NRW-Regierung: "Hier gibt es keine Online-Durchsuchung"

Während der mündlichen Verhandlung beim Bundesverfassungsgericht über das Landesverfassungsschutzgesetz haben Vertreter Nordrhein-Westfalens die Ausforschung "informationstechnischer Systeme" kleinzureden versucht.

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Zum Erstaunen von Richtern und Experten hat der juristische Vertreter der nordrhein-westfälischen Landesregierung, Dirk Heckmann, bei der mündlichen Verhandlung über das NRW-Verfassungsschutzgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht die damit gestattete Ausforschung etwa von Festplatten privater Rechner kleinzureden versucht. "Es geht hier nicht um das Auslesen des gesamten Festplatteninhalts", sagte Heckmann am heutigen Mittwoch in Karlsruhe. Die Befugnis erlaube es den Verfassungsschützern, allein die Kommunikation im Internet zu überwachen. "Ich gestatte mir die Frage, ob wir vom gleichen Gesetz ausgehen", zeigte sich Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier daraufhin verwundert. Die Formulierung im Gesetz spreche "ganz klar" vom heimlichen Zugriff auf informationstechnische Systeme. "Das haben Sie, glaube ich, ein bisschen weginterpretiert." Das Urteil wird für Anfang 2008 erwartet.

Ähnlich wie Heckmann hatte zuvor Karl Peter Brendel, Staatssekretär des nordrhein-westfälischen Innenministers Ingo Wolf (FDP), den Wirbel um die Verfassungsschutzregelung in seinem Land als übertrieben bezeichnet: "In Nordrhein-Westfalen gibt es keine Online-Durchsuchung", behauptete er gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Vielmehr werde – im Gegensatz zur geplanten Regelung im Novellenentwurf zum Gesetz für das Bundeskriminalamt (BKA) – nur ein zielgerichteter Zugriff auf Kommunikationsdaten insbesondere bei der Internet-Telefonie erlaubt.

Die Erfassung persönlicher Dateien jenseits der Internetkommunikation sei in NRW ausgeschlossen, meinte Brendel. Betroffen von den zielgerichteten Zugriffen seien nur Personen, die aus einer politisch-extremistischen Motivation heraus schwerwiegende Straftaten begehen wollten. Es gebe daher für die überwältigende Mehrzahl der Bürger keinen Grund für eine Änderung ihres Kommunikationsverhaltens. Der Schutz des Kernbereichs der Persönlichkeit bleibe gewahrt. Wolf selbst hält die umstrittene Online-Regelung ebenfalls nach wie vor für verantwortbar. Im SWR sagte er, mit dem Gesetz seien die Belange sowohl der Freiheit als auch der Sicherheit gewahrt worden.

Die Beschwerdeführer sind anderer Auffassung. Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) sowie zwei weitere Rechtsanwälte, die Mülheimer Autorin Bettina Winsemann (alias Twister) sowie ein Mitglied der Linkspartei Karlsruhe haben wegen einer Reihe von Vorschriften in der Rechtsgrundlage für die Arbeit der NRW-Verfassungsschützer Karlsruhe angerufen. Ihnen gehen die nach ihrer Interpretation gestatteten Eingriffe in Grundrechte deutlich zu weit. Zugleich geht es ihnen um einen Testlauf für die von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) vorangetriebene bundesweite Regelung. Gerichtpräsident Papier riet der großen Koalition in diesem Sinne an, im Dauerstreit um heimliche Online-Durchsuchungen durch das BKA die anstehende Entscheidung zu dem Landesgesetz abzuwarten.

"Auch der Bund will natürlich keine pauschale Online-Durchsuchung, sondern – genau wie in NRW – eine Möglichkeit, in besonderen Fällen auf informationstechnische Systeme zugreifen zu dürfen", wies Winsemann gegenüber heise online die Darstellung der Regierungsvertreter zurück. Die Befugnis sei so schwammig formuliert, dass von der Installation eines Keyloggers bis hin zum Unterjubeln eines Trojaners "alles" machbar sei. "Der Punkt ist für mich, dass der geheime Zugriff auf Kommunikationssysteme ein unkalkulierbares Risiko darstellt und auch etwa das Vertrauen in staatliche Software unterminiert." Dies werde sich auch auf das zwischenmenschliche Verhalten auswirken.

Technische Gutachter hatten in ihren schriftlichen Stellungnahmen die praktische Durchführbarkeit von Online-Durchsuchungen größtenteils angezweifelt. Zielsysteme könnten immer wirksam vor der Einnistung der Spionagesoftware oder der eigentlichen Ausforschung geschützt werden, hieß es. Kompliziert sei es bereits, in der vernetzten Computerwelt festzustellen, wer was wo gespeichert hat, warnte der als Sachverständiger nach Karlsruhe geladene Mannheimer Informatikprofessor Felix Freiling. "Die Zuordenbarkeit digitaler Spuren zu bestimmten Personen ist schwierig." Als Alternative waren Tempest-Angriffe zum Auffangen der elektromagnetischen Strahlen von Computerbildschirmen ins Spiel gebracht worden.

Auch FDP-Rechtspolitiker Burkhard Hirsch, einer der Kläger gegen den großen Lauschangriff, kann die "offizielle" Lesart des Gesetzestextes nicht nachvollziehen. Nicht nur eine Durchsuchung, "sondern eine Ausforschung des gesamten Inhalts eines privaten Computers", werde gestattet, sagte er dpa. "Das ist, als ob man alle Briefe, alle Überweisungen, alle Bestellungen eines Menschen heimlich durchsucht und darüber hinaus fortlaufend mitliest, was er mit seinem Computer schreibt. Es ist ein so brutaler Eingriff in die Privatsphäre eines Menschen, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass man das verfassungsrechtlich einwandfrei regeln kann." Wichtig sei generell die Schaffung von Rechtsklarheit: "Zum Beispiel: Gilt hier der Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung?"

Ex-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sieht die Freiheits- und Bürgerrechte durch die geplante Online-Durchsuchung ebenfalls massiv gefährdet. Im Deutschlandradio erklärte die FDP-Politikerin, sie fühle sich in der Debatte um die Netzbespitzelungen an die Zeit vor der Einführung des großen Lauschangriffs erinnert. Die Ausforschung von privaten PCs habe auf jeden Fall "eine vergleichbare Qualität beim Eingriff in die Privatsphäre" wie die akustische Wohnraumüberwachung. "Da ist nicht der eine Terrorist, bei dem man ein einziges Mal und das vielleicht zweimal insgesamt im Jahr auf dem privaten PC so heimlich zugreift wie ein legaler Hacker. Sondern das betrifft sehr, sehr viele Personen, weil man ja noch gar nichts Konkretes hat." Ihr gehe es im Streit um die Maßnahme nicht um Parteipolitik. Vielmehr müsse verhindert werden, dass die Verfassung "zum Spielball von Machtinstrumenten" werde.

Der Hightech-Verband Bitkom erwartet aus Karlsruhe eine erste Weichenstellung für die Bundesebene. "Wir gehen davon aus, dass rechtsstaatliche Prinzipien auch im Internet gelten und nicht ausgehebelt werden", betonte Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. "Online-Durchsuchungen greifen sehr viel tiefer in die private und geschäftliche Vertrauenssphäre ein als etwa die Telefonüberwachung." Würden zudem Anbieter von Sicherheitssoftware wie Virenscannern gezwungen, spezielle Schnittstellen zu den Sicherheitsbehörden einzubauen, entstünden dadurch zusätzliche Risiken. Auch das international hohe Renommee deutscher Anbieter von Sicherheitssoftware wäre gefährdet.

Viele Experten halte es für denkbar, dass Online-Razzien beim höchsten deutschen Gericht ein ähnliches Schicksal beschieden sein wird wie dem großen Lauschangriff. Im März 2004 unterwarf Karlsruhe die Abhörbefugnis strengen rechtsstaatlichen Schutzmechanismen. Die akustische Wohnraumüberwachung wird daher heute in der Praxis kaum noch genutzt.

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(Stefan Krempl) / (anw)