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Was war. Was wird.

Ein Berlin-Mitte ohne Hipster, was für ein herrlicher, unerfüllbarer Traum! Könnte aber wahr werden, behauptet Hal Faber, schaute man weiter nach Osten. Überhaupt: Scheuklappen, was für schreckliche Dinger.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Der Wintersturm tobt über der norddeutschen Tiefebene. Naja, noch nicht ganz, die schönste Stadt Deutschlands, die Perle eben dieser norddeutschen Tiefebene hat er noch nicht erreicht, in dieser Nacht, in der diese Zeilen auf einem dunklen Parkplatz dem zuständigen Redakteur übergeben werden. Andere Stürme tobten aber schon: Ja, Merkel hat wirklich die CeBIT eröffnet und beim Messerundgang brav den polnischen Gemeinschaftsstand eröffnet. Danach ging es husch husch weiter, etwa zu Vodafone, wo Emmas Enkel eine selten dämliche Idee vorführte, einen Online-Shop als Offline-Ausgabe. Damit war die Woche der Kanzlerin noch nicht gelaufen, flugs ging es nach Polen und die Berliner Start-Ups wollten auch gefeiert werden. Dabei täte es den IT- wie Politik-Verantwortlichen vielleicht gut, sich mal ein bisschen länger in Polen aufzuhalten, und diese Luft zu schnuppern, die nach Aufbruch schmeckt und nach Ideen. Und nach einer IT- und Startup-Szene, die quirliger ist als Berlin, aber ohne Hipster auskommt. Berlin-Mitte ohne Hipster? Ein Traum. Ein Traum, der in Warschau und Krakau wahr wird, nicht nur im Nachtleben, sondern auch mit Netz-Ideen und IT-Projekten, die nicht den Copycat-Ruch vieler deutscher Start-ups an sich haften haben. Derweil rocken die Start-Ups in Hannover, in einer gammeligen Mensatisch-Atmosphäre, durch Tücher getrennt, den Tisch für 2000 Euro Mitmachgebühr. Da durfte denn auch der Bitkom nicht fehlen mit einem gepflegten Gejammer über fehlendes Wagniskapital, das steuerlich attraktiv gemacht werden muss. Wie wäre es mit einem Wagnislobbyvorsteuerabzugsschutzrecht, auf dass sich die junge BRD wie Barbados ausschreibt? Oder wir ziehen alle nach Warschau. Nur die Hipster dürfen nicht mit.

*** Etliche Kabinettsmitglieder hatten auf der CeBIT ihre Rundgänge zu verrichten und ihr Preisverteilergrinsen aufsgesetzt, auch wenn gute Miene zum Schienbeintritt gemacht wurde. Man nehme Bundesinnenminister Friedrich, der eine Wolke in der Hand halten durfte, gemeinsam mit Neelie Kroes. Danach ging es zum Stand von Lancom zur Abbitte, weil Friedrich auf dem IT-Gipfel in Essen davon gesprochen hatte, dass niemand in Deutschland noch Router bauen könnte. Natürlich kann Deutschland das, wir haben ja Lancom, das prompt zur Messe meldete, was deutsche Hochsicherheitsrouter so können. Sie haben einen zertifizierten Schutz vor Cyber-Kriminellen. "Die VPN-Router werden vollständig in Deutschland entwickelt und gefertigt und sind garantiert frei von geheimen Abhörschnittstellen, den sogenannten Backdoors. Damit gibt es keine versteckten Zugriffsmöglichkeiten für Cyber-Kriminelle oder z. B. ausländische Geheimdienste – ein großes Sicherheitsrisiko in vielen Geräten. Denn Angriffe im Bereich der Cyber-Kriminalität sind nicht nur wirtschaftlich, sondern oft auch politisch motiviert." O sancta simplicitas, für "BSI-Prüfnummer" reicht mein Latein leider nicht aus.

*** Abseits der üblichen Messe-Nachrichten beschäftigte die Cyber-Kriminalität die CeBIT, und wenn es dann zum geraunten Cyber-War kommt, glänzen die Augen – der "Experten" und der Hersteller von Hard- und Software. Am Vortag der Messe forderte der VDI, dass dringend mehr Fachkräfte für "Bedrohungen aus dem Cyberraum" ausgebildet werden müssen. Dann warnte der bereits erwähnte Bundesinnenminister vor Cyberangriffen auf IT-Systeme und Produktionsanlagen. Dann folgte die Nachricht, dass bald Schluss ist mit lustig bei Cyberangriffen. Schließlich tagte der deutsche IT-Planungsrat und beschloss ein neues Programm, Leitlinien gegen Cyberangriffe zu verfassen. Da fühlen wir uns alle doch gleich so sicher, da lasst uns ruhig schlafen und unseren kranken Nachbar auch.

*** Halt! Wo bleibt das Negative? Habe ich die jammernden Strafverfolger vergessen, die immer ein paar Schritte hinter den Cyberkriminellen sind? Natürlich wurde ihre Klage von mangelnden Ermächtigungen wie der Vorratsdatenspeicherung auch auf der CeBIT eindrücklich vorgetragen, mit leichten Einschränkungen, dass es bei entsprechendem Aufwand auch ohne diese Vollerfassung der gesamten Bürgerkommunikation geht. Und dann diese schreckliche Cloud, wo niemals wirklich klar ist, wo die Daten liegen, in Deutschland, in Irland oder im Spülkasten des Klos, wie bei ordentlichen analogen Verbrechern. Ist es nicht interessant, dass es ganz supertolle Alukappen gibt, die keine Chance für Datenschnüffler lassen, weder für die Cops noch für die Cracks? Lasst uns doch ruhig schlafen und das BKA seine Arbeit machen. Fleißig sind die besten deutschen Kriminalisten dabei, die Ungereimtheiten in ein Versmaß (PDF-Datei) zu packen, das wiederum Juristen akzeptieren. Nun ist die von Bürger-Hackern geforderte "Quellencodetransparenz" Bestandteil des staatlichen Ausschreibungsverfahrens, wenngleich mit der schienbeintrittigen Einschränkung, dass Datenschützer selbst nicht den vollen Code einsehen dürfen, sondern nur die Prüfberichte.

*** Was bleibt, sind Klagen über diese Clouds, gekoppelt mit der Beschwörung von besonders guten, todsicheren deutschen Clouds und europäischen Gebilden, die nicht ganz so sicher sind. Europa wächst halt zusammen wie ein ungeschienter Beinbruch. Während die einen jammern, erklären die anderen unverblümt, dass alles seinen Tag hat. So erklärte die Bundesregierung in dieser Woche in einer kleinen Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion, dass es dem Generalbundesanwalt im Juli 2012 gelang, über ein Rechtshilfersuchen an die USA, bei dem ein Cloud-Dienstleister die "vollständigen Inhalte eines dort von einem Beschuldigten eingerichteten Speicherplatzes zu erheben und zur Verfügung zu stellen", ohne Probleme erledigt werden konnte. Auf Grundlage eines Vertrages vom Oktober 2003 über die Rechtshilfe in Strafsachen und einem kleinen Cyber-Zusatz vom April 2006 müssen Cloud-Delikte nicht auf dem Elefantenpfad herumtrampeln, sondern werden zügig erledigt, damit wir weiter schlafen können, und unser Nachbar auch.

*** Diese kleine Wochenschau hat sich oft genug über das unsinnige Leistungsschutzrecht ausgelassen und kann daher nicht die nächste Woche im Wandkalender aufschlagen, ohne diese Erklärung der Basis zu erwähnen. Am besten gefallen mir die Kritiker, die darauf hinweisen, dass ein Gesetz, wenn es denn beschlossen wird und im Bundesgesetzblatt veröffentlicht ist, von allen befolgt werden muss. Die kleinkrämerische Argumentation erinnert an den von Edmond Wilson im finnischen Bahnhof in den Umlauf gebrachten Spruch von Lenin, dass sich die deutschen Sozialisten eine Bahnsteigkarte kaufen würden, wenn sie denn einen Bahnhof stürmen wollten. Dass es zivilen Widerstand gibt und geben muss, gegen unsinnige Gesetze und Verordnungen, dass ist den Gesetzestreuen ein schweres Rätsel, das sie nicht lösen können. Zwischendrin im Lob für diese Aktion und im heftigen angehesselten "schämt euch" sitzen die Kritiker, die nicht zwischen Urheberrecht und Leistungsschutzrecht unterscheiden können. Vielleicht ist es sinnvoll, zwischen einer Hamburger Erklärung und dieser Hannoveraner Erklärung zu unterscheiden. Wahrscheinlich wird auch das nicht helfen, denn Hamburg und Hannover beginnen mit Ha, das ist verschwörungstechnisch sicher Beweis genug.

*** Ein Nachtrag auch zum Fall Bradley Manning aus dem letzten WWWW und seinem Plädoyer, das die US-Armee im genauen Wortlaut bislang nicht veröffentlichen will. Die öffentliche Wirkung könnte wohl zu stark sein. Was auch in Erinnerung bleiben sollte, ist die Geschichte von Robert Meeropol, dem Sohn von Ethel und Julius Rosenberg, die 60 Jahre vor Manning wegen Spionage hingerichtet wurden. "Die Menschen haben ein Recht darauf, was ihre Regierung in ihrem Namen macht", heißt es in Meeropols Verteidigung von Bladley Manning. Ein schlichter Satz für Menschen mit Gewissen, ein schlechter für die Regierung, die das Thema Manning möglichst geräuschlos entsorgen will.

*** Wo wir schon bei traurigen Themen sind: Er wurde allzu oft unterschätzt. Nun ist er tot. Alvin Lee, einer der besten Gitarristen, machte sich nichts daraus, eine Zeit lang als schnellster Gitarrist der Welt tituliert zu werden. In Woodstock wurde er mit seinem "Going Home" berühmt, mit Ten Years After begleitete er nicht nur meine Jugend. Manchmal muss ich einfach heulen. Nicht nur, weil es der Titel meines Liebingsstücks von der 73er Live-Aufnahme ist.

Was wird

Nun warten wir alle auf den Schneesturm, der auf die CeBIT folgen soll, wie von kundigen Wettersatelliten ausgespäht. Was anderes können sie nicht, denn ihre Flughöhe ist dafür zu hoch. Zum Spähen haben wir bekanntlich einen hübschen Flieger namens EuroHawk, der nach neuesten Angaben nicht eben billig ist. Über die ach so bösen Drohnen wird hier diskutiert, wahrscheinlich so folgenlos wie hier. Was bleibt, ist noch die Theorie, dass all die Diskussionen enden, wenn Drohnen niedliche Katzenbilder machen. Schmeißen wir den Pudding an die Wand. (jk)