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Was war. Was wird.

Die Sprache dieser kleinen wöchentlichen Texte ist Deutsch. Behauptet zumindest Hal Faber, auch wenn ihm manche Leser darin nicht folgen mögen. Aber es gibt ja auch Leute, die im eigenen Saft schmoren und dazu "Mit uns geht die neue Zeit" singen.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** To Wiehnachten inem Christmaand kaamt een brebengrannige Politikser op'nem fideelen Infall, dat Düütsch in dat Grundgesett rindan. Dat is helemal een Versehn. Doto weert vörslahn, düssen Tosatz to § 22 von dat Grundgesett in düsse Wies totosetten: "De Spraken von de Bundesrepublik sünd Düütsch, Dänisch, Fresisch, Plattdüütsch, Romanes, Sorbisch un Törksch. De Bundesrepublik sett sik för dat Wohren von düsse Spraken un för de Rechten von ehr Sprekers in. De Rechten von Sprekers von annere Spraken weert dorch düsse Regel nich anlangt." Wat mutt, dat geit. De plattdüütsche Unnergrond glöven, dat Obama recht behöllt: Jo, wi köönt Wannel vullbringen.

*** Und was ist mit Tee, äh, Alemannisch? Ich persönlich finde es unerheblich, ob Deutsch im Grundgesetz steht, solange unerheblich in einem anderen Gesetz steht. Unerheblich steht im Duden zwischen unergründbar und unerhört. Beides könnte man zu diesem allerfeinsten Gesetzesdeutsch sagen: "Die Benachrichtigung unterbleibt, wenn ihr überwiegende schutzwürdige Belange einer betroffenen Person entgegenstehen. Zudem kann die Benachrichtigung einer in Satz 1 Nr. 6, 7 und 8 bezeichneten Person, gegen die sich die Maßnahme nicht gerichtet hat, unterbleiben, wenn diese von der Maßnahme nur unerheblich betroffen wurde und anzunehmen ist, dass sie kein Interesse an einer Benachrichtigung hat." Richtig, ich bin mal wieder bei der heimlichen Online-Durchsuchung nach dem BKA-Gesetz angelangt, das diese Woche unerheblich überarbeitet wurde. Das "tragfähige" Ergebnis ist ein bitterböser Witz mit eingebauter Grundrechtsverletzung: Der weisungsungebundene Datenschutzbeauftragte beim BKA, Herr Burkhard Heefe, und sein Chef, Herr Jörg Ziercke, werden bei ihrer Arbeit von einem ordentlichen Richter entlastet. Welchselbiger nicht nur die Überwachungsmaßnahme genehmigt, sondern auch darüber befindet, ob die betroffene Person überhaupt ein Interesse an einer Benachrichtigung hat oder alles sowieso unerheblich ist.

*** Dank der neuen deutschen Unerheblichkeit haben wir in dieser Woche gelernt, dass eben jene deutschen Richter, die bald für das Wirken der neuen Superpolizei zuständig sein sollen, in 2186 Ermittlungsverfahren den Zugriff auf Verbindungsdaten von Telefon- und Internetkommunikation gestattet haben. Die Beauskunftung der Bundesregierung auf die Anfrage der FDP (PDF-Datei) sollte jeder mindestens einmal gelesen haben, der sich auf eine Demonstration des AK Vorratsdatenspeicherung begibt. Denn damit macht er sich schuldig, eine Panik zu erzeugen, die wiederum zu einem Einschüchterungseffekt führt. Die Kritiker der Datensammelei sind die neuen Terroristen, was die beauskunftende Regierung aufs Schönste mit Zitaten aus der fast schon regierungsamtlichen tageszeitung garniert. Aus der noch nicht im DIP-System gespeicherten Bundestagsdrucksache 16/11139 hier einige Auszüge, den vollen Worlaut bietet die Zenzizenzizenzic Armee Fraktion:

"Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Speicherungspflichten keinen unzuläsigen 'Einschüchterungseffekt' erzeugen. Ein solcher Einschüchterungseffekt wurde auch früher nicht wahrgenommen, obwohl bereits vor der Einführung von Flatrates vergleichsweise viele Daten im Rahmen privatrechtlicher Vertragsverhältnisse zwischen Kunden und Telekommunikationsunternehmen gespeichert wurden, für die gesetzliche Zugriffsmöglichkeiten der Behörden bestanden."

Zwar muss selbst die beauskunftende Regierungsstelle konzedieren, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum informationellen Selbstbestimmungsrecht sehr wohl einen Einschüchterungseffekt sieht. Aber der ist neudeutsch gesagt unerheblich.

"Bei der Einordnung einer solchen Wirkung kann jedoch nicht allein auf das subjektive Empfinden von Adressaten einer Regelung abgestellt werden. Die abschreckende Wirkung kann ein faktischer Eingriff nur erzeugen, wenn sie – wie jede andere Form des Eingriffs auch – dem Staat bzw. dem Gesetzgeber zuzurechnen wäre. Dies setzt ein zutreffendes Verständnis des Inhalts der angegriffenen Regelungen voraus, auf dem die abschreckende Wirkung gründen müsste. Wirkungen, die aus einer verzeichnenden Darstellung gesetzlicher Regelungen resultieren (vgl. zur Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung: Rath, Freiheit statt Angst in der tageszeitung v. 2.1.2008 'Horrorszenarien', 'maßlose Übertreibung'), erscheinen nicht geeignet, Grundlage für einen verfassungsrechtlich relevanten 'Einschüchterungseffekt' zu bieten."

Kurzum, denn die Aktion Neusprech ist noch nicht zu Ende, der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hat selbst Schuld. Er baut erst den Einschüchterungspopanzen auf. Er ist eigentlich ein Arbeitskreis Einschüchterung und Bevormundung, wenn er bundeseigentliche unschuldig mädchenhafte Freiheitskampagnen böswilligst übeltäterisch und unerhörterweise für seine Einschüchterungskampagne missbraucht. Kurzum, die Bildvergewaltiger haben Schuld, natürlich unter Berufung auf die Zeitung mit der schwarzen Panterpfote, die den AK Vorrat vehement bekriegt:

"Damit wird durch unrichtige und verzerrende Darstellungen erst der Effekt erzeugt, der dem kritisierten Gesetz unterstellt wird (vgl. dazu Rath, Aus Angst wird weniger telefoniert v.6.2.2008 'Die Umfrage ist also eher ein Beleg dafür, welche Folgen die übertriebene Öffentlichkeitsarbeit der Kritiker haben kann')."

*** Das Gegenteil einer Einschüchterungskampagne ist verstärktes Aufmunterungstraining. Wird sämtliche elektronische Kommunikation überwacht, so gibt es immer noch die "Runner", die im aktuellen, (noch?) nicht online verfügbaren EA Magazin als vorbildliche Superhelden unseres Jahrhunderts gefeiert werden. "Die unglaublich beweglichen Kuriere stellen die einzige Möglichkeit dar, vertrauliche Informationen sicher auszutauschen." Die Parcour-gestählten Typen aus dem Spiel Mirror's Edge kennen nur die Aufgabe, den Regierungsagenten zu entkommen. Die Message ist klar: Nur sportliche Typen haben eine Chance gegen den absoluten Überwachungsstaat. Entworfen wurde das Spiel mit der Hauptfigur Faith von Rhianna Pratchett, der Tochter vom Scheibenwelt-Autor Terry Pratchett. Als Nichtspieler und aktiver Unsportler möchte ich kein Urteil über Game wie Parcours-Tricks fällen, doch halte ich die beruhigende Aussage von Electronic Arts für ungenügend, dass wir in einer Demokratie leben, dass das Spiel Fiktion ist und die Kommunikation im Internet sicher. Warum soll man nicht den Kids erklären, was Verschlüsselung ist und wie sie sich absichern können, ganz ohne Handstand auf einer Mauer? Passt das wirklich nicht mehr auf die DVD?

*** Aus Mumbai wurde getwittert. Das kann man für epochal und durchbrecherisch halten oder für einen kurzen Schluckauf der Realität im Echoraum von Gerüchten, Selbstdarstellungen und purem Geschwätz. Leider besiegt die Begeisterung für Twitter mitunter den kritischen Verstand. Dann kommt ein großer seifiger Blubber über die interaktive Öffentlichkeit heraus, das mit einem Feuer im Hotel beginnt und mit Obamas Wahl endet. Ich hoffe, soweit ist alles verständlich, denn jetzt heben wir mal ein bisschen ab, mit dem Juristen und Historiker Frederik Maitland, der mittelalterliche Dokumente über die Körper der Könige studierte und sie als "metaphysiologischen Unsinn" bezeichnete: Jeder König hatte im Mittelalter nämlich zwei Körper. Den physischen, der wie jeder Mensch stirbt, und den metaphysischen, der unsterblich das Königsamt weitergibt. Heute geht es um Blogger und Journalisten. Manche Blogger wollen das Amt des Journalisten beerben, weil sie in ihm den Meinungskönig sehen. In Gestalt bloggender Journalisten kommt es daher zu tödlichen Ankündigungen in Reaktion auf törichte Beschuldigungen im Leibblatt aller Gewerkschaftsfunktionäre, gefolgt von devoten Ehrbezeugungen. Dem "Mit uns zieht die neue Zeit" folgt nahtlos das "Wir schmoren glücklich im eigenen Saft" der Blogger, die einen Recherche-Auftrag einfach ignorieren: nichts rechtes eingefallen, ganz easy. Und der neue König, der seinen doofen Print-Kollegen schon mal untersagt, Reaktionen aus dem Blog abzudrucken, steht über dem Gemetzel und schreibt über seinen neuen, nunmehr auch gesalbten und geweihten Körper:

"Meine Aufgabe innerhalb der Redaktion ist nicht die textliche Verfolgung des Nachrichtengeschehens. Wenn Sie also meine Arbeit daran beurteilen, dann legen sie einen Maßstab an, der mir nicht vorgegeben wurde. Diesen Fehler hat weiter oben bereits auch jemand gemacht, obwohl er es besser wissen müsste. Meine Vorgabe ist vor allem die Verfolgung langfristiger Trends."

Ja, da kann man dann in den "Bild"-Leserreportern, die nunmehr mit Videokameras auf die Welt losgelassen werden, das Grundvertrauen des Axel-Springer-Verlags in die Medienkompetenz der Bürger entdecken.

*** In der norddeutschen Tiefebene geht es etwas rustikaler zu. Könige und Kleriker hatten es im Land der freien Sachsen immer schwer. Darum gehört in diese Wochenchronik ein herzlicher Gruß an den unbekannten Südstaatler, dessen Dank an Christiane Floyd eine wehmütige Abschiedsveranstaltung eröffnete, in der mehrfach aus dem Newsticker zitiert wurde. Der größte Gruß geht natürlich an die verabschiedete Professorin, die den Mut hatte, die Disputation aus dem Gefängnis zu realisieren, mit der der Informatiker Tesfaye Biru sein Examen bestand.

Was wird.

Was wird, ist unerheblich. Wir leben alle im Jetzt, stellen die Parkscheibe und amüsieren uns mit Berichten über das bayuwarische Apfellager. Kurz war ja der vielumtwitterte Obama in Gefahr, nicht Präsident werden zu können, weil ihm ein handfestes ZuneGate drohte. Denn wer ein iPhone verschmäht, ist zu allem fähig, erst recht zum ausgemachten Wahlbetrug. Nur gut, dass Obama und sein Vize rechtzeitig versichern konnten, Apple-Rechner zu benutzen oder zumindest einen iPod zu kennen. Doch was ist mit Hillary Clinton? Feiert sie den 60. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte am kommenden Mittwoch etwa vor einem Windows-PC? Doch alles wird gut: Xavier Nadoo tritt dann bei Apple in München auf, nachdem Peter Maffay dort abgerockt haben wird. Darauf schmeißen wir glatt ein paar bayerisch-blaue Styragra ein. (Hal Faber) / (jk)