Amazon schmeißt Sicherheitsdienst raus

Als erste Konsequenz aus einer ARD-Reportage entbindet der Online-Einzelhändler das Sicherheitsunternehmen, das die Unterkünfte der Leiharbeiter überwacht, von seinen Aufgaben.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 591 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.

Als Konsequenz der ARD-Reportage über die Behandlung von Leiharbeitern in seinen deutschen Logistikzentren hat Amazon den Sicherheitsdienst Hensel European Security Services (H.E.S.S.) aus Kassel von seinen Aufgaben entbunden. Dieser hatte die Unterkünfte der Leiharbeiter überwacht. Dem Sicherheitsdienst wurde schikanöse Behandlung der Arbeiter vorgeworfen, außerdem hieß es, es gebe personelle Überschneidungen unter anderem mit der rechtsextremistischen Szene. Dies hatte H.E.S.S. zwar in einer Stellungnahme zurückgewiesen, gegenüber der Süddeutschen Zeitung bestätigte Amazon aber mittlerweile erste Aussagen, das Unternehmen werde diesen Sicherheitsdienst nicht mehr beauftragen.

"Amazon hat veranlasst, dass die Zusammenarbeit mit dem kritisierten Sicherheitsdienst mit sofortiger Wirkung beendet wird. Als verantwortungsvoller Arbeitgeber von rund 8000 festangestellten Logistikmitarbeitern hat Amazon eine Null-Toleranz-Grenze für Diskriminierung und Einschüchterung – und wir erwarten das gleiche von allen Unternehmen, mit denen wir arbeiten." Am Wochenende hatte sich Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) in die Debatte eingeschaltet und der Leiharbeitsfirma, die mit Amazon zusammenarbeitet, mit einem Lizenzentzug gedroht.

Thomas Gürlebeck, der bei Verdi für das Versandlager im bayerischen Graben zuständig, hatte vorige Woche gegenüber der Süddeutschen berichtet, dass Amazon seine Mitarbeiter ständig kontrolliert. Sie müssten jeden Morgen und Abend durch Schleusen wie am Flughafen. Manche Mitarbeiter müssten während der Kontrollen sogar die Schuhe ausziehen. 3000 Kollegen müssten gleichzeitig in die Mittagspause, so komme es zu Staus an den Schleusen. Die Zeit werde von der Arbeitszeit und dem Lohn abgerechnet. Heiner Reimann vom Verdi-Landesbezirk Hessen hat unterdessen auf der Plattform change.org eine Petition an Amazon eingebracht, die Arbeitsbedingungen der Leiharbeiter zu verbessern. Sie fand bisher über 19.000 Unterstützer.

[Update 19.02.2013 7:55]:

Seit der Ausstrahlung einer ARD-Dokumentation über schlechte Arbeitsbedingungen von Zeitarbeitern in Deutschland erlebt der US-Konzern einen Sturm der Entrüstung. Vor allem im Internet machen viele Kunden ihrem Unmut Luft und drohen mit einem Boykott.

Die Zeitarbeitsbranche will unsaubere Praktiken nicht hinnehmen. "Immer dort, wo illegale beziehungsweise unethische Machenschaften im Zusammenhang mit Zeitarbeitseinsätzen praktiziert werden, distanzieren wir uns ausdrücklich hiervon", erklärte der Hauptgeschäftsführer des Interessenverbands Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ), Werner Stolz. Die Mitglieder des Verbands hätten sich einem Ethikkodex verpflichtet und arbeiteten zudem mit einer Schlichtungsstelle zusammen.

Verdi kritisierte Amazon erneut scharf: "Ein ähnlicher Fall wie bei Amazon ist uns noch nicht vorgekommen", heißt es bei Verdi Hessen in Frankfurt. Einen ähnlich großen Bedarf an Saisonarbeitern – Amazon verdoppelt zum Weihnachtsgeschäft seine Belegschaft etwa im Logistikzentrum Bad Hersfeld nahezu – gebe es bei keinem anderen Betrieb. Bundesweit beschäftigt Amazon nach eigenen Angaben in den deutschen Logistikzentren 7700 fest angestellte Mitarbeiter und greift zu Spitzenzeiten auf befristete Angestellte und Leiharbeiter zurück.

Insgesamt sei diese Praxis aber kein Einzelfall. Die Strategie, typische Tätigkeiten außerhalb des Tarifvertrags für den Einzelhandel von Fremdfirmen erledigen zu lassen, verfolgten nahezu sämtliche Einzelhändler von Real bis Rewe, sagte der Frankfurter Verdi-Sekretär Bernhard Schiederig. So erhielten die Wareneinräumer oft nur 6 bis 7 Euro statt der eigentlich fälligen 11,69 Euro. Inzwischen säßen selbst an den Kassen gelegentlich schon Leiharbeiter. "Der Verdrängungswettbewerb wird über Niedriglöhne geführt."

Bei den ebenfalls heftig umstrittenen Paketdiensten laufe die Billigmasche vor allem über die Zwischenschaltung von nicht tarifgebundenen Subunternehmern, berichtete Tarifsekretär Patrick Fois in Fulda. Die betroffenen Unternehmen hätten zwar Besserung gelobt, hielten aber teilweise immer noch an Verträgen fest, die Fahrer mit einem "Bruttolohn 1200 Euro all inclusive" abspeisten. Damit sollten sämtliche Überstunden und Zuschläge abgegolten sein.

Kritik an den Arbeitsbedingungen im Versandhandel hatte es bereits zuvor gegeben, etwa beim Online-Versandhaus Zalando. Das Unternehmen hat dagegen nach eigenen Angaben Maßnahmen ergriffen. "Wir haben Sozialstandards entwickelt, die für unsere eigenen Standorte gelten sowie für Dienstleister im Bereich Logistik. Diese Standards wurden von unseren Dienstleistern unterschrieben. Die Einhaltung soll künftig durch externe Prüfer kontrolliert werden", sagte ein Sprecher der dpa.

Der Kölner Enthüllungsjournalist Günter Wallraff prangerte die Arbeitsbedingungen bei Amazon an: "Mir sind mehrfach von dort Beschäftigten grausamste Arbeitsbedingungen geschildert worden", sagte der Autor gegenüber dpa. Das betreffe vor allem Saison- und Leiharbeiter. Aus Zuschriften von Betroffenen gehe hervor, dass diese von Kameras überwacht, schon bei kleinen Verschnaufpausen zum Vorgesetzten zitiert würden und mit Repressalien rechnen müssten. "Über die Arbeiter wird verfügt wie über Leibeigene." (anw)