Grüne starten Kampagne gegen Export von Überwachungstechnik

Unter dem Schlagwort "Frieden 2.0" haben die Fraktionen der Grünen im Bundestag und EU-Parlament eine Webseite freigeschaltet, die für eine effektive Exportkontrolle "digitaler Waffen" und Zensursoftware wirbt.

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Unter dem Aufhänger "Frieden 2.0" haben die Fraktionen der Grünen im Bundestag und im EU-Parlament eine Online-Kampagne ins Leben gerufen, die für eine effektive Exportkontrolle "digitaler Waffen" eintritt. Es gebe derzeit nur unzureichende Regeln für die Ausfuhr deutscher und europäischer Überwachungstechnik und Zensursoftware, erläuterte die für Menschenrechtsfragen zuständige EU-Abgeordnete Barbara Lochbihler am Montag in Berlin. Autoritäre Regime zeigten aber eine wachsende Nachfrage nach solcher Technik.

Das Geschäftsmodell der Hersteller von Überwachungstechnik stütze sich teils auf deutsche Steuergelder, führte Konstantin von Notz aus, Netzexperte der Grünen im Bundestag. Das es das Bundeskriminalamt (BKA) zum Beispiel nicht schafft, eine Software zur Überwachung von Internet-Telefonaten zu programmieren, experimentiere es mit teuer eingekauften Finfisher-Trojanern der deutsch-britischen Firmengruppe Elaman/Gamma. Die Software werde "mit Zusatzfunktionen" weltweit verkauft, was wiederum dazu führe, "dass Menschen überwacht, in Folterkeller entführt und schlimmstenfalls umgebracht werden".

Das EU-Parlament hat voriges Jahr eine Resolution verabschiedet, in der es Änderungen an den Regeln für die Ausfuhr von Gütern mit militärischem und zivilem Verwendungszweck ("Dual use") fordert. Der Export von Hard- und Software zur Telekommunikationsüberwachung soll nicht mehr allgemein genehmigt werden, wenn sie Menschenrechte, demokratische Prinzipien oder die Redefreiheit verletzen könnten. Die Bundesregierung habe aber dringend erforderliche strengere Auflagen verhindert, moniert Lochbihler. So beziehe sich die Entschließung nicht auf eine Vorabkontrolle und richte sich nicht gegen Überwachungstechnik allgemein, sondern nur auf Telekommunikations- und Internetsoftware.

Über die Kampagnenwebseite können Besucher eine E-Mail an Abgeordnete der schwarz-gelben Koalition schicken und sich darin für Nachbesserungen aussprechen. Insgesamt wollen die Grünen Lochbihler zufolge eine höhere Aufmerksamkeit auf das Thema lenken und den Druck auf die Entscheider in Politik und Wirtschaft erhöhen. Derzeit würden selbst Nachfragen von Volksvertretern bei Exporteuren von Überwachungstechnik als Unverschämtheit abgetan und auf die lange Bank geschoben. Es sei daher richtig, dass Menschenrechtsorganisationen Beschwerde bei der OECD gegen Hersteller wie Gamma oder Trovicor eingereicht hätten.

Auf der Online-Plattform können Interessierte sich auch über Sitz und Namen weiterer deutscher IT-Firmen informieren, die für den Export von Überwachungstechnik bekannt sind. Dazu zählen Siemens und Nokia Siemens Networks in München, Atis Systems und Utimaco Safeware in Bad Homburg beziehungsweise Oberursel, Syborg in Bexbach oder Ipoque in Leipzig. Eine weitere Karte zeigt eine Übersicht über Importländer wie Ägypten, Bahrain, Libyen, Iran oder Syrien und andere in Zentral- und Südostasien. Dazu kommen Beispiele, wie und gegen wen die Schnüffelprogramme bereits eingesetzt wurden. Eine Internationalisierung der Kampagne wollen die Macher nicht ausschließen, aber erst den Erfolg im deutschen Raum abwarten.

In der nächsten Sitzungswoche wollen die Grünen einen Antrag in den Bundestag einbringen, um Länderembargos auszuweiten, internationale Abkommen zu schärfen und Abwehrmaßnahmen wie Tor-Netzwerke zu stärken. Auch ein Verbot staatlicher Bürgschaften für Exporte von Überwachungstechnik soll eingeführt werden. "Es gibt eine totalitäre Seite dieser Technik, die man gesetzlich einhegen muss", betonte von Notz. Der Staat sei dafür verantwortlich, der Ausspähung des intimsten Kernbereichs der Privatsphäre Grenzen zu setzen.

Auf EU-Ebene gehe es darum, für Verstöße gegen die bestehenden Exportbestimmungen Strafsanktionen festzuschreiben und eine jährliche Berichtspflicht für Überwachungstechnik-Hersteller gegenüber der EU-Kommission und dem Parlament einzuführen, erklärte Lochbihler. Die Zeit dazu werde in der auch in Brüssel und Straßburg ablaufenden Legislaturperiode in diesem Jahr nicht mehr ausreichen. Die Grünen bereiteten einen solchen Vorstoß aber bereits vor und wollten ihn dann nach den Neuwahlen rasch auf die Tagesordnung setzen. (anw)