25C3: Krypto-Aktivist John Gilmore liebäugelt mit der "transparenten Gesellschaft"

John Gilmore, Mitgründer der Electronic Frontier Foundation, erklärte bei der Eröffnung des 25. Chaos Communication Congress, dass die Durchsichtigkeit etwa des Regierungshandelns wichtiger werde als der Datenschutz.

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John Gilmore, Mitgründer der US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF), erklärte bei der Eröffnung des 25. Chaos Communication Congress (25C3), dass die Durchsichtigkeit etwa des Regierungshandelns wichtiger werde als der Datenschutz. "Die Rechenschaftspflicht hat eine stärkere soziale Funktion als die Sicherung der Privatsphäre", betonte der Internetaktivist im voll besetzten Kuppelsaal des Berliner Congress Center (bcc) am Alexanderplatz. Dies müsse dann aber etwa auch bedeuten, dass Zensurlisten öffentlich zu führen seien. Zudem müssten alle Gesellschaftsmitglieder viel mehr Toleranz füreinander aufbringen.

Mit dieser Ansage zog Gilmore die Schlussfolgerung aus der ihm spätestens nach dem 11. September 2001 aufgegangenen Erkenntnis, dass man die Überwachung mithilfe von Informationstechnologien kaum mehr ausradieren könne. In diesem Falle müssten aber zumindest auch die Überwacher überwacht werden – und zwar mit den gleichen Möglichkeiten und Spielräumen, mit denen die Staatsmacht oder Unternehmen die Bürger im Blick haben. Zehn Jahre nach der Veröffentlichung des umstrittenen Sachbuchs "Die transparente Gesellschaft" von David Brin hat sich Gilmore so mit den Kernthesen des Futurologen arrangiert. "Ich habe das Buch erst kritisiert", erinnert sich der Bürgerrechtler. Inzwischen habe ihn die Gesellschaft selbst aber überzeugt, dass die Thesen Brins einen wahren Kern hätten und die Kontrollierbarkeit der Herrschenden erhöht werden müsse.

Gilmore, der Anfang der 1990er auch gemeinsam mit anderen "Cypherpunks" eine führende Rolle im Kampf für die Verschlüsselungsfreiheit spielte, übernahm so auch teils das eigentlich ironisch gemeinte Motto "Nothing to Hide" der traditionell zwischen den Jahren stattfindenden Hackerkonferenz. Zugleich räumte er ein, dass Kryptographie nicht die Rettung vom Totalitarismus bringe, wie er und seine Mitstreiter dies lange Zeit gehofft hatten. "Wir haben zwar das Recht gewonnen, Verschlüsselung zu nutzen. Aber wir haben sie nicht tatsächlich in die Infrastruktur eingebaut." Es sei für den gewöhnlichen Nutzer nach wie vor zu mühsam, etwa E-Mails zu verschlüsseln. So habe letztlich die National Security Agency (NSA) als technischer Überwachungskopf der US-Regierung "uns in der Praxis geschlagen". Mit dem Abhörprogramm der Bush-Administration habe sich die Schnüffeltätigkeit der NSA auch gegen die US-Bürger gerichtet. Derweil habe der Gesetzgeber die Straffreiheit für Hilfssheriffs wie die Telcos verankert, und die Justiz würde sich nach wie vor allein mit der Frage beschäftigten, ob Gesetze gebrochen worden seien.

Auf eine Frage aus der Hackergemeinde, was angesichts dieser Analyse konkret zu tun sei, wusste Gilmore auch keine rechte Antwort. Er sei auch auf dem Kongress, um zu lernen, sagte er. "Wir brauchen neue Ideen. Hier können wir sie vielleicht nicht sofort finden, aber wenigstens begreifen, dass ein neuer Ansatz nötig ist." Aussteigen aus der Kryptofront wollte er jedenfalls nicht; und er hielt es auch nach den jüngsten Entwicklungen nach wie vor für ratsam, die Verschlüsselungstechniken leichter einsetzbar zu machen. Und einen ganz praktischen Tipp gegen die alltägliche Überwachung im Internet und zur Datenvermeidung hatte Gilmore dann doch noch parat: "Man kann eine Webadresse auch direkt in die URL-Zeile des Browsers eingeben und braucht nicht immer danach googlen."

Auch zu mehr zivilem Ungehorsam forderte Gilmore die Hacker auf. Für ihn ist in den vergangenen sieben Jahren der Kampf gegen nationale Ausweisprojekte und staatliches ID-Management in den Vordergrund seiner Bürgerrechtsarbeit gerückt. So gebe es etwa keinen Grund dafür, bei einem Weiterflug von Amsterdam nach Berlin nach der Ankunft aus den USA noch einmal den Reisepass oder einen sonstigen Ausweis vorzuzeigen. Gilmore weigert sich nach eigenen Angaben nach seinem verlorenen gerichtlichen Kampf gegen die Ausweispflicht an US-Flughäfen, innerhalb der USA zu fliegen oder mit dem Zug zu fahren. Er setze allein seinen Reisepass ein, um ab und an den Vereinigten Staaten zu entfliehen. Ausweise sind für ihn letztlich ein Mittel, mit dem der Staat seine Gegner besser ausfindig machen kann. Der Einzelne glaube beim Vorzeigen des Dokuments zwar tatsächlich, dass er nichts zu verbergen habe. Gleichzeitig gebe es den Überwachern aber die Möglichkeit, unliebsame Elemente auszusortieren.

Dass sich nach der Wahl von Barack Obama zum künftigen US-Präsidenten an der Beschnüffelung der Bürger viel ändert, glaubt Gilmore nicht. Es sei zwar ein gutes Zeichen gewesen, äußerte sich der weiße Aktivist in Hippie-Klamotten unter Hinweis auf seine Herkunft aus dem Südstaat Alabama mit unverblümt rassistischen Ausdrücken, dass "ein Nigger" gewählt worden sei. Die Linie Obamas, auf den starken Staat zu setzen, halte er aber nicht für sinnvoll.

Zuvor hatte der Technophilosoph Sandro Gaycken erstmals die Rolle des langjährigen Zeremonienmeisters Tim Pritlove übernommen und auf Projekte im "Hackcenter" oder im "Art & Beauty"-Bereich mit spielerischem Charakter verwiesen. So wollen sich einige Konferenzbesucher auch wieder in Selbstüberwachung mithilfe von angehefteten RFID-Tags begeben. Das Vorhaben kann im Internet genauso verfolgt werden wie Vorträge aus dem Hauptprogramm, solange die Netzleitungen halten und die Technik mitspielt.

Zum 25C3 siehe auch:

Zum letztjährigen 24. Chaos Communication Congress siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)