Innenminister: Informationsfreiheit lähmt die Verwaltung

In einer Stellungnahme zum Informationsfreiheitsgesetz beklagt das Bundesinnenministerium, dass Behörden ihre Aufgaben nicht mehr erledigen könnten, weil sie umfangreiche Anträge auf Aktenzugang bearbeiten müssten.

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Von
  • Tim Gerber

Alle zwei Jahre berichtet der Bundesbeauftragte für die Informationsfreiheit (BfDI), Peter Schaar, dem Parlament aus der Praxis des Gesetzes, nach dem alle Bürger voraussetzungslosen Zugang zu amtlichen Informationen haben (IFG). Den bislang letzten Bericht für die Jahre 2010 und 2011 legte Schaar dem Bundestag Ende April 2012 vor. Zu diesem nimmt nun die Bundesregierung in einem Schreiben vom 27. Februar 2013 Stellung.

In der Stellungnahme, die heise online vorliegt, beklagt das für die Anwendung des Informationsfreiheitsgesetzes zuständige Ressort von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) die stark gestiegenen Antragszahlen. Dadurch sei "der Arbeitsaufwand in den Bundesbehörden beträchtlich gestiegen". Umfangreiche Anfragen führten dazu, "dass einige Arbeitseinheiten über einen längeren Zeitraum hinweg nahezu ausschließlich mit der Bearbeitung von IFG-Anfragen beschäftigt sind und in dieser Zeit ihre eigentlichen Aufgaben nur eingeschränkt wahrnehmen können".

In der Tat war es zu einem starken Anstieg der Antragszahlen von 1557 im Jahr 2010 auf 3280 im Jahr 2011 gekommen. Davon betroffen waren aber nur zwei Behörden im Geschäftsbereich des Bundesfinanzministeriums (BMF), die Zollverwaltung und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Dort hatten Anwaltskanzleien, die eine Vielzahl geschädigter Bank-Kunden vertreten, mehrere hundert inhaltsgleiche Anträge gestellt. Von einem allgemeinen Anstieg der Antragszahlen kann deshalb keine Rede sein.

Fordert von der Bundesregierung mehr Open-Data-Initiativen und eine Ausdünnung der Ausnahmetatbestände im Informationsfreiheitsgesetz: Grünen-Netzpolitiker Konstantin von Notz.

Mit etwas gutem Willen könne der Aufwand für die Behörden und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durchaus verringert und gleichzeitig im Ergebnis mehr Transparenz für die Bürgerinnen und Bürger geschaffen werden, findet der netzpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen, Konstantin von Notz. Der Abgeordnete fordert deshalb Organisationsveränderungen, vor allem aber mehr tatsächliche Open-Data-Initiativen und eine Ausdünnung der Ausnahmetatbestände. Für die Bundesregierung seien jedoch "Geheimnistuerei und Hinterzimmermauscheleien" schützenswerter als Transparenz. "Anstatt sich über die zunehmende Beteiligung und das Interesse der Öffentlichkeit zu freuen, verharrt Innenminister Friedrich weiter in einer bloßen Abwehrhaltung", sagte von Notz heise online.

"Bestenfalls Kreisklassenniveau" bescheinigt auch Jan Korte, datenschutzpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke, der Bundesregierung im internationalen Vergleich der Informationsfreiheit. "Anstatt endlich dafür zu sorgen, dass wir hier aufschließen und nicht noch mehr den Anschluss verlieren, stellt sich die Bundesregierung hin und jammert über zu viel Arbeit, die durch Bürgeranfragen entstünde", ärgert sich Korte. Manche Behördenvertreter glaubten offenbar nach wie vor, dass es ausreiche, wenn das Ministerium eine Webseite habe, um Transparenz zu schaffen. Von proaktiver Informationsfreigabe fehle jede Spur. "Entweder hat die Regierung immer noch nicht die Bedeutung der Transparenz staatlichen Handelns für die Demokratie erkannt oder aber einfach nur ein anderes Demokratieverständnis", findet der Linken-Abgeordnete.

In der Stellungnahme beklagt die Bundesregierung neben der vermeintlich hohen Arbeitsbelastung auch, dass das Informationsfreiheitsgesetz "nicht nur von Bürgerinnen und Bürgern" genutzt werde. In der Praxis stamme "die Mehrzahl aller IFG-Anträge von Politikern, Journalisten, Lobbyisten und Betreibern von Informationsforen im Internet". Dabei nutzten diese oft geschäftsmäßig tätig werdenden Antragsteller die Möglichkeiten des IFG für ihre Zwecke, beklagt das Bundesinnenministerium.

Das lese sich so, als ob Journalisten das Informationsfreiheitsgesetz missbrauchten würden, sagte der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Michael Konken, heise online. "Das ist Unsinn", betonte er. Die Stellungnahme der Bundesregierung spiegle ein falsches Verständnis von Informationsfreiheit wider. "Offenbar sieht das Bundesinnenministerium in der Erfüllung des IFG ein Gnadenakt und nicht einen Rechtsanspruch. Die Bundesregierung sollte endlich einsehen, dass Journalisten ein Anrecht auf Informationen nach dem IFG haben", fordert Konken.

Der Sprecher des Bundesinnenministers, Jens Teschke, hat bis zur Stunde auf eine Anfrage von heise online nicht reagiert und die erbetenen Beispiele für sehr umfangreiche Anträge nicht genannt. Dazu könnte die Anfrage des WAZ-Journalisten Daniel Drepper gehören, der das Ministerium bereits 2011 nach den Medaillienvorgaben der Sportverbände für die Olympischen Sommerspiele 2012 gefragt hatte. Die Ministerialen zerlegten seinen Antrag auf Einsicht in die Unterlagen zur Sportförderung in 68 Einzelanträge, für die sie jeweils bis zu 500 Euro Gebühren kassieren können. Die Informationen erhielt Drepper aber erst kurz vor Ende der olympischen Spiele mit Hilfe der Verwaltungsgerichte und sitzt nun auf einer Rechnung von insgesamt 13.729,40 Euro. (tig)