FDP-Politiker lässt kritische Links per Anwalt löschen

Die FDP-Nachwuchshoffnung Christian Lindner geht gegen Links im Web vor, die zu einem seiner Ansicht nach rechtsverletzenden Artikel über Wikipedia-Aktivitäten seiner Mitarbeiter weisen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 297 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Holger Bleich

Dass es immer wieder Versuche gibt, Einträge in der Wikipedia zu schönen, ist bekannt. Unternehmen strengen sich an, negative Publicity einzudämmen, Politiker wollen sich im viel gelesenen Online-Nachschlagewerk in bestem Licht sehen. Anfang Januar hatte das Magazin Wirtschaftswoche im Heft und online den Verdacht geäußert, dass Mitarbeiter des FDP-Landes- und Fraktionsvorsitzenden im NRW-Landtag Christian Lindner im Sommer 2012 viele Male versuchten, anonym den Eintrag zur FDP-Nachwuchshoffnung "aufzuhübschen". Als Indiz galt der Wirtschaftswoche, dass allein 40 Änderungen von einer IP-Adresse vorgenommen wurden, die sich den Düsseldorfer Landtag zuordnen ließ.

Außerdem beschrieb das Magazin zwei Fälle, in denen Mitarbeiter von Lindner Presseorgane dazu bringen wollten, Artikel über den Politiker zu ändern oder zu entfernen, weil sie angeblich falsche Behauptungen enthielten. Der Sprecher Lindners habe das dahinter stehende Motiv erläutert: "In Lindners Wikipedia-Eintrag wird auf den Text Bezug genommen, und solange die Quelle nicht verschwunden ist, lassen die Wikipedianer eine Veränderung des Eintrags nicht zu."

Nun, so scheint es, ist die Wirtschaftwoche selbst von der kritisierten Praxis betroffen. Die Handelsblatt GmbH, zu der das Blatt gehört, hat eben jenen Artikel gesperrt. Wer den direkten Link aufruft, erhält eine 404-Fehlerseite. Gegenüber heise online bestätigte Franziska Bluhm, Chefredakteurin Online bei der Wirtschaftswoche: "Richtig, wir haben uns mit Herrn Lindner darauf verständigt, dass der Artikel nicht mehr weiterverbreitet werden soll, weil er in drei Punkten angreifbar erschien. Die Entfernung erfolgte ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, gleichwohl rechtsverbindlich."

Doch dies genügt Lindner offenbar noch nicht: Die von ihm mandatierte Medienrechtskanzlei Graef Rechtsanwälte hat in der vergangenen Woche einige Website-Betreiber angeschrieben, die lediglich den Link zu dem gar nicht mehr abrufbaren Artikel publizierten. In dem Anschreiben heißt es: "Sie haben den Artikel der Wirtschaftswoche, 'Wikipedia-Manipulation: Der perfekte Lebenslauf für Lindner' [...] auf Ihrer Seite weiterverbreitet und zu Eigen gemacht." Dem Schreiben zufolge habe der Artikel "diverse unwahre Tatsachenbehauptungen" enthalten. Mit dem Setzen des Links auf den nicht abrufbaren Artikel verbreiten die Site-Betreiber nach Ansicht der Kanzlei den Artikel weiter. Lindners Anwalt fordert schließlich, den Link zu löschen und eine diesbezügliche Unterlassungserklärung zurückzuschicken.

Im Gespräch mit heise online erklärte der Anwalt Ralph Oliver Graef, Christian Lindner stoße sich insbesondere daran, dass ihm von der Wirtschaftwoche und eben auch in der beschreibenden URL zum Artikel Manipulation vorgeworfen werde. Darauf bezögen sich auch die festgestellten "diversen unwahren Tatsachenbehauptungen". Dies erscheint seltsam, denn im Originalartikel der Wirtschaftwoche, der heise online vorliegt, distanziert sich der Autor sogar nachdrücklich vom Manipulationsbegriff. "All das ist kein Verbrechen", heißt es da. Lindner agiere bezüglich der Wikipedia "im Graubereich zwischen Imagepflege und Manipulation".

Ein Site-Betreiber, der von Lindners Kanzlei zur Link-Löschung aufgefordert wurde, berichtete heise online, auch auf Nachfrage keine weitere Begründung zur vorgeworfenen Rechtsverletzung erhalten zu haben. Zwei Site-Betreiber haben unabhängig voneinander bei der Wirtschaftswoche angefragt, um welche falschen Tatsachenbehauptungen in dem gelöschten Artikel es sich handle. Beide erhielten ihren Angaben zufolge die Auskunft, dass es hauptsächlich um die Menge der Änderungen am Lindner-Wikipedia-Eintrag im Jahr 2012 gegangen sei: Während die Wirtschaftswoche von 500 Änderungen schrieb, seien es tatsächlich weniger als 400 gewesen.

Auf ihrer Facebook-Page weist die Wirtschaftswoche nach wie vor auf den vom Netz genommenen, kritischen Artikel über Lindner hin (Stand: 15.02.2012).

Anwalt Graef versicherte, dass die Vorwürfe, es habe anonyme Aufhübschungen gegeben, haltlos seien. Mitarbeiter Lindners hätten sich stets als "Büro Christian Lindner MdB" geäußert. In der Tat hat sich Lindners Büro Mitte 2011 einen Account bei Wikipedia eingerichtet und zweimal mit "Büro Christian Lindner MdB" unterschrieben (hier und hier). Die vielen Änderungen an Lindners Eintrag, auf die sich der gelöschte Artikel bezieht, fanden aber später, nämlich ab August 2012 von eben jener Landtags-IP-Adresse 93.184.129.133 aus statt, und zwar ohne Namensnennung.

Dass Graefs Aufforderungen zur URL-Löschung Erfolg haben, zeigt bereits eine kurze Google-Recherche. Auf Anhieb fanden wir sieben gelöschte Links, unter anderem beim News-Agreggator rivva.de, dem Bookmark-Sharing-Service bibsonomy.org und in mehreren Blogs. Die Wikipedia selbst hält den Link noch im Pressespiegel vor, und sogar im Facebook-Profil der Wirtschaftwoche selbst findet sich noch eine Leseempfehlung inklusive Snippet und sich anschließenden Nutzerkommentaren (siehe Bild). (hob)