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Was war. Was wird.

Die Aufregung ist groß. Ja, die USA zapfen alles an, was nur irgendwie anzapfbar ist. Darauf pfeift sich Hal Faber eins, zu einer Melodei von den Beatles: Wi oall liff in ä Blaffdeil Dätabeis, Blaffdeil Dätabeis, Blaffdeil Dätabeis.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen**. – Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden**. Jeder hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen. – Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung**; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten. – Es gelten die allgemeinen Geschäftsbedingungen.
** Gilt nur für die USA

*** Die Aufregung ist groß. Ja, die USA zapfen alles an, was nur irgendwie anzapfbar ist. Ja, Großbritannien machte mit. Und China benutzte vielleicht auch die dafür vorgesehen Schnittstellen. PRISM soll das große, super geheime Überwachungsprojekt der NSA heißen, was sicher ein Schreibfehler ist, denn PRISON passt viel besser. Das universelle Datengefängnis im Stil von Benthams Panoptikon lässt grüßen, installiert im schönen Ort mit dem passenden Namen Bluffdale. Das Ganze soll bereits im Jahre 2007 angefangen haben, die Grundzüge des Systems sollen in Fort Meade ausgeheckt worden sein, doch jetzt erst wird vor den amerikanischen Umtrieben gewarnt, die allen Ernstes ein Yottabyte speichern wollen. Je nach Berechnung von aktuellen Storagesystemen kommen da 500 Millionen Festplatten zusammen und eine wunderschöne Hochwasser-Verschwörungstheorie.

*** Eilends befragte Experten spekulieren über einen europäischen Graubereich und das unvermeidliche Anonymous legt wieder einmal los, stilgerecht mit Zeile 23. Kleists Aufsatz Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken feiert fröhlich ein zeitgemäßes Urständ, wenn es in der Washington Post heißt: "They quite literally can watch your ideas form as you type." Die dunkle Vorstellung der Terroristen soll an der Quelle gefunden werden, wenn sie mit der Tastatur formuliert wird. Denn der Schutz vor Terror und Kriminalität ist bekanntlich das wertvollste Bürgerrecht, jedenfalls für den obersten deutschen Polizisten. Wie wäre es mit einem kleinen Umbau der Grundrechte?

Alle Menschen sind frei und unvermummt und haben nichts zu verbergen. Gezielte Eingriffe in das Privatleben, die Wohnung und den Schriftverkehr sind im Namen der Sicherheit als höchstes Bürgerrecht erlaubt. Wer dennoch falschen Meinungen ungehindert anhängt und verbotenes Gedankengut im Internet aufsucht, wer sich mit seinem Regenschirm vermummt, steht nicht auf dem Boden der vom Verfassungsschutz gepflegten freiheitlich demokratischen Grundordnung. Wenn US-Präsident Obama zum Jahrestag der Kennedy-Rede nach Deutschland kommt, sind Regenschirme als Massenvernichtungswaffen geächtet. Der Refrain des Obama-Begrüßungsliedes ist kennedygerecht von allen begeisterten Deutschen fähnchenschwenkend korrekt zu singen: We all live in a Bluffdale Database. (Wi oall liff in ä Blaffdeil Dätabeis)

*** Wer mit den Liedern der Beatles aufgewachsen ist und die Schweine fliegen gesehen hat, wird sich noch daran erinnern, dass alles so neu nicht ist und unbritisch schon gar nicht. Skynet, der erste britische Kommunikationssatellit, wurde überwiegend vom GHCQ benutzt, die Kommunikation zur eigenen Analyse auszuleiten. Als das Internet an Bedeutung zunahm, machten Berichte über das Echelon-System der UKUSA-Staaten (UK, USA, Kanada, Australien) die Runde, begleitet von blasierter europäischer Ahnungslosigkeit. Anfangs wurde gar die Existenz der National Security Agency (NSA) abgestritten, die jetzt hinter Prism steht. Die Debatten um das Ausschnüffeln per Echelon verhalfen dem Verschlüsselungssystem PGP zum Durchbruch und animierten den deutschen Innenminister Kanther dazu, einen Höllenhund fürs Internet zu entwickeln. Auf Echelon folgte die Debatte um den NSAkey in Windows, die Microsoft im Jahr 2000 abbrach, ohne jemals vollständig Auskunft gegeben zu haben. Möge auf den Echelon-Nachfolger Prism eine Debatte folgen, wie PGP samt OpenPGP/Enigmail noch einfacher werden kann. Vielleicht verhelfen auch die alarmistischen Berichte zum richtigen Kick, Verschlüsselungstechnik zu installieren. Optimist sein, heißt an das Verpeilte im Kern aller Menschen zu glauben. Sie machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie ohne Backup.

*** Fort Meade ist nicht nur die Heimat von Echelon und Prism, in Fort Meade steht seit Montag auch der Obergefreite der US-Armee Bradley Manning vor Gericht. Ihm wird vorgeworfen, dem Feind geholfen zu haben. Bislang wird die aktive Hilfe vor allem darüber konstruiert, dass Manning geheime Interna an Wikileaks weitergeleitet hat, wo sie etwa Osama bin Laden finden konnte. Dieser außerordentlich vage Link in der Beweisführung kontrastiert hübsch mit der Aussage des Prism-Projektes We hack everywhere. Bekanntlich hat sich Bradley Manning nach einer ersten Kontaktaufnahme über die Einlieferungsplattform von Wikileaks mit einem Mailaccount unter dem Namen "pressassociation@jabber.ccc.de" unterhalten. Die Anklage setzt alles daran, gerichtsfest zu beweisen, dass hinter diesem Account eindeutig immer Julian Assange stand und niemand sonst. Sollte der Beweis mit Prism nicht ein Klacks sein, wo sonst die Jabber-Adressen so eindeutig nicht sind? Und wo wir bei den Beweisen sind: Wie wäre es mit der getwitterten Behauptung von Kim Dotcom, dass erst seine Spende von 20.000 Euro für das Collateral Murder-Video das FBI auf die Spur von Megaupload setzte? So kommt zusammen, was zusammengehört.

Was wird.

Auch in der nächsten Woche geht der Prozess gegen den lästigen Amerikaner weiter, während der lästige Australier in einer Londoner Botschaft sitzt. Immerhin hat sich der ecuadorianische Außenminister angesagt, um den Fall von Julian Assange vor Ort zu verhandeln. Fieberhaft dürfte daran gearbeitet werden, den nächsten großen Whistleblower zu verhaften, der die Existenz von Prism verpfiffen hat.

Echelon startete als SIGINT-Plattform und über die Jahre so ausgebaut, dass auch die Internet-Kommunikation erfasst werden konnte. Was SIGINT anbelangt, so erfreut sich Deutschland derzeit einer "Fahigkeitslücke", militärisch gesprochen. Es gibt zwar ein neues Modul, das angeblich das beste der Welt ist, das aber fliegen muss, um "sehen" zu können: Anders als die französische Aufklärung per Satellit benötigt das unter dem G10-Gesetz operierende ISIS einen Flieger, der in 15 Kilometern Höhe über Deutschland und damit über dem allgemeinen Luftverkehr seine Kreise zieht. Eigentlich sollte dies der Euro Hawk sein, doch sorgte 2009 ein kategorisches Nein der US-Air Force dafür, dass die Drohne Zulassungsprobleme bekam. Nun ist strittig, seit wann unser Verteidigungsminister wusste, welches Debakel auf ihn zugeflogen kommt. Nach eigener Aussage hat de Maizière nun durchaus früh im Flurfunk von den Problemen der Drohne gehört, jedoch: "Der geordnete Geschäftsbetrieb eines jeden Ministeriums findet bestimmt nicht auf dem Flur statt." das ist eine bemerkenswerte Aussage von jemanden, der über informelle Verfahren beim Bundeskartellamt promoviert hat. Als angehender Jurist untersuchte de Maizière systematisch Fälle, in denen beide Seiten so tun, als wüssten sie nicht, über welche konkreten Vorhaben sie sprechen. (vbr)