Eine "Atombombenexplosion" im Riesengebirge beschäftigt die Justiz [Update]

Der Künstlergruppe Ztohoven war es gelungen, sich zwischen die Wetter-Kamera und das Sendezentrum des tschechischen Fernsehens zu schalten und so ihre vorbereite, realistisch wirkende Animation einer Atombombenexplosion live ins Fernsehen zu geben.

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Von
  • Jakob Lemke
  • Katerina Zachovalova
  • dpa

Hochgelobt sind sie, rotzfrech und in Tschechien allerorten bekannt – aber auch künftig noch auf freiem Fuß? Die Künstlergruppe Ztohoven muss sich seit Dienstag vor Gericht verantworten, die Staatsanwaltschaft wirft den sieben Angeklagten hauptsächlich Erregung öffentlicher Unruhe vor. Das nordböhmische Bezirksgericht in Trutnov könnte dafür eine Geldstrafe gegen die Aktionskünstler aussprechen und sie zu einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren verurteilen. Dutzende Fans begleiteten die Angeklagten auf ihrem Weg ins Gericht. "Wir wollten niemanden erschrecken", sagte Matej Hajek, Mitglied der Gruppe, nach Angaben der tschechischen Nachrichtenagentur CTK zum Auftakt des Prozesses.

[Update: Das Gericht sprach die sieben Mitglieder am heutigen Dienstag vom Vorwurf der Erregung öffentlicher Unruhe frei. Die Richterin sagte zur Begründung, niemand sei im Sommer vergangenen Jahres in Panik versetzt worden, daher sei der Tatbestand nicht erfüllt. "Wir sind alle sehr glücklich", sagte Gruppenmitglied David Brudnak der dpa. "Wie kann man von Panikmache sprechen, wenn sich nicht eine einzige Person erschreckt hat?" Der Staatsanwalt hatte gefordert, die Angeklagten zu 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit zu verurteilen. Er kann das Urteil noch anfechten.]

Die Vorgeschichte: Der 17. Juni 2007 fängt an wie ein gewöhnlicher Sonntag: Pfarrer bereiten sich auf ihre Predigt vor, Familien frühstücken, Taxifahrer kommen von der Nachtschicht nach Hause. In vielen Wohnungen läuft wie üblich auf dem Fernsehschirm das Morgenprogramm des zweiten staatlichen Kanals. Um kurz nach acht wird – wie immer – zu den Außenkameras geschaltet, die im ganzen Land verteilt sind, um einen Blick aufs Wetter zu werfen. Das Riesengebirge im Morgennebel, ein beruhigender Anblick. Plötzlich ein Riesenblitz, Rauch, die Kamera macht einen Schwenk, und vor der idyllischen Silhouette wächst ein Atompilz in den Himmel, in der linken Ecke der Mattscheibe eingeblendet ist dazu die Internetadresse www.ztohoven.com. Haben Terroristen attackiert, ist Krieg ausgebrochen? Schnell klärt sich die Situation: Falscher Alarm, zugeschlagen hat einmal mehr jene Künstlergruppe, deren Name ein Wortspiel ist und übersetzt, je nach Betonung, in etwa "Raus von hier" oder auch "tausendmal Scheiße" bedeuten kann.

Der Truppe war es gelungen, sich zwischen die ferngesteuerte Kamera und das Sendezentrum zu schalten und so ihre vorbereite, realistisch wirkende Animation live ins Fernsehen zu geben. "Unsere Gruppe hat das Territorium von Medien und Fernsehen überfallen und klagt so deren Wirklichkeit sowie Glaubwürdigkeit an", schrieb die Gruppe anschließend auf ihrer Internetseite.

Der Psychologe Jan Lasek sagte laut CTK vor Gericht, dass der Atompilz kaum dazu geeignet gewesen sei, jemanden zu erschrecken. "Es hat mich nicht dazu gebracht, eine Notunterkunft aufzusuchen." Zdenek Kraus, Bürgermeister des Ortes Cerny Dul, der in der Nähe der manipulierten Kamera liegt, sagte, die Einwohner hätten keine Angst gehabt. "Uns haben Reporter informiert." Beim tschechischen Fernsehen habe es nur einige Dutzend Anrufe gegeben, hatte ein Sprecher erklärt. Verbreitet wurde die Aktion vor allem durch Berichte in den Medien. In einem Interview erklärten drei Mitglieder der Gruppe kürzlich, dass ihre Arbeit ein Appell an die Menschen sei, nicht abzustumpfen.

Ztohoven hatte in mindestens zwei anderen Fällen bereits Aufsehen erregt: Einmal ersetzte die Gruppe mehrere Ampelmännchen in Prag durch biertrinkende, pinkelnde oder auch schlafende Figuren. An dem tschechischen Heiligtum, der Prager Burg, tauschten sie die Neonherz- Installation des Bildhauers Jiri David kurzerhand gegen ein Fragezeichen aus. Noch im Dezember war Ztohoven der staatliche Nachwuchspreis "NG 33" in der Prager Nationalgalerie verliehen worden. Die Auszeichnung und das Preisgeld von 330.000 Kronen (12.644 Euro) nahm der Anwalt entgegen, die Künstler waren vorsichtshalber untergetaucht. (Jakob Lemke und Katerina Zachovalova, dpa) / (jk)