4W

Was war. Was wird.

Das rechtsstaatliche Elend hat eine lange Tradition, hält Hal Faber fest. Wer kann da noch gut schlafen, angesichts einer Woche, die für das, was allgemein als Netzpolitik bezeichnet wird, keine gute Woche war.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 13 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nein, für die "Netzpolitik" war dies keine gute Woche. Der Bundesrat hat das Gesetz zur Reform der Bestandsdatenauskunft abgesegnet. Der Bund deutscher Kriminalbeamter spricht von einem guten Tag für die deutschen Sicherheitsbehörden, nur um noch eins draufzulegen mit der Vorratsdatenspeicherung: "Es kann nicht ewig so weitergehen, dass Verbrecher die einzigen sind, die noch ruhig schlafen können!" Ruhig geschlafen haben all die Politiker, die einem Gesetz zugestimmt haben, das die mit dem E-Government-Gesetz geförderte De-Mail umstandslos abschießt. Geschlafen haben all die Demokratieexperten der Parteien, die bei dem Wohlfühlgesetz für Kriminalbeamte es zuließen, dass Nachrichtendienste sich ebenfalls die PUK und IP-Adressen besorgen können, wenn es zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendig ist. Damit schließt sich ein Kreis: Überwachtes Deutschland heißt ein dieser Tage erschienenes Buch, in dem ein Historiker erzählt, in welchem Ausmaß ab 1955 in der alten BRD die Kommunikation und der Postverkehr mit der alten DDR überwacht wurde, bis 1968 ohne jegliche gesetzliche Grundlage. Während 1968 mit den Notstandsgesetzen ein Instrument entstand, im "Notstandsfall" alle Bürgerrechte aufzuheben, erhielten die Geheimdienste ihre maßgeschneiderten Überwachungsgesetze. Das rechtsstaatliche Elend hat eine lange Tradition.

*** Machen es andere besser? "So klein wir auch sein mögen, unsere Taten sind groß. Nichts bringt uns zu Fall", schmetterten die Niederländer in ihrem schmalzigen Königsliedrap zur Krönung ihres Prins Pilsje. Der allgemeine Medienrummel um eine vormoderne Einrichtung war offenbar bestens geeignet, Erläuterungen und Überlegungen zu einem Dekryptierbefehl zu veröffentlichen, ohne einen allgemeinen Aufschrei zu provozieren. Ein paar Bürgerrechtler bemerken, was da in der Polderdemokratie angedacht wird, der Rest ist Pils. Der beste Kommentar zu diesem ungalanten Vorstoß ist im Lawblog zu lesen: "Sogar der Staat muss gewisse Grenzen beachten. So lange jedenfalls, wie er den 99,99 Prozent der Bevölkerung, die absolut nichts mit Kinderpornografie am Hut haben, noch einen letzten Rest Freiheit zugestehen will."

*** Doch halt, die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Sonntagsreden ist im Mutterland der Startup-Idolaterie in Gefahr. Zwar hat nur das US-Repräsentantenhaus den Cyber Intelligence Sharing and Protection Act (CISPA) gebilligt, während der Senat die Gesetzesvorlage nicht verabschieden will, doch die Gefahr ist nicht vorüber. Im Gegenteil: Konzerne wie der Brillenproduzent Google oder die Fetischwaren-Kette Apple befürworten CISPA. Robert McChesney, Professor für Kommunikationswissenschaft an der "Netscape"-Universität von Illinois, sieht ein Zusammenwachsen der Internet-Konzerne mit dem modernen Militär zu einem Cyber-Digitalen-Komplex. Die weitgehende Überwachung der Bürger ist ganz im Sinne von Google und Co, die dafür Aufträge im großen Stil kassieren – und ganz nebenbei das große Datensammeln ungestört weiterführen können.

*** Das bringt unweigerlich eine Frage auf den Bildschirm, die dieser Tage eine sehr verwirrende Antwort vom obersten Informationsfreiheit- und Bundesdatenschützer erhielt. Glaubt man Peter Schaar, so sind von Journalisten gespeicherte Dateien auf Google Drive, Dropbox, Ubuntu One oder gar der geplanten supersicheren freistaatlich finanzierten   nPA-Box nicht wirklich geschützt. Der für Journalisten geltende Quellenschutz für Kontakte und Recherchematerial soll bei Online-Inhalten nicht greifen. Aktuell ist zwar kein einziger Fall bekannt, wo deutsche Ermittler etwa eine Dropbox konfiszierten, aber heute ist ja jeder irgendwie Journalist, da wird es schnell passiert sein. Die unmittelbare Konsequenz macht jeden ernsthaft arbeitenden Journalisten zum Gemüsehändler im Stil der Pretty Good Grocery: Wer brisante Inhalte zu einer Recherche nicht verschlüsselt in die Cloud stellt, handelt fahrlässig. Wer diese Inhalte nicht gesondert auf einem externen Medium absichert, bettelt um Besuch im Morgengrauen. Und wer seine Informanten in den Kontaktlisten seines Klugphones gleich welcher Bauart gespeichert hat, ist Hilfzist, nicht Journalist.

*** Heute vor 200 Jahren wurde der Philosoph Søren Kierkegaard geboren. Das wird in gelehrten Abhandlungen über den Einzelnen sicher gebührend gewürdigt, links wie rechts. Nun denn: Kierkegaard verachtete Journalisten und nannte sie Klatschmorcheln, die davon lebten, über eigene als wahr empfundene wie erfundene Geschichten zu schreiben, die dann ein unmündiges Publikum liest und glaubt. Mit der "Korsaren-Affäre", einer vernichtenden Kritik der Satire-Zeitschrift Korsar, wurde der leicht bucklige Kierkegaard in der scheinniedlichen Stadt Kopenhagen zum Gespött der Öffentlichkeit. Sie sollte ihn "totgrinsen", so der Aufruf des Korsaren. Es gibt Berichte aus der Zeit, dass Straßenkinder ihm ein lauten "Enten-Eller" hinterherriefen, womit keineswegs die Quaakvögel gemeint waren, sondern sein Hauptwerk "Entweder-Oder". Ja, der große Philosoph wurde erstes Opfer des modernen Medienstalkings,

Was wird.

Hach, was waren das noch für Zeiten, als Blogger die Welt veränderten! Und kleine, witzige Konferenzen veranstalteten, auf der es darum ging, wie man ordentlich Kohle machen kann. Inzwischen ist aus dem Ansatz eine Großveranstaltung namens re:publica geworden, mit über 5000 Teilnehmern und ein paar Hundert Referenten. Nicht alle vom Schlage eines Gunter Dueck, der mit seiner Omnisophie die Mindestgage von 5000 Euro festgelegt hat. Als erfolgreiches Format kann sich das die re:publica leisten, wobei beim Format noch unklar ist, ob es eine Art Kirchentag für digital Natives ist, ein Internet-Klassentreffen oder der Startschuss für eine ganz große Meckerei. Apropos Schuss: Auf, auf, zum Kampf, zum Kampf sind wir geboren, hieß es mal in einem vielseitig verwendbaren Lied, das bald für die digital Natives umgedichtet werden könnte, wenn sie mit Twitter und Facebook in den Krieg ziehen. "Der Kommandokämpfer wird zum Vertreter einer kriegerischen digitalen Boheme, der sich nur durch den Gegenstand seiner Arbeit vom Hipster in Berlin unterscheidet." Die Bobos als Frontschweine, das hat was, in einer ehemaligen prüden Frontstadt mit fremdelnden Luxusproblemen. Weltoffen und deutsch, das ist einfach ein Gegensatz, den selbst der Berlin-Besucher Kierkegaard nicht denkend überwinden könnte.

Wo ist nochmal die Front?. Einen schicken Foto- Wettbewerb hatte die europäische Grenzschutzagentur Frontex unter dem beziehungsreichen Titel Ties that bind ausgerichtet. Schließlich sind Grenzen eine "wichtige Wegscheide gesellschaftlicher Integration", meint Frontex. Wir kennen das ja: Wer in Deutschland als Flüchtling oder Geduldeter seinen angewiesenen Landkreis verlässt, macht sich strafbar und gilt als unintegrierbar. Wer mit geschmackvoll fotografierten Beiträgen zum Thema "Ties that bind" wie "weiße Kabelbinder auf schwarzer Haut" gewonnen hat, soll in der nächsten Woche bekannt gegeben werden. Den Gewinnern winkt eine Reise nach Warschau zum Frontex-Kongress über intelligente Grenzkontrollsysteme. Mögen sie nicht in ihren Fliegern schmoren wie deutsche Minister, die unbeirrt von der Kritik der Datenschützer von Smart Borders schwärmen, die als "lückenlose Vorratsdatenspeicherung" angelegt ist. (jk)