Grünen-Abgeordneter: Widerstand gegen Überwachungsstaat ist nicht zwecklos

Der Sicherheitssprecher der österreichischen Grünen meinte, das Projekt des Überwachungsstaates sei das Projekt einer "bornierten, radikalisierten Minderheit". Der historische Dammbruch sei die Einführung des großen Lauschangriffs gewesen.

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Von
  • Jürgen Kuri

Bei einem q/talk diskutierte der Sicherheitssprecher der österreichischen Grünen, Peter Pilz, am Dienstagabend im Wiener Museumsquartier mit einem Vertreter der quintessenz und über 120 Gästen. Thema war die umstrittene Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) im Speziellen und der Überwachungsstaat im Allgemeinen. Das neu gefasste SPG verpflichtet Mobilfunker, auf Polizeibefehl Standortdaten und die internationale Mobilfunkteilnehmerkennung (IMSI) eines Handys preiszugeben. Gleichermaßen müssen Provider Name und Anschrift von Nutzern bestimmter IP-Adressen herausgeben. Eine richterliche Kontrolle der Wünsche der Polizei gibt es nicht mehr; eine Information der Betroffenen ist ebenso wenig vorgesehen, wie eine Löschung der erhobenen Daten.

Trotzdem wäre es "kompletter Unsinn", dass der gläserne Mensch beschlossene Sache sei, sagte Pilz: "In Europa hat es immer Konflikte zwischen Polizeistaat und Rechtsstaat gegeben. Die Rechte müssen neu erstritten werden." Das Projekt des Überwachungsstaates sei das Projekt einer "bornierten, radikalisierten Minderheit". Die Grünen würden seit vielen Jahren gegen den Überwachungsstaat und für Datenschutz kämpfen, oft von den Medien kaum beachtet.

Doch die öffentliche Meinung sei im Wandel begriffen: "Hätten wir vor zehn Jahren eine Petition gestartet, hätten wir 500 Unterschriften gekriegt." Auf der Website ueberwachungsstaat.at haben bereits über 21.000 Personen eine Petition gegen den Überwachungsstaat unterschrieben, nun wurde auch mit dem Sammeln von Unterschriften auf der Straße begonnen. "Widerstand ist nicht zwecklos", meinte Pilz, "das hat eine viel größere Chance, mehrheitsfähig zu werden, als die Überwachung von [Innenminister Günther] Platter, [Ex-Bundeskanzler Wolfgang] Schüssel [beide ÖVP] und ihrem sozialdemokratischen Beiwagen."

Auf Regierungsebene gebe es einen Konflikt zwischen der sozialdemokratischen Justizministerin Maria Berger und dem ÖVP-Innenminister, im Parlament zwischen den Grünen und den Regierungsparteien. So wolle etwa die Justizministerin den Zugriff auf die im Zuge der Vorratsdatenspeicherung gespeicherten Daten nur mit richterlicher Genehmigung erlauben, während der Innenminister den unmittelbaren Zugriff für die Polizei und andere Behörden fordere. "Aus einem Grund, den ich noch nicht nachvollziehen kann, unterstützt die SPÖ im Parlament den Innenminister gegen die Justizministerin", schilderte Pilz.

Eine sachliche Auseinandersetzung mit den Vertretern der Regierungsparteien sei sinnlos, "weil sie nicht einmal zuhören." Wenn neue Gesetzesvorhaben in den Ausschüssen im Parlament beraten würden, hätten die Abgeordneten der Regierungsfraktionen vorgefertigte Listen von Fragen, auf denen auch schon die Antworten der Minister und Beamten stünden. Die Abgeordneten würden die Fragen vom Blatt lesen, die Befragten ihre Antworten.

Allerdings würden große Zahlen verunsicherte Parteien beeindrucken – und die SPÖ sei eine verunsicherte Partei. Daher sei es entscheidend, wie viele Unterschriften die Petition gegen den Überwachungsstaat erhalte. Außerdem betonte Pilz die Wichtigkeit einer respektierten Verfassung für ein gewaltfreies Zusammenleben. Die letzten Innenminister der ÖVP, Ernst Strasser, Liese Prokop und Günther Platter, würden die Verfassung jedoch lediglich als eine Folge von Hürden begreifen.

Auf den Bundestrojaner angesprochen, meinte Pilz: "Ich habe so etwas Unsinniges (wie den Ministerratsbeschluss für den Bundestrojaner) noch nie gesehen. Es hat ja keiner eine Ahnung, was das sein soll." Der Trojaner-Einsatz sei nur durch Ausnutzung von Sicherheitslücken möglich. Für diese Lücken gäbe es einen Schwarzmarkt. "Wer wird dort mitsteigern? Die russische Mafia, die Al Kaida und das österreichische Innenministerium? Das klingt nicht nur absurd, das ist es auch."

Der historische Dammbruch sei die Einführung des großen Lauschangriffs gewesen, seither würden die Grundrechte schrittweise weiter ausgehöhlt. "Es gibt in der Qualität des Grundrechtseingriffes keinen Unterschied zwischen Verbindungs- und Inhaltsdaten", betonte Pilz, "Es reicht eine Verdächtigung, um den Grundrechtsschutz auszuschalten." Die Vorratsdatenspeicherung stelle alle Bürger unter Generalverdacht, "es könnte ja in Zukunft jemand straffällig werden. Wir sind noch nicht so weit, dass jeder seine Unschuld beweisen muss, aber wir sind in einem Zwischenbereich." Auch hier gebe es einen Konflikt in der Regierung: Der sozialdemokratische Verkehrsminister Werner Faymann wolle die Vorratsdatenspeicherung für sechs Monate, der Innenminister für mindestens ein Jahr.

Ein Dorn im Auge ist Pilz der Einsatz des so genannten IMSI-Catchers. "In der Ortung ist er nicht zu brauchen. Ein völlig sinnloses Gerät. Aber man kann damit Gespräche aus der Nähe überwachen", erklärte Pilz, "Sie können damit genauso überwachen, wie über den Provider mit einem richterlichen Befehl. Nur brauchen sie keinen Provider mehr. Der letzte Zeuge wird beseitigt. Ich traue dem Innenminister keine Sekunde, dass er sich beim Abhören an den Richtervorbehalt hält."

"Mein Vertrauen in die Justiz, rechtsstaatliche Prinzipien einzuhalten, ist sehr groß. Mein Vertrauen in die Polizei, rechtsstaatliche Prinzipien einzuhalten, ist für viele erstaunlich groß", ließ Pilz aufhorchen. Jedoch sei die Missbrauchsanfälligkeit der neuen Polizeibefugnisse sehr hoch. Er sehe insbesondere die Gefahr illegaler Überwachungen, "wenn sich auf der Straße etwa größeres Politisches tut."

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(Daniel AJ Sokolov)

Daniel AJ Sokolov ist freier Journalist und berichtet für heise online über alle Themen aus Telekommunikation, IT und dem gesellschaftlichen Umfeld in Österreich. Sokolov ist parallel dazu auch Mitglied der österreichischen Grünen und Vorsitzender der Bezirksvertretung Wien-Josefstadt. (jk)