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Was war. Was wird.

Von der Technik zur Taktik ist der Höllenpfad mit guten Vorsätzen gepflastert, meint Hal Faber, der nicht mehr ganz so schlank ist wie die Prozesse. Wird er trotzdem anerkennende Pfiffe ernten von Mann, Frau und postgenderischen Transhörnchen?

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wenn die Revolution gesiegt hat und nach harter Arbeit ihre Kinder frisst, sind Bürokraten überflüssig. Sie müssen umerzogen werden, denn eine Ausweisung ist nicht möglich: die Revolution siegt weltweit oder gar nicht. Dann schlägt die Stunde der Computer: "Wenn es die Computer nicht gäbe, müssten sie förmlich erfunden werden für die Räteverfassung. Nur sie ermöglichen es, Informationen zu sammeln, die die Sachentscheidungen der bisherigen Bürokratie ersetzen und zwar dergestalt, dass es überhaupt keine bürokratische Position mehr gibt, die nicht innerhalb von vierzehn Tagen umbesetzbar wäre." Nein, das stammt nicht aus dem aktuellen Programm der Piratenpartei. Die sorgt sich dieser Tage lieber um Kifferclubs statt um die Weltrevolution. Die Sätze stammen aus dem Jahre 1967 und wurden von Christian Semler gesprochen, einstmals SDS-Mitglied, später als Kadergenosse Fan der Roten Khmer und dann bis zu seinem Tod der Hausphilosoph der tageszeitung. Die grübelt dieser Tage lieber darüber, was es mit der Liebe auf sich hat und freut sich über die wunderbare digitale Bilanz, dass nun auch der letzte Agrarpolitiker weiß, wo seine Bauern auf Facebook so abhängen, in den vergreisenden Wohnstiften. Ja, zärtlich war es und voller unerhörter Allianzen. Im Netz haben sich alle Netzpolitiker lieb und twittern ein Bussibussi. Nach der Enquête- kommt die Enthalpie-Kommission, den unerhörten Druck der Netzpolitik ausgleichend.

*** Ganz ohne Revolution soll mit dem Computer in diesem unseren Lande die Bürokratie abgebaut werden. Schlanke Prozesse sind angesagt und ernten anerkennende Pfiffe von Mann, Frau und postgenderischen Transhörnchen. In letzter Minute wurde noch am E-Government-Gesetz gehämmert und poliert, bis die per Gesetz dekretierte Sicherheit der Kommunikation nunmehr amtlich werden kann. Dass mit der klagenden deutschen Post ein Profiteur des Gesetzes gegen das Gesetz auftritt, macht Hoffnung auf viele weitere Volten und Irrungen, ganz ohne Revolte und Revolution. Das Ganze läuft unter dem Motto: "Lasst 1000 Bürokraten kichern - und den IT-Planungsrat tagen." Die Schriftform kann auch ersetzt werden /../ 4. durch sonstige sichere Verfahren, die durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates festgelegt werden, welche den Datenübermittler (Absender der Daten) authentifizieren und die Integrität des elektronisch übermittelten Datensatzes sowie die Barrierefreiheit gewährleisten; der IT-Planungsrat gibt Empfehlungen zu geeigneten Verfahren ab.

*** Dann waren da noch die irritierten Heise-Foristas nach dem Besuch im De-Mail-Käfig, installiert in einem mittelalten Rechenzentrum. Ja, was erdreistet sich ein Journalist, ein Gebäude zu beschreiben, in dem die De-Mail kurzzeitig entschlüsselt wird, unter fürsorglicher Aufsicht einer rehschlanken SINA-Box. Ob sich der Standard De-Mail durchsetzt oder der proprietäre e-Postbrief das Rennen macht oder ein ganz anderer Igel auftaucht, ist ungewiss. Sicher ist nur, dass eine sichere Kommunikation kommen muss, die den Brief ablösen kann. Wie wundersam das gehen kann, zeigt die Deutsche Bahn (PDF-Datei) mit ihren "Schweizer"-Briefen. Bald werden alle Bundesbürger dank ihrer elektronischen Gesundheitskarten X.509-Zertifikate haben, wenn die Krankenkassen endlich dazu übergehen, die PIN-Briefe zu den Karten zu verschicken. Doch halt! Schon wieder lauern schurkische Gewalten auf dem digitalen Wege! Man lese nur den Unsinn, den die Knappschaft bei ihrer Erfolgsmeldung zur Ausgabe von Gesundheitskarten veröffentlicht: "In Arztpraxen und Krankenhäusern wird dann nur noch die elektronische Gesundheitskarte als Nachweis einer Versicherung akzeptiert." Dieser Satz kein Gesetz, um es mal netzsprachlich zu formulieren.

*** Welche E-Mail ist wirklich sicher? Fragen wir den Wikileaks-Cheffe Julian Assange, der muss es wirklich wissen. Ei der Daus! Keine! In diesem Gespräch mit Eric Schmidt steht klipp und klar, dass allein mit Krypto-Telefonen gesendete verschlüsselte SMS in der Kommunikation der Wikileaks-Mitarbeiter eingesetzt werden. Nimmt man die lobende Erwähnung der deutschen Firma Cryptophone in Assanges letztem Buch Cypherpunks hinzu, so dürfte sich Eric Schmidt wie eine Grinsekatze freuen, dass technisch Google mit einem extra gehärteten Android und Samsung mit der Galaxy-Hardware den Rebellen von Wikileaks zur Seite stehen. Dass Schmidt auf Basis des Interviews in seinem neuen Buch verkündet, dass Assange nur wegen des Geldes seine Leaks schwärzte, ist ein kleiner Schienbeintritt. Nach dem von Wikileaks veröffentlichten Transkript sagte Assange: "And so you end up with a system of self-censorship and it is embarrassing to do it and so why tell the public that you are doing it, but you are not telling the public you are doing it so it gets easier and easier to do every time. If we look at email. Who censors email? No one censors email! Look at a telephone call to your grandmother, is there a censor sitting there on the line determining whether you are about to say something bad to your grandmother and cutting it out? Of course not. The postal system. Are other people opening envelopes to see whether you are sending something bad? No. Please Mister Postman, look and see, sangen einst die Marvelettes und tüteten ihren Hit in eine Tasche, auf der nur "Ear-Mail" stand, weiter nichts.

*** In ihrem ersten Google-Hangout hat unsere Bundeskanzlerin gefordert, die "Die Technik sollte sich jetzt mal ein bisschen bemühen." Doch die faule Technik ignorierte das, so musste ein Rechner neu gestartet werden. Da dürfte Angela Merkel mehr Freude an Facebook als an Google haben, weil sich Facebook-Managerin Sandberg im Interview als Bewunderin der Kanzlerin entpuppte. "Unglaublich dankbar" sei sie, dass es VorbilderInnen wie Merkel und Thatcher gibt. Wie wäre es denn mit der Forderung an die Politik, sich ein bisschen mehr zu bemühen? Die peinliche Posse um das Informationsfreiheitsgesetz, die verkorkste Bestandsdatenauskunft und das halbherzige Vorgehen gegen Abzocker sind alles andere als Glanzlichter einer modernen IT-geprägten Regierung, die selbst ausgerechnet auf das Leistungsschutzrecht für Verleger stolz ist. Von dem abstoßenden Manöver, den Oppositionsvorschlag zu einer Frauenquote ab 2018 mit allen 320 Stimmen zu blocken, ganz zu schweigen. Von der Technik zur Taktik ist der Höllenpfad mit guten Vorsätzen gepflastert. Moralische Sieger von Wahlen nennt man Verlierer. Also weg mit den Vorsätzen, erst recht, seitdem es eine Alternative für Deutschland gibt, eine weitere Einpunktepartei nach der Einsakkopartei CDU.

Was wird.

Nach Boston wird die Forderung, mehr Videokameras zu installieren zum allseits beliebten Laute-Post-Spiel. Was die Attentäter bewegte, ausgerechnet in einer der am besten überwachten Einkaufsstraßen die Bomben zu deponieren, kommt gar nicht erst ins Bild der allfälligen Diskussionen. Noch interessanter ist die Frage, wie schnell eine Radikalisierung ablaufen kann. Da ist das Internet mit seinen Hatzvideos und den Bastelanleitungen der nächste Sündenbock. Irgendwie muss es doch zu überwachen sein, als Fahndungsmedium taugte es jedenfalls nichts. In Gaza, im Irak, in Mali, in Syrien ist Alltag, was die Bilder von Boston zeigen. Ja.

Reden wir doch über den Krieg. Nein, nicht über den seltsamen Krieg gegen Leaks im Inneren, in dem die Bundeswehr versucht, mit dem Urheberrecht zu schießen, In der anstehenden Woche wird es nach Angaben des Verteidigungsministeriums zu einem sicherheitspolitischen Dialog mit den Kirchen kommen. Denn die christlichen Religionen haben mit dem Einsatz von Drohnen ein Problem, der Verteidigungsminister nicht. Wie da überhaupt ein Dialog geführt werden kann, ist die eine Frage, was "ethisch neutrale Waffen" überhaupt sind, die andere. Trösten wir uns damit, dass an anderer Stelle die tolle IT der Bundeswehr gefeiert wird als ethisch ganz wunderbarer Enabler. (vbr)