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Was war. Was wird.

Die norddeutsche Tiefebene taut langsam, ganz langsam auf. Aus der Hauptstadt von Lenaland wird der Euroschrott nach Malmö verschifft. Hal Faber fröstelt und denkt an den Denkspaßmacher.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die norddeutsche Tiefebene taut langsam, ganz langsam auf. In Hannover, der Heimat des tapferen Verlages dieser kleinen Wochenschau, ist es sogar schon richtig heiß geworden. Wir sind hier schließlich in Lenaland und wenn dieses Schlagersternchen sagt, dass die Plagiatsnummer Glorious toll zum Mitgrölen ist, dann grölen wir eben mit "Delirious, oh oh oh oh, oh oh oh". Freuen wir uns also mit Cascadas Plattenfirma Universal und der "Jury" aus Mary Roos, Roman Lob, Anna Loos, dass der Euroschrott zum Verklappen nach Malmö geschickt werden kann. Natürlich mit einem kleinen Disclaimer, ganz ohne Plattenvertrag: diese Kolumne hat LaBrassBanda ein paarmal zum Anlauschen empfohlen, allerdings in besserer Qualität. Wer bis über die Ohren im Arsch der gut verdienenden Musikbranche steckt, fährt die Regler runter, bis das Blech säuselt.

*** Auch der Kabarettist und Leid-Artikler Dietrich Kittner gehörte zu Hannover, auch er wurde in dieser Kolumne erwähnt als einer der Undogmatischen, der Kritiker, der Denkspaßmacher all jener, die sich nicht einlullen lassen von den "Verhältnissen". Natürlich durfte Kittner nicht im Deutschen Westfernsehen auftreten, er hatte Auftrittsverbot. Zu schlimm seine ständigen Warnungen vor der Aufrüstung und später, nach der Vereinigung, vor dem großen Sozialabbau für den Aufbau Ost. Wer die alberne Debatte verfolgt, ob ein seichter TV-Moderator und Lena-Promoter das Kanzlerduell durchführen soll, kann sich schon nach einem wie Kittner sehnen. Nun ist Dietrich Kittner tot und alle reden von Verlust, doch die Wut auf die "Verhältnisse", sein "Frustschutzmittel", ist reichlich vorhanden. Sie hilft gegen den Burnout wie ihn der Papst ereilte, der am Ende gar die christliche Anarchistin Dorothy Day lobte.

** Stirbt ein Journalist, denkt ein Journalist an den letzten Text des Verstorbenen, den er gelesen hat. Bei Christian Semler war dies ein Stück über die große Weltkarte der Surrealisten, die 1929 gezeichnet wurde und nun in der Berliner Sammlung Scharf-Gerstenberg hängt. Während heute durch Daten gefütterte verzerrte Weltkarten ein Klacks oder nur einen Klick weit entfernt sind, war 1929 große Kunst und politische Kritik am Pseudoobjektivismus der herrschenden Kartografie zugleich. Christian Semler beschreibt in seinem Text nicht nur die Weltkarte. Die große gut besuchte Kolonialausstellung 1931 in Paris wird erwähnt, von da geht es zur Gegenaustellung Die Wahrheit über die Kolonien und schließlich endet der Text mit einem Zitat von Friedrich Engels: "Ein Volk, das andere unterdrückt, kann selbst nicht frei sein". Er ist ein Vermächtnis des Mannes, der einstmals in China und Kambodscha den neuen Menschen am Werke sah und sich damit irrte. Zeit für den Abschied, die geballte Faust über den Gräbern.

*** Im Deutschlandradio hat die CCC-Sprecherin Constanze Kurz die Geschichte von der Einstellung des Peerblogs nach einer DDoS-Attacke als PR-Geschichte abgetan. Dagegen will die verantwortliche PR-Agentur Steinkühler vorgehen, notfalls mit juristischen Mitteln. So kommt es, das aus dem kleinen Internet-Fettnäpfchen des darin sehr begabten Peer Steinbrück ein großer Fettklotz à la Beuys wird, wenn selbst der Service Provider Strato abstreitet, eine DDoS-Attacke gemessen zu haben. Während andere Attacken problemlos gemessen und analysiert werden können, ist der Angriff auf den Netz-Peer nachgerade ätherisch. Warten wir auf den nächsten Schritt ins nächste Näpfchen. Der Internet-Wahlkampf im Jahre 2013 zieht an und dürfte lustig werden. Fehltritte hier, Scheiße am Schuh dort, umgebogene Umfragen und Wikikriege bei den asiatisch aussehenden Gelben. Nur bei den mit dem Christentum im Namen ist alles OK, sieht man vom Rücktritt des Gottesteilchens ab.

*** Fast alles. Denn lustige Geschichten gibt es auch dort, wo das Kreuz den aufrechten Gang substituiert. Etwa von einem Innenminister und CSU-Politiker, der in dieser Woche Hals über Kopf die geplante Teilnahme an einem Polizeikongress absagte. Die Peinlichkeit, einem Kongress der Cyberermittler und Netzspezialisten zu erklären, warum Mail-Postfächer im Pressereferat des Ministeriums angeblich nicht über neun MB hinaus gehen dürfen, hätte wohl den einen oder anderen Lacher provoziert. Vielleicht gibt es statt IMAP ein echt bayerisches "I Mag Net"-Protokoll im bundeseigenen Regierungsnetz, das penibel vom BSI überwacht wird. Leider gerät mit den unsinnigen technischen Argumenten das eigentliche Problem aus dem Blickfeld, das Durchstechen einer Islam-Studie zu einem Boulevardblatt. Das machte aus den wissenschaftlich festgestellten guten Bewertungen junger unchristlich orientierter Menschen eine Schock-Studie. Mit der Veröffentlichung der Studie sollte eigentlich die Aktion "Vermisst" im Rahmen einer "Sicherheitspartnerschaft" mit islamischen Verbänden gestartet werden. Wer heute nach der schick aufgemachten Web-Präsenz sucht, ist sooo 404. Wahrscheinlich hat der Sicherheitspartnerschaftsbeauftragte auch nur neun MB HTML-Parkraum und musste kürzen. Was seinerzeit übrig blieb, ist eine "aus Versehen" durchgeführte Plakataktion im lauschigen Berliner Stadtteil Neukölln.


*** Bill Gates programmiert noch, in C C# und Basic. Dies konnte man jedenfalls der lustigen Fragerunde Ask Bill entnehmen. In ihr zeigte sich Gates erstaunt darüber, wie wenig sich die Programmiersprachen doch entwickelt haben und meinte dann, es müsste kinderleicht sein, eine Sprache zu erlernen. Ich habe keine Ahnung, ob Gates da den Bedrohungs-Report von AVG gelesen hat, nach dem 13-Jährige schlimme Malware entwickeln. In der deutschen Pressemitteilung von AVG über die jungen Verbrecher heißt es: "Wir haben einige Beispiele von sehr jungen Menschen gefunden, die Schadsoftware schreiben, inklusive eines elfjährigen kanadischen Jungen", erläutert Yuval Ben-Itzhak, Chief Technology Officer bei AVG Technologies. "Der Code nimmt in der Regel die Form eines einfachen Trojaners an, der mit Hilfe von .NET framework geschrieben wird. Anfänger können die Funktionen dieser Software-Plattform einfach lernen und anwenden, indem sie den Code in einer E-Mail verlinken oder auf Seiten in sozialen Netzwerken posten." Kinder statt Inder? Wie konnte es bloss dazu kommen? Als größtes Defizit der aktuellen IT-Entwicklung bezeichnete Gates übrigens das Fehlen von guten Identitätslösungen im Netz, die es gestatten, auch unter Pseudonymen sicher aufzutreten. Damit zeigte sich der ehemalige Firmenlenker weit besser informiert als andere, die die Klarnamenspflicht zum Dogma erheben - und vor deutschen Gerichten damit vorerst durchkommen.

Was wird.

Genug der Trauer und der Trauerspiele. Eine neue Woche bricht an, mit dem bereits erwähnten Polizeikongress in Berlin. Dort, wo einstmals der CCC tagte und seine Mitglieder rausgeworfen wurden, wenn sie dort erschienen. Diesmal ist das Interesse offenbar gering, obwohl Facebook im Mittelpunkt der Debatten über "Schutz und Sicherheit im digitalen Raum" stehen wird. Das Fratzenbuch ist eine harte Nuss, zumindest für Polizeibeamte: Im Jahre 2009 wurde bekanntlich das Beamtenrecht reformiert und die altpreußische, obrigkeitsstaatliche Auffassung geändert, nach der ein Beamter eigentlich immer im Dienst ist. Erst danach durften sich Polizeibeamte in ihrer Freizeit auf StudiVZ oder eben Facebook aufhalten und quatschen, solange es nicht um dienstliche Sachen geht und die Pflicht zu politischer Mäßigung beachtet wird.

Die letztens schon erwähnte Debatte über die Drohnen geht weiter. Ein besonders gelungener Verteidigungsversuch ist die Argumentation, nach der mit Hilfe der Drohnen Menschlichkeit durch Präzision hergestellt werden kann. Wie das aktuell vonstatten geht, kann hier beobachtet werden: Peng. Was im Vergleich zu Collateral Murder fehlt, sind die Dialoge. Jaja, immer entscheidet ein grimmig guckender Mensch in einem affig aussehenden Tarnfleck-Anzug voller Abzeichen. Möge er lieber verliebte e-Mails statt Drohnen schicken. (vbr)