Forscher machen Gehirn erwachsener Mäuse wieder formbar
Bei Versuchstieren lieĂź sich durch die Gabe bestimmter Wirkstoffe eine Neuvernetzung des Denkapparats einleiten, die Fehlfunktionen ausgleichen konnte.
Neue Ansätze zur Manipulation der neuronalen Plastizität, also der Fähigkeit des Gehirns, sich in seiner Nervenstruktur anzupassen, sollen den Denkapparat eines Erwachsenen eines Tages so leichtgängig wie den eines Kindes machen. An entsprechenden Untersuchungen arbeiten Forscher am Children's Hospital in Boston, berichtet das Technologiemagazin Technology Review in seiner Online-Ausgabe.
Das Gehirn ist während der Entwicklung äußerst formbar. Zu diesem Zeitpunkt sind Erfahrungen von Außen, also Bilder und Geräusche, notwendig, damit sich die verschiedenen Teile des Steuersystems des Körpers normal entwickeln können. Babys und Kleinkinder zwischen ein und drei Jahren benötigen beispielsweise regelmäßige visuelle Stimuli, damit sich in ihrem Sehapparat die korrekten Nervenbahnen bilden. Wird ein Auge während dieser Phase behindert, etwa durch eine Fehlsichtigkeit wie die so genannte Amblyopie, kann die Sehkraft für das spätere Leben permanenten Schaden nehmen.
Bei der Untersuchung des Äquivalents dieser Krankheit bei Mäusen entdeckten Takao Hensch und seine Kollegen am Children's Hospital nun zwei Mechanismen, die diese so genannte kritische Phase näher zu kontrollieren scheinen. Während einige Medikamente bereits bekannt waren, die hier offenbar beschleunigend wirken (etwa ein Wirkstoff, der das Hemmsignalsystem beeinflusst), konnte Hensch nun erstmals die genauere Wirkweise und neue Ansatzpunkte für mögliche Behandlungsmethoden austüfteln. Dabei stellte das Forscherteam fest, dass Wirkstoffe, die die kritische Phase ausdehnen, es erwachsenen Versuchstieren erlaubten, mit nur einem funktionierenden Auge ihre normale Sehstärke zu erlangen.
Die Nützlichkeit, die Plastizität der Jugend zurückzugewinnen, scheint auf den ersten Blick groß – vorstellbar wäre beispielsweise das schnelle Erlernen neuer Sprachen. Dementsprechend erscheint es auf den ersten Blick merkwürdig, dass das Gehirn gleich mehrere Mechanismen erfunden hat, eine starke Neuverdrahtung der Nervenzellen bei Erwachsenen zu vermeiden. Doch die Möglichkeit, seinen Denkapparat einer Überholung zu unterziehen, könnte auch Nachteile haben – beispielsweise, indem Erinnerungen gelöscht werden. "Man würde vielleicht die Identität, die man aufgebaut hat, verlieren", meint Hensch, "wir wollen aber, dass man behält, was man bereits weiß". Bis dies möglich ist, können jedoch noch viele Jahre ins Land gehen.
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(bsc)