Medizin-Nobelpreis für Gen-Schalter

Der diesjährige Nobelpreis für Medizin geht an die Erfinder der Knock-out-Mäuse: Mario Capecchi, Martin Evans und Oliver Smithies.

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Der diesjährige Medizin-Nobelpreis bleibt der Tradition treu: Es werden Forscher geehrt, die die Medizin und Lebenswissenschaft grundlegend verändert haben – und die bereits Jahrzehnte auf diese Ehrung warten mussten. Der US-Amerikaner Mario Capecchi von der Harvard University in Cambridge, der Brite Martin Evans, Direktor der School of Bioscience am University Collage in London und der in den USA lebende Brite Oliver Smithies von der University of North Carolina at Chapel Hill "erfanden" die so genannte Knock-out-Maus, eine Methode mit der ganz gezielt Gene ausgeschaltet werden können. Dank dieser Technik können heute etliche menschliche Krankheiten wie etwa Parkinson oder Alzheimer in Mäusen nachgebildet und erforscht werden.

"Auf diesen Nobelpreis wartet die wissenschaftliche Gemeinschaft bereits seit wenigstens zehn Jahren", sagt Klaus-Achim Nave, Direktor der Abteilung Neurogenetik am Max-Planck Institut für experimentelle Medizin in Göttingen. Sie habe die Biowissenschaften grundlegend verändert. Der Mechanismus, der dem Verfahren zu Grunde liegt, ist die homologe Rekombination, ein Mechanismus, bei dem Gene ausgetauscht werden, der etwa auch bei der Verschmelzung von Ei- und Spermazellen vorkommt. Und den Wissenschaftler heute dazu nutzen, neue Gene einzufügen und mit ein paar Kniffen auch auszuschalten.

Vor mehr als 50 Jahren zeigte Joshua Lederberg diesen Mechanismus in Bakterien; er wurde dafür bereits 1958 mit dem Nobelpreis gewürdigt. Mario Capecchi und Oliver Smithies hatten die Idee, die homologe Rekombination zu verwenden, um modifizierte Gene in Säugetierzellen zu integrieren. Während Capecchi zeigte, dass eingeführtes Erbgut tatsächlich in Chromosomen aufgenommen wird, versuchte Smithies, mutierte Gene in menschlichen Zellen zu reparieren und fand heraus, dass nicht nur Gene homolog rekombiniert werden können, die gerade abgelesen werden, sondern unabhängig ihrer Aktivität auch andere Gene. Martin Evans schließlich arbeitete an embryonalen Krebszellen von Mäusen, die sich, obwohl sie von Tumoren stammten, in alle anderen Zelltypen entwickeln konnten. Heute sind sie als embryonale Stammzellen weltberühmt. Schließlich begann er diesen Zellen mithilfe von Retroviren neue Gene einzuführen und schuf so Mäuse, die dank embryonaler Stammzellen neues Erbgut besaßen.

"Das aber ist noch keine gezielte Knock-out-Maus", erklärt Nave. Erst die Kombinationen beider Verfahren, indem man ganz bestimmte Gene austauscht oder durch Veränderung unbrauchbar macht und so ausschaltet, machte die Technik für die Medizin unersetzbar. Dazu benötige man gleich zwei Generationen Mäuse, so Nave. In die erste Generation pflanzen die Forscher veränderte Gene ein. Doch die Natur hat Tiere wie Menschen immer mit zwei Versionen von einem Gen ausgestattet. Die Folge davon ist, dass das zweite Gen die Funktion des ersten übernimmt. Diesen Schutz überbrücken Wissenschaftler mit einem recht einfachen wie altertümlichen Trick. Sie kreuzen zwei der genveränderten Mäuse. Das Resultat entspricht der Mendel'schen Vererbungslehre: Ein Teil der Nachkommen trägt nun beide fehlerhaften Varianten und das gewünschte Gen ist tatsächlich ausgeschaltet. Zudem entwickelten Smithies und Capecchi ein Verfahren, mit dem man genau die Zellen selektieren kann, die tatsächlich neues Erbgut tragen. 1989 wurde die ersten Publikationen veröffentlicht, in denen homologe Rekombination in embryonalen Stammzellen genutzt wurde, um so genannte "gene-targeted" (gezielt genveränderte) Mäuse herzustellen. (Edda Grabar) / (wst)