Nur geringfügige Änderungen bei der Vorratsdatenspeicherung

Die große Koalition hat sich auf kleine Korrekturen am heftig umstrittenen Regierungsentwurf zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung geeinigt, will die umfassende Kritik von Experten aber größtenteils missachten.

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Die große Koalition hat sich nur auf geringfügige Änderungen am heftig umstrittenen Regierungsentwurf zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen verständigen können. Dies erklärte der medienpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Jörg Tauss, gegenüber heise online. Demnach soll einerseits der Informantenschutz für Journalisten leicht verbessert werden. Andererseits könnten bei der verdachtsunabhängigen Vorratsdatenspeicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten, die mit dem Gesetzesentwurf für Telekommunikationsanbieter für sechs Monate lang verpflichtend werden soll, zumindest die Betreiber von Netzknoten aufatmen. Diese "reinen Dienstleister" im Geschäftskundenbereich müssten die von den Sicherheitsbehörden begehrten Verkehrsdaten nicht vorhalten, erläuterte Tauss. Andernfalls wären die schon von anderen Providern mit Endkundenkontakt vorgehaltenen Nutzerspuren "doppelt und dreifach" erfasst worden.

Tauss sprach von einem "Erfolg für die alten und die neuen Medien". Die Nachbesserung sei seit dem Wochenende mit der Union und mit Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) abgestimmt. Nach Ansicht des Medienpolitikers und Datenschutzexperten der Sozialdemokraten habe man mit beiden Korrekturen "das Beste rausgeholt". Weitergehende Änderungen seien angesichts des Widerstands des Koalitionspartners und auch der Rechtspolitiker seiner Fraktion nicht möglich gewesen. Insgesamt bleibe Deutschland bei der Vorratsdatenspeicherung mit dem Überwachungsgesetz, das nun Ende nächster Woche im Bundestag beschlossen werden soll, am unteren Ende der EU-Vorgaben. Tauss machte aber kein Hehl daraus, dass seine Skepsis gegenüber dem Großprojekt des Staates zur Erfassung der elektronischen Nutzerspuren bleibe. Er hätte daher nichts dagegen, wenn sich im Rahmen der Klage Irlands vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen die entsprechende EU-Richtlinie oder angekündigter "Massenbeschwerden" in Karlsruhe gegen die Vorratsdatenspeicherung "noch etwas tut".

Mit der Änderung zugunsten der Medienvertreter soll laut Tauss vor allem sichergestellt werden, dass Journalisten künftig strafrechtlich nicht mehr belangt werden können, wenn bei ihnen als geheim eingestufte Unterlagen gefunden werden. Ausgeschlossen werde die Einleitung von Strafverfahren, wenn den Autoren eine "Verletzung von Dienstgeheimnissen" angekreidet werde. Die Änderung bezieht sich auf alle vertraulich gekennzeichneten Papiere, wie sie zum Ärger der Behörden immer wieder Journalisten zugespielt und von diesen dann auch zur Berichterstattung verwendet werden. Die Forderungen von Medienverbänden für die Nachbesserungen beim Informantenschutz waren allerdings viel weiter gegangen und hatten sich vor allem auch auf Ausnahmen bei der Vorratsdatenspeicherung bezogen. Dass Journalisten jedoch nicht in größerem Maß von richterlich angeordneter Überwachung ausgenommen werden wie etwa Abgeordnete, Strafverteidiger und Geistliche, begründete der SPD-Politiker gegenüber der Frankfurter Rundschau mit Schwierigkeiten, klar zu definieren, wer Journalist ist und wer nicht.

Gegen den Regierungsentwurf hatten Sachverständige im Rahmen von gleich zwei parlamentarischen Anhörungen massive Bedenken vorgebracht. Bürgerrechtler und Rechtsexperten hatten bei den allgemeinen Regelungen zum Abhören der Telekommunikation insbesondere betont, dass die geplanten Vorkehrungen zum Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung sowie von Vertrauenspersonen nicht weit genug gehen.

Die Vorratsdatenspeicherung und den damit einhergehenden Paradigmenwechsel beim Datenschutz schätzten Hüter der Privatsphäre genauso wie Unternehmensvertreter als klar verfassungswidrig ein. Im Vorfeld hatten Zugangsanbieter bereits vor den immensen Kosten und rein technischen Umsetzungsschwierigkeiten gewarnt. Einen Tag nach der Anhörung demonstrierten in Berlin rund 15.000 besorgte Bürger gegen das Gesetzesvorhaben und den "Überwachungswahn" in Staat und Wirtschaft. Für den 6. November sind bundesweit erneute Protestkundgebungen unter der Federführung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung geplant.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hat sich derweil im Deutschlandfunk zu Beschwerdemöglichkeiten in Karlsruhe über die verdachtsunabhängige Aufzeichnung von Nutzerspuren geäußert. Demnach müsste der nationale Grundrechtsschutz im Streit über die EU-Vorgaben zunächst zurücktreten, "so lange und so weit auf Gemeinschaftsrechtsebene ein im Wesentlichen vergleichbarer Grundrechtsschutz gewährt wird". Dies war laut Papier "bisher der Fall, und zwar aufgrund einer vom Europäischen Gerichtshof der Gemeinschaften entwickelten Grundrechtsdogmatik". Wenn es aufgrund des neuen EU-Vertrags einen fest geschriebenen Grundrechtekatalog auf Gemeinschaftsebene gebe, werde diese Entwicklung eher noch verstärkt. Der EuGH habe dann über den Grundrechtsschutz zu wachen.

Rein technisch bezeichnete Papier die angekündigten Massenklagen auch in Karlsruhe gegen die Vorratsdatenspeicherung als zu bewältigen. "Wir können ja einzelne Verfahren herausgreifen und gewissermaßen Musterentscheidungen treffen." Er sei nicht pessimistisch, "dass wir auf diese Weise etwa lahm gelegt werden könnten". Prinzipiell könne er noch nicht beurteilen, "ob das mehr oder weniger nur eine politische Show sein soll oder wirklich auf ernsthaften problemorientierten Beurteilungen eines Großteils der Bevölkerung beruht".

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(Stefan Krempl) / (jk)