Europarat liebäugelt mit Empfehlung für Web-Sperren

Im Kampf gegen Bilder sexuellen Kindermissbrauchs sei zu überlegen, ob Staat und Wirtschaft in gemeinsamer Kooperation Web-Blockaden aufbauen sollten, meint die stellvertretende Generalsekretärin des Europarats.

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Der Europarat beobachtet die Umsetzung des deutschen Gesetzes zur Zugangserschwernis für Webseiten mit kinderpornographischen Inhalten mit großen Interesse. "Wir wollen sehen, ob wir daraus Lehren für andere Nationen ziehen können", sagte Maud de Boer-Buquicchio, stellvertretende Generalsekretärin des Staatenbundes, heute auf der Konferenz "Schutz vor sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche mit Fokus auf neue Medien" in Berlin. Ihr erscheine die kürzlich vom Bundestag beschlossene Regelung als eine "starke Antwort" auf die Verbreitung von Bildern sexuellen Kindermissbrauchs im Internet.

Da das Internet international sei, müsse überlegt werden, ob alle Europarat-Staaten technische Web-Blockaden implementieren sollten, sagte Boer-Buquicchio. Sie denkt dabei nicht an gesetzliche Verpflichtungen, sondern an freiwillige Vereinbarungen auf Basis "öffentlich-privater Partnerschaften". Zudem müssten bei den Sperren die Grundsätze der Meinungsfreiheit berücksichtigt werden. Generell sei der Europarat gegründet worden, um Freiheitswerte zu verteidigen, die Meinungsfreiheit sei aber kein Freibrief, "Kindern unwiderruflichen Schaden zuzufügen".

Der Europarat hatte bereits Abkommen gegen Cybercrime und gegen den Missbrauch von Kindern verabschiedet. Boer-Buquicchio appellierte an die hier noch untätigen Mitgliedsstaaten, diesen Verträgen "sofort" beizutreten und sie ins nationale Recht umzusetzen. Die Wirtschaft müsse zusätzliche Aufgaben übernehmen, vor allem in den Bereichen Telekommunikation, Banken und Tourismus. Es gebe bereits eine Empfehlung des Europarats für die Wahrung von Meinungsfreiheit beim Einsatz von Internet-Filtern, ausgearbeitet sei eine ergänzende Strategie für die Stärkung von Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen. Im kommenden Jahr solle eine Kampagne zur Bekämpfung von sexueller Ausbeutung hinzukommen.

Sharon Cooper von der Chapel Hill School of Medicine an der University of North Carolina meinte, dass die Verbreitung von Bildern sexuellen Missbrauchs von Kindern mit dem Internet deutlich zugenommen habe. "In den USA starteten wir mit 100.000 Bildern in unserer Datenbank, jetzt sind darin über 15,5 Millionen." Die gezeigte Gewalt nehme zu. Außerdem sei die Zahl der Fälle von sexuellen Missbrauchs von Kindern in der eigenen Familie von 2001 bis 2006 von 300.000 auf 650.000 angestiegen. An dieser Entwicklung und an der zunehmenden Neigung Jugendlicher zum Missbrauch von Gleichaltrigen übers Netz sei die Medien, Werbe- und Schönheitsindustrie schuld sowie die Macher von Musikvideos, die Prostitution verherrlichen würden.

Zoe Hilton von der britischen National Society for the Prevention of Cruelty to Children sieht den deutschen Gesetzesvorstoß als "exzellentes Beispiel". Sie hoffe, dass ihm viele Länder folgen werden. Das Web 2.0 habe neue Bedenken bei Kinderschützern verursacht, denn es werde einfacher, Kontakte durch Fremde anzubahnen. Weitere Gefahren machte sie in der Ausbreitung mobiler Internetzugänge aus. In Großbritannien wachse die "Frustration" über Selbstregulierungsmaßnahmen der Wirtschaft bei Web-Sperren. Damit würden kinderpornographische Seiten nicht "zu hundert Prozent" geblockt.

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(Stefan Krempl) / (anw)