Tauss: Viele Abgeordnete können sich unter "Internet" weniger vorstellen als unter einer Kuh

Eine Mischung aus Borniertheit, Uninformiertheit, technischem Desinteresse und der guten Absicht, wenigstens "etwas" zu tun, hat nach Meinung des Bundestagsabgeordneten Jörg Tauss dafür gesorgt, dass die SPD dem Gesetz für Web-Sperren zustimmte.

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Der Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss, der nach über 38 Jahren Mitgliedschaft kürzlich aus der SPD ausgetreten ist und nun nach eigenen Angaben offizielles Mitglied der Piratenpartei ist, rechnet mit seinen ehemaligen Genossen ab. Auf dem Politikerbefragungsportal Abgeordnetenwatch versucht er in einem Eintrag eine Erklärung für das Abstimmungsverhalten der SPD-Bundestagsabgeordneten zum so genannten Zugangserschwerungsgesetz am Donnerstag zu finden. Kein Abgeordneter käme zum Beispiel auf die Idee, zum Gespräch auf einen Bauernhof zu fahren, ohne sich vorher etwas über die Milchquote oder Ähnliches anzulesen oder aufschreiben zu lassen, schreibt Tauss. Unter "Internet" aber könnten sich viele Abgeordnete immer noch weniger vorstellen als unter einer Kuh.

Diese Abgeordneten müssten sich auf Aussagen wie von Martin Dörmann verlassen, der in der Fraktion von einem "guten Kompromiss" und "Verhandlungserfolg" gegen die Union gesprochen habe. Dörmann wisse aber nicht, "dass sich Stasi 2.0 die Hände reibt". Das wolle er auch nicht wissen, weil "es ihm weder die Bundesnetzagentur noch sein Referent so aufgeschrieben haben". Dörmann war Verhandlungsführer der SPD gegenüber CDU/CSU bei der Ausformulierung des Gesetzes für Internetsperren gegen Kinderpornografie.

Ein großer Teil der Parlamentarier sei nicht mit dem Internet aufgewachsen. Für sie sei es nicht ein technisches Netz oder eine Kommunikationsinfrastruktur, sondern etwas, "wo man eben Böses bekommen kann und wo vermeintlich das Böse auch herkommt und die Gesellschaft durchdringt", vermutet Tauss. In ihren Augen spiegele das Netz nicht die Probleme wider, sonder verursache sie. Ein weiterer Teil seiner Kollegen glaube, etwas gegen Kinderpornografie zu tun und Positives für missbrauchte Kinder zu bewirken. Da zählten keine Fakten.

Noch ein weiterer Teil der Parlamentarier habe sich vor einem negativen Medienecho gefürchtet. Dieser Teil der Partei nehme die "digitale" Welt allenfalls als eine wahr, in die man preiswert und ohne Portokosten "etwas hinschicken" könne. Insgesamt habe eine Mischung aus Borniertheit, Uninformiertheit, technischem Desinteresse und der guten Absicht, wenigstens "etwas" zu tun, dazu geführt, dass nicht Expertenmeinungen und auch nicht die Meinungen von 134.000 Petenten zur Kenntnis genommen worden sei. Mit den Worten "weil es aber doch irgendwie seit ein paar Tagen komisch läuft, gründet man jetzt mit Brigitte Zypries wenigstens nachträglich noch einen Arbeitskreis", schließt Tauss seine Kurzanalyse.

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(anw)