Burnout-Problematik nur ein Medien-Hype?

Die Krankschreibungen von Arbeitnehmern aufgrund psychischer Leiden haben 2012 einen neuen Rekordwert erreicht. Von einem sprunghaften Anstieg der Burnout-Fälle kann aber keine Rede sein.

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Von
  • Marzena Sicking

Wenn man den aktuellen "DAK-Gesundheitsreport 2013" liest, könnte man glauben, die Deutschen würden sich zu einem Volk von psychisch Kranken entwickeln. Denn die Zahl der Krankschreibungen von Arbeitnehmern aufgrund psychischer Leiden hat 2012 einen neuen Höhepunkt erreicht und sich seit 1997 mehr als verdoppelt. Doch die Experten wollen trotz der erneut alarmierenden Zahlen nicht von einem wachsenden Problem sprechen: Epidemiologische Studien hätten bewiesen, dass psychische Störungen in der Bevölkerung seit Jahrzehnten nahezu gleich verbreitet sind, so Herbert Rebscher, Chef der DAK-Gesundheit: "Das Bewusstsein und die Sensibilität von Ärzten und Patienten diesen Krankheiten gegenüber haben sich deutlich verändert". Das bestätigt auch Frank Jacobi, Professor an der Psychologischen Hochschule Berlin: "Es gibt keine Hinweise darauf, dass heute mehr Menschen psychische Störungen haben als vor 20 Jahren".

Was früher aus Scham oder Unwissenheit hinter anderen Diagnosen wie chronische Rückenschmerzen oder Magenbeschwerden versteckt wurde, wird heute aber deutlicher beim Namen genannt. Wie der aktuelle Gesundheitsreport zeigt, haben sich auch die Fehltage in den Betrieben entsprechend verschoben: Während sich 1997 nur jeder 50ste Erwerbstätige wegen eines psychischen Leidens krankmeldete, war es 2012 jeder 22ste. Frauen waren dabei fast doppelt so häufig betroffen wie Männer.

Burnout ist kein Massenphänomen

Zu der befürchteten drastischen Zunahme von Burnout-Fällen ist es allerdings nicht gekommen. Im Gegenteil. Zwar ist das Thema noch immer Dauergast in den Medien und hat zweifelsohne die wichtige Debatte über den Zusammenhang von Stress und psychischen Erkrankungen angestoßen, aber ein Massenphänomen ist es nicht. So wurde im vergangenen Jahr "nur" bei jedem 500. Mann und jeder 330. Frau tatsächlich ein Burnout auf der Krankschreibung vermerkt. Meistens als Zusatzdiagnose bei Depressionen und Anpassungsstörungen unter der Zusatzcodierung (Z 73), hinter der sich "Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung" verbergen.

(Bild: DAK)

Wie ein Vergleich der Statistiken zeigt, spielte Burnout vor einigen Jahren in der ärztlichen Praxis kaum eine Rolle. Die Zusatzcodierung Z 73 wurde noch im Jahr 2004 so gut wie gar nicht vermerkt. 2012 entfielen zehn Fehltage pro 100 Arbeitnehmer auf die Zusatzdiagnose Burnout. Mit 85 Fehltagen pro 100 Arbeitnehmer tritt die Depression deutlich öfter auf. Und wie die Umfrage unter den Arbeitnehmern zeigt, hat die Berichterstattung zu diesen Themen die Situation in den Betrieben nicht verbessert: Das Verständnis von Mitarbeitern und Kollegen für psychische Probleme wird 2012 sogar pessimistischer eingeschätzt als 2004. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.

Ständige Erreichbarkeit ist ein Märchen

Auch die angeblich hohe Belastung durch permanente Störungen in der Freizeit entpuppt die Gesundheitsstudie als ziemlich hochgeschaukelt. Ständige Job-Telefonate in der Freizeit könnten zwar tatsächlich Depressionen führen, doch solche Störungen seien sehr viel weniger verbreitet, als die aktuelle öffentliche Debatte das vermuten lasse. Neun von zehn Arbeitnehmern sind zwar theoretisch ständig erreichbar, weil sie ihre Telefonnummern beim Arbeitgeber hinterlegt haben. Doch über die Hälfte der Arbeitnehmer wurde noch nie von Kollegen oder Vorgesetzten außerhalb der Arbeitszeit angerufen, nur ein Drittel wird gelegentlich damit konfrontiert. Damit bleibt "nur" jeder Sechste, der einmal pro Woche oder öfter außerhalb der Arbeitszeit aus beruflichen Gründen angerufen wird. Diese Betroffenen sind allerdings tatsächlich gefährdet, an einer psychischen Störung zu erkranken, denn schon ein Anruf pro Woche nach Feierabend erhöht das Risiko. Von den rund acht Prozent der ständig erreichbaren Mitarbeiter leidet bereits jeder vierte an einer Depression. Das sind rund zwei Prozent der Arbeitnehmer. "Für diese kleine Gruppe hat der Wegfall der Grenze zwischen Beruf und Privatleben einen hohen Preis", so Rebscher.

Wenn schon ständig erreichbar, dann lieber nur per Mail: Wie die Umfrage zeigt, lesen 11,7 Prozent der Arbeitnehmer ihre E-Mails täglich oder fast täglich auch außerhalb der Arbeitszeit. Zwei von drei fühlen sich davon aber nicht weiter belastet.

Allgemeiner Krankenstand

Im Jahr 2012 sank der allgemeine Krankenstand leicht um 0,1 Prozentpunkte und lag bei 3,8 Prozent. Dies bedeutet, dass von 1.000 Erwerbstätigen an jedem Tag des Jahres im Schnitt 38 krankgeschrieben waren. An der Spitze der Krankheitsarten lagen die Muskel-Skelett-Erkrankungen. mit durchschnittlich 326 Fehltagen auf 100 Versicherte. An zweiter Stelle folgen die psychischen Leiden mit 204 Tagen pro 100 Versicherte und auf Platz drei die Atemwegsleiden mit 203 Tagen.

Und auch wenn der klassische "Burnout" eher ein Medienhype ist, Depressionen, Angstzustände & Co. sind es eindeutig nicht. Wie die in die aktuelle Studie einbezogenen Ärzte bestätigen, sind die Ursachen für die steigende Zahl der Krankschreibungen mit psychischen Diagnosen vor allem in Arbeitsverdichtung, Konkurrenzdruck und langen Arbeitszeiten zu sehen. (gs)