IT-Kritiker Carr nimmt sich "Cloud Computing" vor

Was passiert, wenn immer mehr Anwendungen ins Web wandern?

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Es ist wie in der berühmten Erzählung vom Kaiser und seinen neuen Kleidern. Am Ende jeder Hype-Entwicklung kommt stets jemand, der den Zauber bricht. Im Mai 2003 übernahm Nicholas Carr für die Informationstechnik-Branche diese undankbare Rolle: Mit der Veröffentlichung seines Artikels "IT Doesn't Matter" im viel gelesenen Wirtschaftsblatt "Harvard Business Review". 2004 folgte dann das Buch "Does IT Matter?", in dem er seine Haltung, die IT zähle inzwischen viel weniger als früher, weiter vertiefte und offen fragte, ob ihr Einsatz noch direkte Wettbewerbsvorteile bringe, wenn doch allen die gleiche Infrastruktur zur Verfügung stehe. Eine Welle der Kritik aus dem Silicon Valley ließ nicht lange auf sich warten.

Der Autor Carr wurde dadurch selbst zu so etwas wie einer IT-Berühmtheit. Nun hat er ein neues Buch geschrieben, das "The Big Switch" heißt – der große Wechsel. In dem Werk, das den vollmundigen Untertitel "Wie die Welt neu verdrahtet wird – von Edison bis Google" trägt, argumentiert Carr, dass wir uns vom PC-Zeitalter wegbewegen, um mitten im "Cloud Computing" zu landen – in einer Welt, in der die wahre Rechenleistung in Grids, großen Serverfarmen, beheimatet ist und unsere wichtigsten Daten direkt im Netz abgelegt werden. Diesen Trend bestreitet eigentlich niemand – doch Carr nennt auch negative Auswirkungen, schreibt das Technologemagazin Technology Review in einer ausführlichen Buchkritik.

Carrs Liste der Probleme ist lang. Da wäre beispielsweise die Zerstörung traditioneller Unternehmsstrukturen durch extrem schlanke Mini-Firmen, die durch die "On Demand"-Technologien erst richtig möglich werden. Aber auch für die Nutzer und Geschäftsleute würde es eventuell unangenehm: Großkonzerne wie Regierungen erhielten Werkzeuge an die Hand, mit denen sie das digitale Verhalten aller leichter überwachen und eventuell missbrauchen könnten. Eine weitere Gefahr sieht Carr im Aufkommen einer Art "YouTube-Wirtschaft", in der zwar viele kostenlose Informationen in der "Cloud" bereitstehen, doch nur einige wenige Aggregatoren die Profite abschöpften. (Google lässt grüßen.)

Und, um das Horrorszenario abzurunden, sieht Carr auch schwerwiegende kulturelle Gefahren: Eine Gesellschaft, die ihr Wissen nur noch aus dem Internet hole und auch nur noch dort schöpferisch tätig sei, besitze letztlich kein echtes eigenes Wissen und keine eigene physische Kreativität mehr. Ob Letzteres stimmt, darüber lässt sich sicher trefflich streiten. Klar ist vor allem eines: Carr hat auch mit "The Big Switch" ein Buch geschrieben, das seinem Image als schwarzes (IT-)Schaf gerecht wird.

Die ganze "Big Switch"-Kritik in Technology Review online:

(bsc)