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Was war. Was wird.

Der Schnee schmilzt in der schönsten Stadt der Welt^H^H^H^Hnorddeutschen Tiefebene. Hal Faber schleppt einen Stapel Lochkarten auf den Parkplatz des kleinen Verlags. Vielleicht wäre die Datassette die bessere Wahl gewesen.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was                                                         001000
war.                                                        001010
Vorschub                                                    001020
                                                            002000
 Noch liegt die norddeutsche Tiefebene und mit ihr die Perl 002010
 e, die schönste Stadt Deutschland im Schnee, doch gärt un  002020
 d rumort es in Ställen. Selbst der auf den Feldern ausgero 002030
 llte Mist dampft anmutig in Erwartung des Frühlings, wenn  002040
 diese kleine Wochenschau auf einem Parkplatz als Lochkar   002050
 tenstapel den Besitzer wechselt, um in die große Web-Mas   002060
 chinerie eingespeist zu                                    002070
werden.                                                     003000

*** So in etwa dürfte ein auf Lochkarten gespeichertes WWWW aussehen, mit Vorschub und Stapelzähler am Ende der 80 Stellen der klassischen Lochkarte. Jeder Versuch, in diesem Format Links unterzubringen, scheitert am Medium. Auch das früheste mir zugängliche Schreibprogramm, der Electric Pencil unter CP/M, scheitert dabei, die nötigen Verlinkungen auf eine Datasette zu speichern. Der drängende Leserwunsch kann also nur simuliert werden. Das wiederum passt prima zum heutigen Journalismus, in dem ein Regierungssprecher per Anruf ein unbequemes Interview zensieren kann. Wie gut, dass der IT-Branche solcherlei Einflussnahmen unbekannt sind und all die Updates in den Tickermeldungen allein aus sachlichen Gründen erfolgen.

*** Im Trommelfeuer der Meldungen über Samsungs Galaxy S4 ist es andererseits schwer, sachlich zu bleiben, wenn die Gläubigen von Samsung und Apple sich in den Foren streiten. Was hat uns diese Woche nicht alles gebracht: eine Religion bekam ihren überlebenswichtigen Papst, eine andere verlor ihren lebenswichtigen Reader. Vielleicht die schönste Nachricht kam von den Gläubigern, die die Religion des freien Marktes anbeten: Schluss ist's mit der laschen Zahlungsmoral, ab jetzt herrscht eiserne Zahlungsdisziplin und das sogar europaweit!

*** Europa? Der König rief, und alle, alle kamen, die Waffen mutig in der Hand, tralala. Heute vor 200 Jahren erschien der Aufruf An mein Volk, mit dem sich der preußische König Friedrich Wilhelm III erstmals direkt an sein Volk wandte. Alle sollten zu den Waffen gegen die napoleonischen Herren, oder aufhören, Preuße und Deutscher zu seyn. Die verhängnisvolle Vaterlands-Rhetorik ist erstaunliche 200 Jahre jung: "Es ist der letzte, entscheidende Kampf, den wir bestehen, für unsere Existenz, unsere Unabhängigkeit, unsern Wohlstand. Keinen andern Ausweg gibt es, als einen ehrenvollen Frieden, oder einen ruhmvollen Untergang. Auch diesem würdet Ihr getrost entgegen gehen, um der Ehre willen; weil ehrlos der Preuße und der Deutsche nicht zu leben vermag." Passend dazu wurde das Eiserne Kreuz geprägt, die passende Auszeichnung für den einfältigen deutschen Todeskult bis hinein in den zweiten Weltkrieg, wo es Eiserne Kreuze regnete. Heute ist es angeblich der "Ausdruck von Bürgermut". Vielleicht kommt noch der kontaktlose Eisenchip mit Eichenlaub und RFID als e-Kreuz, für die Beaufsichtigung von Tötungsrobotern und waffentragenden Drohnen.

*** Napoleon wurde mit russischer Hilfe geschlagen und später dann ging es unter dem nächsten Preußenherrscher gegen die Freiheit im Innern. Mit einer "in einer schauspielerischen Höchstleistung" proklamierte Friedrich Wilhelm IV in An mein Volk und die deutsche Nation, dass Preußen in Deutschland aufgehe - nur um der demokratischen Märzrevolution den Wind aus den Segeln zu nehmen. "Ich übernehme heute die Leitung für die Tage der Gefahr", so wollte sich der Preußenkönig als starker Führer präsentieren. Wer sich nun fragt, was dies im WWWW zu suchen hat, kennt nicht die dieser Tage gescheiterten Versuche, den 18. März der Märzrevolution und der ersten freien Volkskammerwahlen als deutschen Gedenktag im Kalender zu verankern. Die Erfolge der Bürgerinitiative sind bescheiden: Ein paar Flaggen wehen und vor dem Brandenburger Tor liegt der Platz des 18. März. "Wir sind das Volk", ist lange kein politischer Slogan mehr, sondern eine spannende Frage für Markenrechtler.

*** Zu den kleinen, verkannten Revolutionen und Revolutiönchen gehört der Erfolg der Electronic Frontier Foundation im Streit um den National Security Letter. Mit diesem US-amerikanischen Ermittlungsbeschluss des FBI wurde den Providern und Betreibern sozialer Netzwerke ganz spezielle Daumenschrauben bei Auskunftsersuchen angelegt. Wer im Namen der nationalen Sicherheit zur Auskunft verpflichtet wurde, durfte darüber nicht einmal reden. Das sei ein Verstoß gegen die Verfassung und die Freiheit der Rede, befand das Gericht. Noch ist nicht klar, ob die US-Regierung oder das FBI Einspruch erhebt, das angeblich Hunderte solcher National Security Letter verschickt haben soll. Das deutsche Gegenstück dürfte in den Auskunftsersuchen "zur Erfüllung ihrer Aufgaben" zu finden sein, die unsere Geheimdienste an Provider richten, unter Kontrolle der parlamentarischen G10-Kommission. Wo es schwammig zugeht, lass dich unruhig nieder, in Heimlichheim singt man deine Lieder.

*** Während der aktuelle Innenminister Hans-Peter Friedrich industrielle Lobbyarbeit für den ePass betreibt, hat sein Vorgänger Thomas de Maizière ein Buch veröffentlicht, "An mein ^H^H^H^HDamit der Staat den Menschen dient. Bekanntlich hat sich selbiger Innenminister einstmals aufgemacht, den Dialog mit der Netzgemeinde zu führen und dabei auch Richtlinien für eine Netzpolitik veröffentlicht, E-Konsultationen des gemeinen Netzvolkes inklusive. Lang ist's her mit Friede, Freude, Adhocracy, entsprechend wird de Maizière von manchen Netizen verklärt. Das er in allem das Internet nicht sonderlich ernst genommen hat, wird mit dem Buch recht deutlich, wenn es über Shitstorms und andere Netzproteste heißt: "Das finde ich lästig und ärgerlich, aber nicht bedrohlich. Und ich schließe nicht aus, dass man sich dagegen auch mal wehren kann. Technisch, in einiger Zeit." Wo die Technik regiert, wird es technische Mittel geben. Der zukünftige Bundeskanzler hat gesprochen.

Was wird.

Da schau an, es wird wirklich Frühling, die ersten Themen der re:publica 2013 liegen vor. In\Side\Out wird wohl zum Fanal des Netzfeminismus werden, aufmerksamkeitsökonomisch mit einem Internet dekoriert, das einen Minirock trägt. Das passt zwar nicht zu einer nüchternen technischen Sicht auf ein Netz, das wenig mehr als eine bemerkenswerte Sammlung von Standards ist. Aber es passt zum Netizen der Jetztzeit, der sich nicht einmal wundert, wenn er via Facebook von der Polizei verhaftet wird. Auf Post-Privacy folgt Pre-Crime, meint Datenzweifler Morozov. Der algorithmengesteuerte Mensch löst den testosterongesteuerten ab, die Fairness sinkt.

Mit einer Art kleinem Lochkartenstapel begann die Wochenschau, mit einem Sortierer endet sie. Wenn alle klugen verkarteten Sätze auf den Boden gefallen sind, kommt diese Maschine und macht pling. Doch damit nicht genug. Das rührige Computeum bittet für ein Projekt um die Mithilfe geneigter Leser. Wer noch im Besitz von USB-Floppy-Laufwerken ist, kann diese einem guten Zweck spenden. Denn es gibt sie noch, die Konferenzen, auf denen kleine gruene Maennchen bewundert werden können. (vbr)