Opposition: PRISM und Tempora "illegal und verfassungswidrig"

SPD und Grüne sehen die Kanzlerin in der Pflicht, angesichts massiver Grundrechtseingriffe durch die aufgedeckten Überwachungsprogramme das Thema beim Europäischen Rat anzusprechen. Die Linke fordert Schutzmaßnahmen.

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SPD und Grüne sehen die Bundeskanzlerin in der Pflicht, die massiven Grundrechtseingriffe durch die Überwachungsprogramme PRISM und Tempora beim Gipfeltreffen des Europäischen Rats Ende der Woche anzusprechen. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion Thomas Oppermann zeigte sich am Mittwoch bei einer Aussprache im Bundestag zu dem Thema "schockiert", dass sich die Bundesregierung "völlig ahnungslos" präsentiere und "offensichtlich nicht das richtige Problembewusstsein entwickelt" habe. Bei der Datensammlung durch befreundete Staaten handle es sich offenbar um den "umfassendsten Eingriff in die Grundrechte deutscher Staatsbürger, den wir bislang erlebt haben".

Den enthüllten schrankenlosen Zugriff auf den Internetverkehr bezeichnete Oppermann als "eindeutig illegal und verfassungswidrig". Die Bundesregierung müsse daher "intervenieren und die Rechte deutscher Staatsbürger schützen". Es reiche nicht, Briefe zu schicken und ein bisschen öffentliche Empörung zu zeigen. Zu verteidigen sei "ein gemeinsames Wertesystem", zu dem die Freiheitsrechte der Bürger gehörten. Die Tatsache, dass auch ein Rechtsstaat funktionierende Geheimdienste brauche, rechtfertige keine "totale Überwachung der Bürger" und Wirtschaftsspionage im großen Stil. Gefordert sei mehr als "pflichtschuldiges Nachfragen" meinte auch SPD-Innenexperte Michael Hartmann.

Die Linke Ulla Jelpke warf der Regierung vor, "die Grundwerte unserer Verfassung preiszugeben". Die "freie Welt" habe sich als "Raum der Überwachung und der Verletzung der Intimsphäre" entpuppt. Es seien Schutztechniken nötig, um die Ausspähung zu verhindern oder zumindest den Preis der Geheimdienste dafür massiv hochzutreiben. Ihr Fraktionskollege Stefan Liebich erinnerte an eine Ansage von Benjamin Franklin: "Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren."

"Wir werden alle zu gläsernen Bürgern", konstatierte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast. Das sei kein Alptraum aus Hollywood, wandte sie sich an Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), "sondern Realität". Berlin müsse insbesondere der britischen Regierung verdeutlichen, dass es sich hier nicht um ein "bilaterales Problem" handle, sondern "europäisches und internationales Recht gilt". Wenn dies jetzt nicht etwa über Verletzungsverfahren der EU-Verträge verteidigt werde, "sind die Verfassungen der westlichen Welt das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben stehen".

Die von den Briten durchgeführte "Meta-Deep-Packet-Inspection an den Seekabeln" untergräbt laut dem grünen Netzexperten Konstantin von Notz auch die "halbgaren IT-Projekte der Bundesregierung". Er äußerte zugleich den Verdacht, dass die aus den Überwachungsprogrammen gewonnenen Informationen über Bande gespielt und auch die deutschen Dienste davon profitierten. Wenn dem so wäre, handle es sich um einen "systematisch organisierten Verfassungsbruch".

Innenminister Friedrich hört aus den offiziellen Dementis heraus, dass die Presseberichte so nicht zutreffen.

(Bild: bundestag.de)

"Wir haben nur Meldungen, die in der Presse rauf und runter diskutiert werden", hielt Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich dagegen. Erste offizielle Äußerungen aus Washington und London ließen dagegen erkennen, dass die Berichte so nicht zuträfen.

Freiheit ohne Sicherheit gibt es für den CSU-Politiker nicht. Er räumte aber ein, dass "die Zusammenarbeit zwischen den Diensten auf Recht und Gesetz beruhen und verhältnismäßig sein muss". Auch das britische und US-amerikanische Parlament kontrollierten in diesem Sinne, "was die Dienste machen". Es könne nur sein, "dass wir bei der Frage der Quantität der Erhebung von Daten unterschiedliche Auffassungen haben". Da alles, was man dem US-Geheimdienst NSA unterstelle, tatsächlich technisch möglich sei und etwa auch von Terroristen und Kriminellen durchgeführt werden könne, müssten "unsere Netze widerstandsfähig" gemacht werden. Er habe dazu einen Entwurf für ein IT-Sicherheitsgesetz vorgelegt.

Hans-Peter Uhl, der Innenexperte der CDU/CSU-Fraktion, sprach vom "Beginn einer tiefgreifenden Vertrauenskrise in die Kommunikation via Internet". Es sei zu erahnen, dass es im Netz "ein ungeheures Dunkelfeld gibt an Ausforschung und Datenmissbrauch". Der Staat müsse daher "durch den Gesetzgeber und auch technisch dafür sorgen, dass es einen Bereich der vertraulichen Kommunikation gibt". Wenn Behörden und Unternehmen online kommunizierten, müsse das abhörsicher sein, betonte er. Den anderen Nutzern solle die Politik nicht vorgaukeln, das sie geschützt seien, wenn sie ihr Privatleben etwa auf sozialen Netzwerken ausschütteten.

Der FDP-Politiker Jimmy Schulz begrüßte ironisch "die Zuhörer an den Überwachungsgeräten", die sich die Debatte im Livestream ansahen. Ihm zufolge sind Aufklärung und Transparenz über die wohl größte anlasslose Massenbespitzelung sowie eine bessere Kontrolle der Geheimdienste nötig. Da nun bekannt sei, dass Skype abgehört werden könne, brauche es für diesen Zweck zumindest weder Staatstrojaner noch eine Quellen-Telekommunikationsüberwachung. Gemeinsam mit seiner Fraktionskollegin Gisela Piltz warb Schulz für einen endgültigen Abschied von der Vorratsdatenspeicherung. Wer diese weiterhin propagiere, könne an anderer Stelle nicht glaubwürdig gegen die anlasslose Protokollierungen eintreten. (mho)