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Was war. Was wird.

Die Sonne scheint, die Deiche weichen auf, das Land stinkt Hal Faber in die Nase. Deutschland im Wachkoma namens Wahlkampf. Hier könnte Obama verkünden: Ich bin auch nur ein überwachter Berliner.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Sonne scheint, die Deiche weichen auf, das Land stinkt. Wer mit dem Wasser und dann mit dem hinterlassenen Dreck kämpft, wird kaum Augen haben für die Schönheit und Poesie der allgemeinen Nutzungsbedingungen, wie sie der kleine Verlag in der norddeutschen Tiefebene seinen Foristen unterbreitet. Auch anderswo gibt es solche Bedingungen mit amüsanten Zusätzen wie der Verpflichtung zur größtmöglichen Sorgfalt bei der Virenprüfung für E-Mails an die Redaktion. Sehr schön kameradschaftlich gedacht hat die Bundeswehr, die stehenden Fußes ins traute Duzen übergeht: "Du stimmst zu, keine beleidigende, obszöne, vulgäre, verleumderische, verhetzende, drohende, sexuell-orientierte oder sonstwie illegalen Beiträge zu verfassen." Dagegen sind die Bedingungen für diese Wochenschau sehr einfach und gehorchen dem ordentlichen Hempelschen Imperativ der Netiquette: Schreibe stets so, dass du als frei lebender Troll die Freiheit deiner Mit-Trolle ehren und schätzen kannst. (Kurzfassung: Vor dem Posten Hirn einschalten) Das sollte eigentlich reichen in diesem unseren Internet.

*** Natürlich reicht es nicht, wenn sorgsam abgeschottete Lebensbereiche betreten werden. Dafür gibt es Schulordnungen oder die deutsche Bahnhofsordnung zur "Sicherheit, Service, Sauberkeit", überwacht von einer 3-S-Zentrale. Es gibt allgemeine und ganz spezielle Gefängnisordnungen. Eine lange Liste von Verboten und Geboten sind in den Acceptable Use Policies (AUPs) geschlossener Gruppen niedergelegt. Das sind Dokumente (DOC-Datei), die jeder zum Dienstantritt unterschreiben muss. Es gehört zu den absoluten Überraschungen im Militär-Prozess gegen Bradley Manning in dieser Woche, dass die Anklage keine von Manning unterzeichnete AUP vorweisen konnte und es mit "ähnlichen Dokumenten" versuchte. Das war selbst der vorsitzenden Militärrichterin zu wenig, um als Beweis dafür herhalten zu können, das Manning sich nicht an die Vorschriften gehalten hatte.

*** Zu den besonders amüsanten Einlassungen des Prozesses zählte am Vortag der Bericht eines Sicherheitsspezialisten der US-Armee über seinen Besuch des Chaos Computer Congresses im Jahre 2009 (26C3), der den schönen Titel Here be Dragons trug. Neben Wikileaks war der Sicherheitssoldat besonders vom Vortrag über Netzneutralität angetan, was er vor Gericht erklären musste, Netzneutralität war dem Gericht nicht bekannt. Eine furchtbare, unbekannte Waffe? "Well, net neutrality, the way I see it is a way to keep the Internet open and free as far as preventing any issues or ISPs, Internet service providers from regulating it. So their issue or their whole talk was about we need to keep the Internet open and free instead of having various tiers of regulation on the Internet." Während der über den 26C3 berichtende Soldat an seine Vorgesetzten schrieb, dass Netzneutralität den Terroristen helfen könnte, findet sich im Bericht absolut keine Aussage, dass Wikileaks oder Daniel Schmitt und Julian Assange in ihrem Vortrag auf dem 29C3 dazu aufriefen, Terroristen zu helfen. Wikileaks, so schließt der Bericht, wird sicher auch vom Gegner besucht.

*** Sollte es zu den besonderen Netz-Nutzungsbedingungen gehören, dass Journalisten PGP beherrschen müssen? Im Fall des neuen Whistleblowers wundert sich die derzeitige CCC-Sprecherin und sieht einen zynischen Witz am Werk, weil der berufsgeheimnistragende Journalist Glenn Greenwald PGP nicht kannte. Als IT-Journalist hat man leicht reden und noch leichter OpenPGP anzuklicken, aber: In meinem Mailverteiler sind rund 20 Adressen, die nur verschlüsselt mailen. Weitere zirka 40 Mailpartner verschlüsseln nur, wenn wichtiges Material dies erforderlich macht. Und, hoppla, auch das gehört dazu: Im Jahre 2009 kommunizierte Wikileaks mit Journalisten nur verschlüsselt. Das Schöne daran: Das von Phil Zimmermann geschriebene PGP hat seine ganz eigene Tradition. In den 80er Jahren war Zimmermann ein Aktivist bei "Nuclear Weapons Freeze" und lernte im Gefängnis in Nevada den Whistleblower Daniel Ellsberg kennen, der die Pentagon-Papers über den Vietnamkrieg "befreite". Als die ersten PC auftauchten, begann Zimmermann an einem Apple II mit der Arbeit an seinem Verschlüsselungsprogramm. Die Idee war, dass seine Anleitung "Get Smart on the Arms Race" zirkulieren konnte, ohne dass Geheimdienste und Militärs den Text lesen können.

*** Der arme Herr Snowden: In Deutschland sind seine Powerpoint-Folien in das Wachkoma namens Wahlkampf gefallen und haben unseren Bundesinnenminister zum Schulterschluss mit amerikanischen Freunden provoziert. Beunruhigend darum, weil dieser Herr auch Chef der IT-Verwaltung des Bundes ist und mit seinem Schulterschluss die blanke Unkenntnis demonstriert. Da hat der FIfF mit seiner Stellungnahme schon recht: Wenn Prism so abläuft, wie es jetzt häppchenweise bekannt und schlückchenweise debatiiert wird, dann gute Nacht IT-Sicherheit, du dummer Witz. Dank Stuxnet geht es zum Juxnet. All die teuren Netzwerk-Analyseprogramme, Monitoring-Systeme und Intrusion-Scanner sind für die Katz, wenn sie von innen heraus umgangen werden können. Dank Friedrichs Schultern ist Whistleblower Snowden in Deutschland nicht willkommen. In China sieht das anders aus. Wird Mutti helfen? Obama könnte dank des irrwitzigen Allwissens-Anspruchs von Keith Alexander gar verkünden: Ich bin auch nur ein überwachter Berliner! Wie schön, dass ihr Verständnis für die Datenmusterung habt! Der Preis der Freiheit ist ein Muster ohne Wert.

Was wird.

Wir wollen freie Menschen sein! Zum 17. Juni 1953 gibt es diverse Betrachtungen über die Bauarbeiter, die gegen die Erhöhung von Normen protestierten, während die Regierung der DDR Belastungen für die bürgerlichen Schichten zurückfuhr. Der in der DDR 1952 offiziell ausgerufene Sozialismus sollte gefälligst allein von Arbeitern getragen werden. Mit Folgen: Wolf Biermann siedelte in die DDR über, die KPD fiel in der BRD unter die 5-Prozent-Hürde und jeder glaubte, der jeweils andere Klassenfeind habe den Aufstand angezettelt. Der Berliner John F. Kennedy vom Juni 1963 gehört in die Reihe der Missverständnisse. Schnee von gestern, wo wir doch den modernen Staat haben, mit Dienstleistungen wie De-Mail und der elektronischen Identität im Personalausweis. Wir sind ja freie Menschen. Am Donnerstag stellen das bereits erwähnte Innenministerium und das ÖFIT eine neue Studie vor: "Der Staat als Gestalter und Garant digitaler Infrastrukturen." Viel wohler wäre mir mit "Der Staat als Gestalter und Garant digitaler Bürgerrechte", aber dafür ist es offenbar noch ein, zwei Regierungen zu früh.

Apropos Wachkoma zur Bundestagswahl: In den für den Bund deutscher Kriminalbeamten verfassten Wahlprüfsteinen heißt es bei der CDU/CSU: "Wir werden unmittelbar nach der Wahl eine Umsetzung der europarechtlichen Pflicht zur Einführung von Mindestspeicherungsfristen für Verkehrsdaten vornehmen." Der FDP-Partner schickte gar keine Stellungnahme, die SPD versprach ein Schäumchen: "Die für die digitale Welt vorhandene Sicherheitsarchitektur muss stetig auf ihre Effektivität und Effizienz, aber auch Verhältnismäßigkeit überprüft und gegebenenfalls an die Erfordernisse eines wachsenden Kriminalitätsfeldes angepasst werden." Klartext kam von den Linken: "Beispielsweise lehnt die Partei Die Linke Onlinedurchsuchungen ab. Sie sind weder angemessen, erforderlich und aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht effektiv, um Cyberkriminalität zu bekämpfen. Ohne konkreten Verdacht kann ein weitgehender Eingriff in die Grundrechte einer praktisch nicht eingrenzbaren Zahl von Bürgerinnen und Bürgern vorgenommen werden. Unklar bleibt weiterhin, ob nicht weitere Grundrechte verletzt werden, wie etwa die Unverletzlichkeit der Wohnung. Ähnliches gilt für die Vorratsdatenspeicherung." Die Grünen klammerten sich ans Recht: "Der Einsatz von sogenannter Spähsoftware wie etwa Trojanern durch Polizeien kann nur unter engsten Voraussetzungen rechtlich zulässig sein." Was die engsten Vorraussetzungen sind für so ein Ja zum Schnüffelstaat, soll nun der Grüne Polizeikongress klären, zu Hamburg, am neuen Schicksalsfluss der Deutschen. (anw)