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Was war. Was wird.

Wir leben in einer Zeit, in der ein Bertolt Brecht zugeordneter Text ausgerechnet in einem Springer-Blatt erscheint und der Papst einen Koalabären streichelt. Hal Faber wartet derweil auf das Ende der Computermaus.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Am Rande der norddeutschen Tiefebene, dort, wo ein gewisser Arminius seinem Kumpel Varus seine Legionen kaputtschlug, liegt Osnabrück, die Friedensstadt, wie es die Bahnhofssprecher immer betonen, wenn mal ein Reisender ankommt. Doch das mit der Friedensstadt ist sooo 1648 und stammt nicht aus einer Zeit, als der Papst mal eben das Köpfchen eines Koalabären streicheln konnte. Nein, in Osnabrück, wo die Legionen Kapores gingen, geht es überhaupt nicht friedlich zu. Eine Kraftfahrer-Schutzvereinigung kämpft beispielsweise gegen die Stasikästen, ein Fußballverein gegen den Abstieg und die Jugend kämpft gegen die Langeweile. Regelmäßig brechen in Osnabrück Wölfe aus. In diesem herben Milieu ist Christian Wulff großgeworden, ein Mann, der sich jahrelang im schönen Hannover mit "Hulk" Schröder duellieren musste und nun bekennt, das ihm der Wille zur Macht fehlt. Die Aussage verstört die halbe Republik, denn bitteschön, das sagt ein waidwundes Alphatier, das aus der Stadt kommt, in der Wahrheitsmaschinen zerlegt und wieder repariert werden.

Erklärungen der Art, dass Wulff Nietzsche nicht verstanden hat, greifen da nicht, weil Nietzsche niemals Bundeskanzler werden wollte, sondern Hulk. Wahrscheinlich war es wie beim Papst-Besuch, als die Worte des Kirchenmannes sehr schwer zu verstehen waren. Als echter Osnabrücker wird Wulff den Willen zur Nacht gemeint haben. Schließlich laufen die Vorbereitungen zum Tag des Systemadministrators, an dem wir den Wächtern der Nacht wie Anton Gorodetzki Abbitte leisten, dass wir die Arbeit der Admins nicht ausreichend würdigen. Denn schließlich sind es die Systemadministratoren von Moskau bis San Francisco, deren unermüdlicher Aufsicht wir die Illusion verdanken, einen freien Willen zur Macht zu besitzen.

*** Einen Willen zur Macht wird man dem amerikanischen Präsidentschaftsanwärter John McCain nicht absprechen können. Aber vielleicht einen Willen, sich seines Verstandes zu bedienen. Während eine älteste Bloggerin der Welt die älteste Bloggerin der Welt ablöst, muss McCain in einem Interview mit der New York Times zugeben, dass er das Internet nicht kennt und sich offenbar die E-Mails ausdrucken lässt. Dabei ist das Internet von Männern und Frauen geschaffen worden, die älter sind als er. Aus dem Kommentar zu dieser Haltung könnten deutsche Journalisten lernen, die die Netzverdrossenheit der Politiker sang und klanglos akzeptieren. Ich fasse zusammen: Der Unwillen, sich die Kommunikationsform des 21. Jahrhunderts anzueignen, zeigt eine geistige Unbeweglichkeit, die zu denken geben muss.

*** Datenschutztechnisch sind wir eben diesen Amerikanern in genau dieser Woche ein gutes Stück näher gekommen. Fröhlich gestimmt können wir jetzt mit Kraftwerk den 1981 geschrieben Song Computerwelt mitsingen:

Interpol und Deutsche Bank
FBI und Scotland Yard
Flensburg und das BKA
haben unsere Daten da.

Beunruhigend ist das nicht, aber nein, da will uns niemand etwas zum Schur tun, denn die USA sind auch ein Rechtsstaat und kennen den Datenschutz. Die entsprechende Klausel im Abschlussbericht der EU-USA-Kontaktgruppe ist da butterhart:

"Personal information revealing racial or ethnic origins, political opinions or religious or philosophical beliefs, or trade union membership, as well as personal information concerning health or sexual life or other categories defined under domestic law may not be processed unless domestic law provides appropriate safeguards."

Aber die USA sind halt ein großes Land, da gelten nun einmal andere Maßstäbe. Ein konfessionsloser schwuler vegetarischer Journalist, der Mitglied bei ver.di ist und 6 von 49 Anschlussflügen verpasst hat, ist jederzeit willkommen im Land der unbegrenzten Kombinationsmöglichkeiten, auch wenn die Frage offen bleibt, wo eigentlich diese Daten zusammengeführt werden und woher sie kommen. Wenn dann etwas passiert im weiten Land, dann ist es auch nicht tragisch. So ein Leckchen auf Facebook, bei dem mal eben die Geburtsdaten von 80 Millionen Nutzern zu sehen sind, ist "not a major data breach", meinen die US-Experten, denn hey, du, Cowboy und du, Surabaya Johnny, ihr habt ja die Kanonen in der Hand und könnt euch wehren und 108 Jahre alt machen. Und wenn das nicht genug ist. dann hilft noch ganz wiefelspützbürgerlich die Beschwerde über dem netten Herrn Steinmeier sein Ministerium, das wissen wir doch seit Murat Kurnaz, Ha-Hahahah.

*** Taka Taka Tak. Vielleicht ist die Sache mit der Online-Durchsuchung kein Produkt der Luminae Civitatis, der Staatsleuchten, von denen Cicero schwärmte, sondern ein Geholze von Armleuchtern. Das legt jedenfalls die Abschiedsrede nahe, die der ausscheidende Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem in Karlsruhe hielt. Mit ihr ist das Gemauschel, die Maulkörbe und die verdrucksten Darstellungen zu dieser höchst fragwürdigen Polizeitechnik wenigstens einmal für kommende Generationen dokumentiert, die mehr über die Erfolglosigkeit der Wunderwaffe wissen wollen, die unser domestic law verunzieren soll:

"Wollen Regierung und Parlament die Freiheit der Bürger im Interesse ihrer Sicherheit einschränken, haben sie eine Bringschuld, dass der Eingriff in die Freiheit durch einen hinreichenden Gewinn an Sicherheit aufgewogen wird."

Das Ausmalen von Bedrohungen übertüncht nach Hoffmann-Riem lediglich, dass es für die Technik der Online-Durchsuchungen alles andere als belastbare Beweise gebe, dass die Maßnahme wirklich ein geeignetes Fahndungsinstrument ist. Auch die bayerische Kastration des Versammlungsrechtes zog den Zorn des Ruheständlers auf sich. Doch was heißt schon Ruheständler? Die nächsten Abwatschungen sind fest gebucht

Was wird

Hoppla, damit ist diese kleine Wochenschau schon in der sonnigen Zukunft angelangt. Einer wirklich strahlenden Zukunft, in der die Arbeit mit der Maus der Vergangenheit angehört und ähnlich belächelt wird wie Scottys Herumfummeln am Mac. Pfeifen wir also auf die Maus und denken uns schöne Gesten für Alt-F4 aus, für die Rechner, die Nasepopeln als Aufruf der neuesten Dissertation versteht.

Etwas Geduld ist bei älteren Artikeln und längeren Vorgaben angeraten. Mit großem Aplomb feiert ja die Tour de France die Aufdeckung der Doper, die alle samt und sonders latürnich Einzelfälle sind, die ein humanglobaler Zufall aufs Rad gesetzt hat. Bis zum kommenden Sonntag sollen eine Handvoll weiterer absolut unglaublicher Einzelfälle aufgedeckt werden. Aber was ist dieses Tour-Ende oder auch der 100. Geburtstag des FBI mit seiner Datensammlung schon gegen die Entdeckung eines Brecht-Textes, der an diesem Sonntag ausgerechnet in einem Springer-Blatt erscheint. Die "literarische Kostbarkeit" ist die Schilderung einer Abschlussfeier einer Mädchenschule, die Brecht sommersonnig verfasst haben soll, um eine Paula Banholzer vögeln zu können. So lösen sich alle Geheimnisse eines längst vergangenen Sommers auf. Rascheln da die Blätter? Müssen wir schon Kurt Weils Septemberlied anstimmen und auf das Herbstprogramm umschalten?

Aber nicht doch. Der Sommer hat erst angefangen, seine Geheimnisse sind noch längst nicht entdeckt. Außerdem wartet das Sommerrätsel mit seinen (hoffentlich) knackigen Aufgaben. Ja, wenn im Sommer die Nacht kommt und es dunkel wird, wenn die Sterne runterfallen und die Berge in die See gespült werden, dann bleibt nur die bange Frage, wer bei mir steht. Dann ist da noch die Kleinigkeit, welcher Computer in diesem großartigen Stand by Me zu sehen ist. (Hal Faber) / (anw)