"Lex Google": Bundestag beschließt neues Leistungsschutzrecht

Der lange umkämpften Regierungsentwurf für ein Presse-Leistungsschutzrecht samt einer Änderung ist verabschiedet. Die Auswirkungen des Gesetzes bleiben unklar; Oppositionspolitiker kritisierten es als "größten Schwachsinn aller Zeiten".

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Der Bundestag hat am Freitag den bis zuletzt heftig umkämpften Regierungsentwurf für ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger samt der vom Rechtsausschuss empfohlenen Änderung nach einer turbulenten abschließenden Lesung verabschiedet. Für das im Koalitionsvertrag geplante Vorhaben, dessen Auswirkungen nach wie vor unklar sind, stimmte ein Großteil von Schwarz-Gelb. Die Opposition votierte geschlossen dagegen. Bei drei Enthaltungen gab es 293 Ja-Stimmen, 243 Abgeordnete votierten dagegen. Am Brandenburger Tor fand parallel eine kleine "Abmahnwache" auf Einladung des Vereins "Digitale Gesellschaft" statt.

Mit dem Gesetzentwurf, gegen den der Bundesrat noch Einspruch erheben könnte, möchte das Parlament den Schutz von Presseerzeugnissen im Internet verbessern und die Stellung der Verleger gegenüber gewerblichen Betreibern von Suchmaschinen verbessern. Betroffen sein sollen auch Dienste, die Inhalte "entsprechend aufarbeiten" wie etwa News-Aggregatoren. Geschützt werden sollen die Verleger von Zeitungen und Zeitschriften so vor "systematischen Zugriffen" auf ihre Leistung.

Ihnen wird künftig das ausschließliche Recht eingeräumt, Presseerzeugnisse zu gewerblichen Zwecken im Internet öffentlich zugänglich zu machen. Nicht betroffen sein sollen nach dem ausdrücklichen Willen der Koalition "einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte". Zumindest recht kurze Auszüge aus indexierten Presseartikeln in Form von "Snippets" könnten die Betroffenen also weiterhin anzeigen; auch sprechende Links, in denen die Überschrift eines Textes mit aufgenommen wurden, fielen ebenfalls nicht unter die Lizenzpflicht nach einem Leistungsschutzrecht. Zur konkreten Länge der in der Vorschau ohne Lizenz der Verleger verwendbaren Passagen macht der überarbeitete Entwurf keine genauen Angaben.

Unabhängige Rechtsexperten vertraten nach der Anpassung des Gesetzentwurfs und dem Ausschkluss "kleinster Textausschnitte" bereits die Ansicht, dass mit dem neuen Text des Gesetzesentwurfs Google für seine Snippets keine Lizenz von den Presseverlagen mehr erwerben müsse. Grundsätzlich bleibt es nebulös, was nach den Anpassungen mit dem Gesetz zum Leistungsschutzrecht überhaupt noch erreicht werden soll: Denn die Übernahme ganzer Texte etwa oder beispielsweise der Umfang von Zitaten werden bereits durch das Urheberrecht geregelt. Kritiker wie der ehemalige Leiter der Monopolkommission, Justus Haucap, hatten im Vorfeld bereits bemängelt, es gehe beim Leistungschutzrecht nicht um ein Urheberrechtsproblem, sondern darum, "dass die Politik den Presseverlagen helfen soll, Geld von Google zu bekommen". Man schaffe zudem durch das Gesetz neue rechtliche Probleme, es werde ein gewaltiges Abmahnwesen entstehen, gerade weil die Rechtsunsicherheit enorm sei; besonders Blogger könnten davon betroffen sein.

Bei der Debatte zur heutigen Abstimmung über das Gesetz zum Leistungsschutzrecht beantragte der parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion der Grünen, Volker Beck, im Vorfeld der eigentlichen Aussprache die Absetzung des Tagesordnungspunkt. Zur Begründung brachte er vor, dass verfassungs- und europarechtliche Bedenken nicht geklärt seien und unklar bleibe, was bewirkt werden soll. Zudem habe es bei der Beschlussfassung im Rechtsausschuss Verfahrensfehler gegeben, die die Minderheitenrechte der Opposition gebrochen hätten. So sei etwa der Änderungsantrag nicht rechtzeitig eingebracht worden.

Auf einem solchen Verfahren "liegt kein Segen", orakelte Beck, das Gesetz dürfte ihm zufolge am Ende des Tages keinen Bestand behaben. "Ab wann ist kurz schon lang?", fragte der Grüne zur Länge der frei nutzbaren Textauszüge. "Sie schicken die Unternehmen vor die Gerichte", warf Beck dem Regierungslager vor. Dies könnten sich nur die leisten, die eine große Rechtsabteilung hätten und es aushielten, in fünf Jahren eine Entscheidung vom Bundesgerichtshof (BGH) zu bekommen. Die Verfechter des Leistungsschutzrechts machten Marktbereinigung zugunsten von Google.

Michael Grosse-Brömer von der CDU/CSU-Fraktion bezeichnete den Absetzungsantrag als "nicht überzeugend". Es hätten "intensive Beratungen im Rechtsausschuss und Anhörungen" stattgefunden. Die Grünen seien "nicht bereit, demokratische Diskussionsprozesse und Mehrheiten zu akzeptieren". Es habe keine gravierenden Änderungen gegeben, den Minderheitsrechten sei sehr gut Rechnung getragen worden. Grosse-Brömers FDP-Kollege Jörg van Essen untermauerte: "Es gibt keinen Verstoß gegen die Geschäftsordnung."

Dagegen monierte Thomas Oppermann als Geschäftsführer der SPD-Fraktion, dass ein "so weitreichendes Gesetz", das auch in die grundgesetzlich geschützte Informationsfreiheit eingreife, in letzter Sekunde gravierend überarbeitet worden sei. Er plädierte dafür, noch eine Anhörung zu machen, bevor ein "verunglücktes Gesetz" als "Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Rechtsanwälte" verabschiedet werde. Es seien Begriffe hineingekommen, "die niemand definieren kann". Dagmar Enkelmann wetterte im Namen der Linken, dass Oppositionsrechte mit Füßen getreten worden seien. Die Koalition habe sich einer ernsthaften Prüfung des Entwurfs verweigert und das umstrittene Gesetz möglichst schnell von der Agenda bringen wollen. Eine Mehrheit fand der Geschäftsordnungsantrag aber letztlich nicht.

Zur Sache betonte der Unionsvize Günter Krings: "Es geht um die Schließung einer Lücke im Urheberrecht." Viele Kulturschaffende seien zutiefst verunsichert, dass sich die Opposition nicht einmal grundsätzlich zur Idee des Leistungsschutzrechts auch in anderen Bereichen mehr bekennen wolle. "Gerade ein freies Internet braucht einen fairen Rechtsrahmen", konstatierte der CDU-Rechtspolitiker. Information solle einen Preis haben, dafür sorge das Recht. Sonst seien auch Bezahlschranken juristisch unwirksam, da sie bislang nicht rechtlich durchsetzbar seien.

Ansgar Heveling (CDU) während der Debatte

(Bild: Screenshot)

Letztlich bezeichnete Krings den Vorstoß, der ein Vorgehen gegen fremde Inhalte abfischende "Harvester" erlaube, auch als "wichtigen Beitrag für den Erhalt der Pressefreiheit in diesem Land". Der Staat habe für faire Wettbewerbsbedingungen zu sorgen. Suchmaschinen fielen auch nach der Änderung nicht komplett heraus. "Schnippsel-Angebote" seien betroffen, wenn sie über einzelne Worte hinausgingen. Der CDU-Kulturpolitiker Ansgar Heveling ergänzte: "Unbestimmte Rechtsbegriffe gehören zum Alltag unserer Rechtstradition." Im Entwurf sei mit den "kleinsten Textauszügen" nur ein einziger enthalten. Praxis und Rechtsprechung dürften ihm zufolge mit dem Gesetz, das verfassungsrechtlich unbedenklich sei, umgehen können.

Die Befürchtungen rund um die Initiative basierten auf veralteten Entwürfen, erklärte der FDP-Rechtspolitiker Stephan Thomae. Snippets blieben aber nun weitgehend außen vor, analog zur Möglichkeit einer "verkleinerten Anzeige eines Bildes" in Suchmaschinen im Einklang mit dem einschlägigen BGH-Urteil. Gemeint seien Textausschnitte, "die notwendig sind, um das Ergebnis in einen Kontext zu stellen". Insgesamt handle es sich um ein ausgewogenes Gesetz, das "wichtige Internetfunktionen erhält" und den Belangen der Verleger Rechnung trage. Der Begriff "kleinste Teile" sei üblich im Urheberrecht, meinte auch der liberale Netzpolitiker Manuel Höferlin. Es gebe auch bei Datenbanken keine große Abmahnwelle, wo die Übernahme "wesentlicher" Komponenten untersagt sei. Nun sei es Aufgabe der Marktteilnehmer, Vereinbarungen zu finden.

Wenn es nicht nötig sei, ein Gesetz zu machen, sei es notwendig, es zu unterlassen, philosophierte die frühere SPD-Justizministerin Brigitte Zypries: Ein rechtlicher Grundsatz müsse zumindest dem Gebot der Normenklarheit entsprechen, was der Entwurf "auf keine Weise tut". Die massiven Proteste aus Politik, Wirtschaft und Netzgemeinde hätten sich nicht erledigt. Zudem würden gerade Journalisten und Urheber nicht geschützt. Deren Verbände fürchteten eine eindeutige Verschlechterung. Selbst die EU-Kommission habe beim Bundesjustizministerium angefragt, was es mit der Anzeigepflicht in Brüssel bei Gesetzen zu Informations- und Mediendiensten im Internet auf sich habe. Das Ressort hält eine entsprechende "Notifizierung" bislang nicht für nötig. Der SPD-Netzpolitiker Lars Klingbeil kündigte an, dass die Sozialdemokraten das Gesetz im Bundesrat stoppen wollten. Es stehe "für den Verfall der schwarz-gelben Koalition" und sei ein "Programm für Politikverdrossenheit".

"Der Medienkonzern Springer ruft und fast der ganze Bundestag springt – wie die Lemminge ins Schwarze Loch", wertete Petra Sitte für die Linke das Verfahren. Stichhaltig betrachtet gebe es keinen Grund für das Gesetz. Keiner könne Auskunft darüber geben, wie viel Suchmaschinen mit der Vermittlung verlegerischer Angebote verdienten. "Sie stärken das Recht der Stärkeren und schwächen die Schwachen", legte Sitte der Koalition zu Last. Das sei "Wahnsinn mit Methode". Mit der Änderung sei nun der Hauptgrund des Gesetzes offenbar entfallen. Bis die damit aufgeworfenen Rechtsunsicherheiten geklärt seien, wisse trotzdem keiner, was Suchmaschinen und Informationsdienstleister dürften.

Der grüne Netzexperte Konstantin von Notz beklagte, dass Schwarz-Gelb das Papier "erheblich verschlimmbessert" habe durch vage Begriffe. Einziger Sinn des "politisch unterirdischen" Vorstoßes sei die "Gesichtswahrung ihrer Kanzlerin". Seine medienpolitische Kollegin Tabea Rößner befand: "Ende schlecht, alles schlecht". Verabschiedet werde der "größte Schwachsinn aller Zeiten". Im Rahmen der abschließenden 3. Lesung erfolgte eine namentliche Abstimmung. Mehrere Netzpolitiker auch der Koalition hatten bereits angekündigt, sich gegen die Vorlage auszusprechen. Das Einzelergebnis soll im Lauf des Vormittags veröffentlicht werden. (jk)