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Was war. Was wird.

O Tempora o mores. Während unsere britischen Freunde das ganze Neuland abspeichern, beweist Hal Faber einmal mehr, dass nicht nur Fefe großartige Verschwörungstheorien auf Lager hat.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** O Tempora o mores: Die vor Jahren bekannt gewordenen Pläne, das Internet zu meistern, schockieren die Unbedarften. Schockierender noch: Die Briten können das, wir nicht, wir haben keinen dicken Hund im Rennen, am De-CIX allenfalls eine Ständchen-Leitung und alles voll G10-kontrolliert. "Ich bin gespeichert. Wir sind gespeichert. Das ist genug. Nun haben wir zu beginnen. In unsere Hände ist das Leben gegeben", sagte dereinst Ernst Bloch in leicht abgewandelter Form, als er als Kriegsgegner im Ersten Weltkrieg in die Schweiz fliehen musste. Alles überwacht und dennoch muss Neuland betreten werden.

*** "Das Internet ist für uns alle Neuland und es ermöglicht auch Feinden und Gegnern unserer demokratischen Grundordnung natürlich, mit völlig neuen Möglichkeiten und völlig neuen Herangehensweisen unsere Art zu leben in Gefahr zu bringen." Dieser Satz, von einer orangefarbenen Angela Merkel auf der Pressekonferenz zum Besuch des POTUS gesprochen, erfreut das Lästernet. Gelacht wird über das Neuland, und das nicht nur in Deutschland, wie dieser Link zeigt, von einer Webseite, auf der sich Ex-Geheimdienstler treffen. Betrachtet man den ganzen Satz, so geht es offensichtlich darum, dass die Feinde und Gegner der Demokratie das Neuland besser erkundet haben als die Verteidiger der Demokratie. Wie könnten sie sonst im Internet bereits Herangehensweisen entwickelt haben, die gleich "unsere Art zu leben" aus den Puschen heben können?

*** NSA könnte glatt für Neuland-Speicher-Apparat stehen. Noch vor seinem Berlin-Besuch hat US-Präsident Obama die umstrittene Speicherpraxis verteidigt. Es fehlte auch nicht der Hinweis auf 50 verhinderte Terroranschläge sowie der Hinweis, dass gerade Deutschland vom Abschnorcheln profitiert habe: Anlässlich der "Operation Alberich" war es die NSA, die 2006 erste Hinweise auf die Sauerlandattentäter dadurch fand, dass jemand von Pakistan aus in einem Draft-Ordner von Yahoo Mail deutsche Nachrichten hinterließ, in denen von einem "großen Geschenk" und einer "wichtigen Hochzeit" die Rede war – und jemand in Deutschland diese Drafts ergänzte. Zu jener Zeit regierte der US-Präsident George W. Bush, der beim lauschigen G8-Gipfeltreffen in Heiligendamm Merkel persönlich über die Terroristen informierte und sogar Namen nennen konnte. Zusätzlich reiste der Heimatschutzminister Chertoff nach Gengenbach, wo Innenminister Schäuble wohnte, und bedrängte diesen, einen drohenden Anschlag auf US-Gebäude zu verhindern. Der Rest ist Geschichte: Die Sauerland-Gruppe wurde überwacht, verhaftet und verurteilt. Bei jeder Klage nach der fehlenden Vorratsdatenspeicherung vergaß BKA-Chef Ziercke fortan niemals, die Sauerland-Attentäter als warnendes Beispiel zu erwähnen. Nur: die Vorratsdatenspeicherung ist viel zu langsam im Vergleich mit dem Neuland-Speicher-Apparat. Man hätte bestenfalls im Nachhinein die Mailentwürfe der Homegrown-Bösewichter finden können.

*** An dieser Stelle darf der Hinweis nicht fehlen, dass die Zusammenarbeit auch in umgekehrter Richtung lief, nur nicht mit dem gewünschten Erfolg. Zwei deutsche Geheimdienste, der BND und der MAD warnten ihre US-amerikanischen Partner NSA, DIA und CIA mehrfach davor, eine Quelle ernst zu nehmen, die zweifelhafte Sachen erzählte. Die Rede ist von dem Informanten Curveball, auf den die Geschichte mit den irakischen Massenvernichtungswaffen zurückgeht. Der Rest ist auch schon wieder Geschichte, komplett mit der Geschichte von einem aufrechten Soldaten, der sich über den Irak-Krieg empörte. Gegen ihn wird derzeit ein Prozess geführt, in dem die Militärkläger ihre Beweise mit der Wayback Machine des Internet Archives zusammenkratzen. Dass hier die Systeme der NSA nichts ausgraben können, was einen terroristischen Ansatz von Wikileaks beweisen könnte, ist aufschlussreich. Wo kein Wille ist, da ist auch kein Weg zu den Speichern. Was aber, wenn ein ganz anderer Eindruck entstehen soll? Gut zu beobachten bei der Debatte über den eloquenten und sehr sicher auftretenden NSA-Whistleblower Edward Snowden: Die mächtige NSA hätte schon längst gefunden, also muss er Teil des Apparates sein. Seine Mission: Angst vor dem Polizeistaat in die Köpfe der US-Bürger tragen. Und der Haftbefehl ist ein besonders raffinierter Fake. Nicht nur Fefe hat großartige Verschwörungstheorien auf Lager.

*** Möglicherweise ist die Einordnung des Internets als Neuland die Geschichte eines sprachlichen Missverständnisses. Wer in der DDR aufgewachsen ist, kennt die Neuererbewegung mit ihren Neuererkollektiven und den heroischen Neuereraktivisten, mit Neuererbrigaden und der Messe der Meister von Morgen, dem sozialistischen Gegenstück zu Jugend forscht. "Das Internet ist für uns alle Neuererland", dieser Satz zeugt von dem tiefen Verständnis der Dynamik des Netzes durch unsere Bundeskanzlerin, die bald unsere neuere Bundeskanzlerin sein wird. Seite an Seite mit Neuerern und "Verdienten Erfindern" wie Hans-Peter Uhl, der "einen stärkeren Einsatz von Verschlüsselung" fordert. Diese Neuerung, die jedem Bundesbürger solange Ruhe vor dem Neuland-Speicher-Apparat verschafft, bis dieser selbst in der Lage ist, die Verschlüsselung zu knacken. Denn was verschlüsselt ist, wird in den USA vorratsgespeichert, bis der Entschlüsselungsdienst da ist. Soll man lieber nicht verschlüsseln, damit jeder Polizist mitlesen kann? Steh auf, wenn du ein Mecklenburg-Vorpommerer bist. Dort überlebt gerade ein schlechter Scherz, fast wie aus der DDR-Zeit.

*** Zum Neuland gehört auch Neusprech, ganz im Sinne dieses unseres Landes. Direkt auf den innenministerlichen Thesen zur Netzpolitik aufbauend, wird die uns beschützende wie uns beobachtende Rolle des Staates als Regulator in letzter Instanz so beschrieben: "Jenseits der Rahmengebungsfunktion und der bereits angeführten Notwendigkeit zur Entwicklung und Bereitstellung neuer Technologien muss die direkte Regulierung und ordnungsrechtliche Umsetzung eine realistische, wenn auch nach Möglichkeit nicht wahrzunehmende Option bleiben. Um glaubhaft zu machen, die Regulierung in nahezu beliebige Detailtiefen staatlich ausführen zu können, bedarf es neben eingehender inter- und supranationaler Zusammenarbeit insbesondere einer hinreichenden Expertise, um die Wissensasymmetrien zwischen Regulierer und Regulierten nicht zu groß werden zu lassen. Selbstregulierung kann nur funktionieren, wenn sie nicht alternativlos ist – und dazu braucht der Staat umfassende Fachkenntnisse." Das klingt schon wesentlich moderner als Mielkes "Ich liebe doch alle Menschen". Die Logik geht freilich Charleston tanzen auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung: Nicht alternativlose Wissensymmetrien, Regulierungen in beliebiger Detailtiefe als nicht wahrzunehmende Option, das hat was, das ist supra, das ist unsere Art zu leben.

Was wird.

Das Internet ist offenbar für viel deutschen Verlage ein Neuland, weswegen bekanntermaßen eigens für unsere Art, Zeitung zu drucken, von der schwarzgelben Koalition ein Leistungsschutzrecht verabschiedet wurde. Diese verlegerische Hotelpauschale wird zum 1. August wirksam und dürfte als Neuland-Hochwasser in die Annalen der Newsticker eingehen: Dieser Eintrag über ein "bewährtes Verfahren" im Google-Blog klingt wie ein August-Scherz, ist aber die leistungsgerechte Reaktion auf ein April-Gesetz. Nein, der kleine, feine Verlag in der norddeutschen Tiefebene hat kein Problem. Die aufrichtige Trauer gilt den noch viel kleineren, feineren Bloggern, die von Google ignoriert werden und denen, die bei dieser detailtiefen Regulierung voll hinreichender Expertise Segel streichen oder ausflaggen müssen, um es mal maritim auszudrücken. Denn am oberen Ende der Tiefebene tut sich was: Was ist zu tun?, fragen sich die Datenschützer wieder und wieder, weil dort die Polizei Big Data entdeckt hat. Jetzt mal ehrlich, @rtus ist doch ein toller Name für die Ritter der Datenrunde. Fehlt nur noch die Dienstmail e-Xcalibur und diese Insel @valon. Und passend dazu gibt es die Sommerakademie.

(vbr)