden Ausbilder auch in Mali unterwegs sein. Derweil leistet sich Deutschland eine Drohnendebatte, ausgelöst von einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion. Dabei geht es derzeit um waffentragende Drohnen, weil bald ein Leasingvertrag für israelische Heron-Drohnen ausläuft, die als Aufklärer in Afghanistan fliegen. Ihre bald zu bestellenden Nachfolger sollen nach dem Willen des Verteidigungsministeriums auch Raketen mit sich führen können. Deshalb kommt Ethik in die Debatte über Tod und Ödnis, in der kaum noch von Aufklärung die Rede ist, im doppelten Sinne. Dass z.B. ausgediente Flieger bewaffnete Drohnen sind, wird ebenso unterschlagen wie die zunehmende Leistungsfähigkeit der Aufklärungskameras, die sich prima zur Überwachung ganzer Städte eignen. Ein falscher Tanz mit ausgebreiteten Armen auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums und rumms, der Terror ist besiegt.

*** So erinnert die "ethische" Debatte um Hemmschwellen am Monitor an all die hochtrabenden Statements zur Cyber-Sicherheit und zum Cyber-War, die souverän schnuckelige Angriffsvektoren ignoriert, über die wirklich Schrott produziert werden kann. Nicht zu vergessen das Argument, dass es "nur" Zeitungen wie die New York Times oder die Washington Post getroffen haben soll: Wer glaubt, dass betroffene Konzerne ihre Cyber-Unterwanderung melden werden, wenn sie bemerkt wird, glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten. "Verwunderlich ist bei all der Aufregung und Bestürzung über die Infiltration, wie lange die Vorgänge von den betroffenen Unternehmen unter Verschluss gehalten wurden", heißt es hier. Manche Journalisten-Witze sind besser als jeder Nerd-Witz.

*** Achja, die gute alte Zeitung. Bekanntlich stirbt sie aus, mit Tempo 120, gut zu erkennen an dem seltsamen Leistungsschutzrecht, das in dieser Woche von Sachverständigen in Berlin zerpflückt wurde. Dass eine sterbende Branche röchelnd nach dem Staat ruft, kennt man ja vom Kohlebergbau und der energiewendegeladenen Strompreisbremse oder Ökostromumlagedeckelung. Dass Google als der eigentliche Adressat des Leistungsschutzsrechtes bei der Konsultation der Sachverständigen nicht dabei war, ist typisch deutsch. Dafür kommt jetzt die lustige Antwort aus Frankreich: 60 Milliönchen von Google wandern als Einmalzahlung in einen Fonds für "Innovationsprojekte" rund ums digitale Publizieren, während die nicht sonderlich innovativen Verlage sich enger an Googles Werbemaschinerie binden. Kleine Prüfsumme am Rande: Allein im Jahre 2011 hat Google Frankreich einen Umsatz von 1,4 Milliarden Euro gemacht – und steuerbegünstigt ins Googleplex überwiesen. Der oberste deutsche Leistungsschutzexperte auf Verlegerseite arbeitet bei Springer und schreibt leicht angesäuert in seinem Blog von einer einseitigen Lösung und kurzfristiger Denke. Dass der französische Premierminister Hollande in dem Deal ein Vorbild für "toute l'Europe" sieht, erwähnt er lieber gar nicht.

Was wird.

Es geht uns gut in Deutschland. Wer jammert, tut dies (abgesehen von Springer-Experten) auf einem hohen Niveau. Die Vorstellung des Migrationsberichtes der Bundesregierung zeigte in dieser Woche, dass es anderswo düsterer aussieht. Griechen, Spanier und Italiener sind es, die zu uns ziehen. Nicht wenige von ihnen kaufen dazu gleich passende Wohnungen, denn dann ist das Geld besser angelegt als daheim. Zum Migrationsbericht (und anderen Themen) hat unser Bundesinnenminister eine Reihe von interviews geführt, darunter ein bemerkenswertes in der Freien Presse von Chemnitz: "Wir brauchen eine Art ESTA-System für ganz Europa. Wer aus einem Land mit Visafreiheit in die EU einreisen will, meldet sich dann online an, sagt, wer er ist und was er in der EU will." Das Ganze nach Möglichkeit bestückt mit biometrischen Daten, die im ESTA-System der USA gar nicht abgefragt werden. Das soll allen Ernstes einen "Kontrollverlust" ausgleichen und im Kampf gegen den Terror helfen. Eine neue Datenbank, möglicherweise mit biometrischen Zusätzen, juchhu, da leuchten die Augen auf. Wer nachschaut, was Innenminister Friedrich meint, wenn er von einem Exit-Entry-System spricht, stößt auf europäische Initiativen zum Problem der Overstayer. Die Logik stimmt schon, denn wer sich über solche Genehmigungen und Verordnungen hinwegsetzt, ist ein übler Aufenthaltsterrorist, ein Gastlandverräter, ein Datenschutzegel, eine Gollummöbe, hinweg, hinweg! (vbr)