Wie die Geheimdienste den Rechtsstaat aushöhlen

Die Geheimdienste sind in den westlichen Staaten inzwischen zu einer fünften Gewalt gewuchert. Eine wirksame Kontrolle gibt es aber nicht.

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Unser Staat funktioniert, genauso wie auch die USA und Großbritannien, auf der Grundlage eines wohl austarierten Verhältnisses der drei Organe Gesetzgebung (Legislative), Vollziehung (Exekutive) und Rechtsprechung (Judikative), die sich gegenseitig kontrollieren. Hinzu kommt mit der Presse eine vierte "Staatsgewalt" als zusätzliche Kontrollinstanz für die ersten drei. Die Spionageaffäre hat gezeigt, dass die Geheimdienste zu einer fünften Gewalt gewuchert sind -- für die es offensichtlich keine wirksame Kontrolle gibt.

Als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September haben die USA eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, die den Geheimdiensten eine ungeheure Machtfülle gegeben haben - eine Machtfülle, die man sonst nur aus Diktaturen kennt. So können die Geheimdienste (Internet-)Unternehmen zwingen, ihnen Zugriff auf Kundendaten zu gewähren. Gleichzeitig sind die betroffenen Unternehmen gezwungen, über den Zugriff Stillschweigen zu bewahren. Wer sich nicht derart einbinden lassen will, hat keine andere Wahl, als sein Unternehmen zu schließen - wie es kürzlich die Betreiber der E-Mail-Dienste Lavabit getan hat.

Großbritannien hat seinen Geheimdienstapparat ebenfalls kontinuierlich ausgebaut. Der für die elektronische Spionage zuständige Geheimdienst GCHQ lauscht an vielen wichtigen Internetknoten. Auch dem GCHQ müssen etliche Firmen zuarbeiten. Großbritannien tauscht geheimdienstliche Informationen mit den USA, Kanada, Australien und Neuseeland aus. Besonders intensiv scheint die Zusammenarbeit zwischen NSA und GCHQ abzulaufen. Richard J. Aldrich, der ein Buch über den GCHQ geschrieben hat, berichtet von gemeinsamen Teams, die zum Teil zu einer Organisation verschmelzen.

BND-Abhörstation in Bad Aibling

(Bild: dpa)

Der deutsche Auslandsgeheimdienst BND scheint unter den internationalen Geheimdiensten allem Anschein nach eine eher untergeordnete Rolle zu spielen. Das mag daran liegen, dass Deutschland auch ein Spionageziel ist, und der BND den befreundeten Diensten wenig zu bieten hat. Nichtsdestotrotz liefert auch der BND, alleine im Dezember 2012 alleine 500 Millionen Verbindungsdaten an die NSA. Im Gegenzug gilt die NSA als Hinweisgeber für die Aufdeckung der Sauerland-Gruppe.

Der rege Datenaustausch zwischen den verschiedenen Geheimdiensten dient aber offensichtlich auch dazu, lokale Gesetze zu umgehen: Daten, die man im eigenen Land aufgrund der noch vorhandenen Datenschutzgesetze nicht erheben darf, erhält man im Austausch vom befreundeten Dienst eines anderen Landes. Ganz generell scheinen sich die Geheimdienste nicht besonders strikt an Gesetze zu halten. So verstößt die NSA jedes Jahr tausendfach gegen die ohnehin schon laxen Regeln zur Einhaltung des Datenschutzes oder gerichtliche Anordnungen.

Die nachrichtentechnisch gewonnen Informationen können zu Antiterroraktionen führen, etwa Exekutionsangriffe mit Drohnen, die jeglicher rechtsstaatlichen Legitimation entbehren und auch Unbeteiligte und Unschuldige treffen können. In mindestens einem Fall sollen auch BND-Informationen bei solch einem Angriff eine Rolle gespielt haben, mindestens fünf Bundesbürger sollen unter den Opfern der Drohnenattacken sein.

Bei der enorm gewachsenen Machtfülle der Dienste wäre es umso erforderlicher, dass sie wirksam und auch für die Öffentlichkeit nachvollziehbar kontrolliert werden - durch die Medien und durch die jeweiligen Parlamente. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die USA und Großbritannien versuchen, nicht genehme Berichterstattung zu unterdrücken. Im Mutterland der Pressefreiheit, Großbritannien, wurde der Guardian gezwungen, Festplatten mit Material des Whistleblowers Snowden zu zerstören. Der Lebenspartner (und Mitarbeiter) des Journalisten Glenn Greenwald wurde auf Grundlage eines Anti-Terrorgesetzes neuen Stunden am Londoner Flughafen Heathrow festgehalten und verhört; Handy, Laptop, Kamera, USB-Sticks, DVDs und Spielkonsolen wurden ihm abgenommen. Die Aktionen sollen von Premier Cameron angeordnet worden sein.

Trotz des ersten Verfassungszusatzes, der Amerikanern Rede- oder Pressefreiheit zusichert, verfolgen die USA Whistleblower, die auf Missstände bei den Geheimdiensten hinweisen, und Journalisten, die mit ihnen zusammenarbeiten, mit aller Härte. Die USA wollen Edward Snowden wegen Spionage vor Gericht bringen. Bei ihrer Jagd auf ihn haben sie offenbar auch dafür gesorgt, dass das Flugzeug des bolivianischen Präsidenten zur außerplanmäßigen Landung gezwungen wurde, weil darin Snowden vermutet wurde.

In Großbritannien scheint es zwar eine Reihe von Gremien zur Kontrolle der Geheimdienste zu geben. Diese werden aber offensichtlich allesamt durch die britische Regierung kontrolliert. Öffentlich in Erscheinung getreten sind diese Gremien im Laufe des aktuellen Geheimdienstskandal bisher nicht. Generell scheint es in der britischen Öffentlichkeit ein sehr eingeschränktes Interesse für den Skandal zu geben.

In den USA überwacht James Clapper als Koordinator der Obama-Regierung die Geheimdienste. Bei einer Anhörung vor dem US-Senat log er auf die Frage, ob die NSA irgendwelche Daten von Millionen Amerikanern sammelt. Die Falschaussage wurde durch die NSA-Affäre aufgedeckt. Der Vorsitzende Richter des mit der Kontrolle des US-Auslandsgeheimdienstes NSA betrauten Geheimgerichts hat eingeräumt, dass die Kontrollmöglichkeiten des Gremiums eingeschränkt seien und nur eine lückenhafte Überwachung der Überwacher gestatteten.

Einflussnahme auf die Presse gibt es in Deutschland nicht, um die Kontrolle der Geheimdienste ist es aber auch hierzulande eher schlecht gestellt. Dafür ist in Deutschland ein Parlamentarisches Kontrollgremium zuständig. Zehn Parlamentarier, darunter ein Polizist, zwei Politikwissenschaftler, fünf Juristen und ein Theologe, sollen neben ihren anderen Aufgaben einen technisch hochgerüsteten Apparat mit Tausenden Mitarbeitern kontrollieren. Als einziges Mitglied des Ausschusses hat der CDU-Politiker Manfred Grund als Diplomelektroingenieur einen technischen Hintergrund.

Aber in technische Details steigt der Ausschuss offenbar ohnehin nicht ein. Man muss sich die Sitzungen wohl eher so vorstellen, dass Geheimdienstkoordinator Pofalla den Mitgliedern etwas vorträgt, was die Geheimdienste ihm aufgeschrieben haben. Die Opposition kann Nachfragen stellen, mehr aber auch nicht. Geheimdienstler sollen die Sitzungen des Ausschusses daher auch schon mal als "Märchenstunde" bezeichnen. Der Ausschuss könnte grundsätzlich auch externe Experten laden, Mitglieder dürfen auch vor Ort, also bei den Geheimdiensten recherchieren. Beides passiert derzeit aber nicht. Kurzum: Jede Pommesbude wird in Deutschland sorgfältiger kontrolliert als die Geheimdienste.

opendatacity.org vergleicht die Sammlungen von Stasi und NSA.

(Bild: Screenshot )

Alles in allem scheinen die westlichen Geheimdienste zu einem supranationalen und antidemokratischen Monster zu mutieren, für das rechtsstaatliche Schranken immer weniger gelten. Vor diesem Hintergrund ist es der Skandal im Skandal, dass sich in Deutschland, dem Land, in dem mit der Gestapo und die Stasi bereits zwei übermächtige Geheimdienste ihr Unwesen getrieben haben, nicht viel mehr Widerstand rührt. Was macht eigentlich der ehemalige Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde, der jetzt das Amt des Bundespräsidenten bekleidet? (jo)