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Was war. Was wird.

Man mag ja ahnunglos sein, es hat aber schon was Eigenes, seine Ahnungslosigkeit zum Maßstab politischer Entscheidungen zu machen, seufzt Hal Faber, der auch durch einen guten Film nicht getröstet, sondern nur noch mehr schockiert wird.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Geschlagen ziehen wir nach Haus, Heia hoho! Unsere Enkel sind in Second Life, Heia haha". Auf der Jagd nach dem gläsernen Verbrecher haben deutsche Politiker (PDF-Datei) das informationelle Selbstbestimmungsrecht geschrottet, das fürderhin nur für Strafverteidiger, Seelsorger und Abgeordnete gilt, wenn sie telefonieren. Was jetzt kommt, dürfen gewisse deutsche Politiker die größte Verfassungsbeschwerde aller Zeiten nennen und sie in einem Satz mit dem GröFaZ erwähnen. Ein verräterischer Vergleich, der das Glaskinn eines Politikers zeigt, welcher fortlaufend eine allgemeine Bedrohungslage für seinen Staat im Gefahrenraum namens Demokratie spürt.

*** Trauern wir einen Moment lang dem informationellen Selbstbestimmungsrecht nach, wie es im Volkszählungsurteil formuliert ist: "Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen." Was daraus eine sozialdemokratische Ministerin macht, die nach dem öffentlichen Mutterschaftstest für den Entwurf der Vorratsdatenspeicherung verantwortlich ist, grenzt an die systematische Verdummung der Zuhörer: "Aber das Recht auf informationelle Selbstbestimmung heißt ja nur, dass Bürger darüber informiert werden müssen, wer was von ihnen speichert." Es mag ja sein, dass eine Juristin nicht wissen muss, was ein Browser ist, aber eine gewisse Kenntnis der Gesetze wär nicht schlecht. Sonst müssen bei solch radikaler Ahnungslosigkeit am Ende die von der SPD verfügten "Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst" neu formuliert werden. Zumindest wird klar, warum eine Brigitte Zypries wunderbar zwischen EU-Scharfmacher Franco Frattini und Ernst Uhrlau passt, dem Chef der Südmilch-Truppe.

*** Unter den vielen Kommentaren in der Presse, die mit dem Pro-Domo-Gejammer der ach so privilegierten Journalisten kokettieren oder davon handeln, wie die Informanten mit Blaulicht überfahren werden, hat einer die Peilung nicht ganz verloren: "Der politische Preis für die Sicherheitsfanatiker muss hochgetrieben werden." Vielleicht steht dann der 9. November nicht nur für den Mauerfall, die "Reichskristallnacht", den Hitler-Ludendorff-Putsch oder den Muff von 1000 Jahren, der nach der spießbürgerlichen Jahrtausendwende wieder geschnüffelt werden kann. Sondern für ein Datum, an dem sich der Staat mit dem fortgesetzten Mitspeichern des Lebens der Anderen (Film) kräftig verschluckte.

*** Es ist relativ schlicht, im Rahmen einer IT-Wochenschau daran zu erinnern, dass freie Menschen nicht auf die Kommunikation mit Buschtrommeln zurückgeworfen sind. Dass es Verschlüsselungstechniken gibt, dass IP-Adressen verändert, SIM-Karten getauscht werden können. Dass man sich Mail-Provider suchen kann, die nicht der Vorratsdatenspeicherung unterliegen und dass es Projekte wie Tor und Truecrypt gibt. Komplizierter wird es, wenn man fragt, wie jüngere Menschen kommunizieren, die diese Tools noch nicht aus dem EffEff beherrschen. Es gibt Warner, die den Tod der Privatsphäre in der bedenkenlosen Art und Weise sehen, wie Daten bei SchülerVZ, StudiVZ und Lokalisten geparkt werden. Wo sind die großen Riten, bei denen Eltern zur Jugendweihe dem Nachwuchs ihren Public Key überreichen? Wer jetzt mit den 99,99 Prozent kommt, die von Nix und Garnix betroffen sind, wer schippchenweise noch ne 9 drauf legen will: 99,999 Prozent ist auch nicht richtig. Die Lösung lautet 99,99992 Prozent. Dafür soll das Grundgesetz geändert werden.

*** Aber ja, es ist schon eine Crux, nicht nur mit dem Grundgesetz, auch mit diesen jungen Menschen, die ach so unbefangen kommunizieren und dabei alle guten Ratschläge für den Schutz der Privatsphäre in den Wind schlagen. Na, da haben doch unsere Jugendschützer noch ein weites Feld zu entdecken, wenn sie, wie auf den Medientagen München gefordert, mehr Kompetenten zugewiesen haben wollen. Ja, man muss die Menschen einfach zu ihrem Glück zwingen ... Aber Medientage München? Ach, was, vergesst das. Feiert nicht die Großkopferten bei dieser Selbstbeweihräucherungsveranstaltung für besserverdienende Medienmenschen, diskutiert mit Studenten auf dem Medienforum Mittweida – für das nächste Jahr sei das allen Beteiligten und Interessierten ans Herz gelegt. Es ist spannender, Mitwirkende (sowohl im Publikum wie unter den Referenten und Podiumsdiskutanten) und auch schon mal als Parasiten titulierte Beteiligte (weniger im Publikum) zu erleben, die mit wachem Interesse und Engagement erfahren  wollen, wie das denn so weitergeht mit dieser Medienwelt – selbst wenn es nicht immer so läuft, wie gedacht oder erwartet, selbst wenn die Bobos wieder unter uns sind und ihr wiedergängerisches Unwesen treiben. Ja, es ist sogar viel spannender als die Dickschiffe aus Politik-, Print- und TV-Welt und ihre hochnäsigen Kapitäne dabei zu beobachten, wie sie seit Jahren den gleichen Kollisionskurs zu steuern meinen – und es doch nicht wirklich kracht.

*** Es ist ein paar WWWW her, dass ich nach den besten Filmen gefragt habe, in denen Computer eine Rolle spielen. Platz 1 war natürlich mit meinem Lieblingsfilm gesetzt, dem diese kleine Wochenschau ihr Leben verdankt. Was wäre ein Hal Faber ohne Hal 9000? Wahrscheinlich ein Bademeister im Letzigraben, über den Zehnmeter meditierend wie Tom@taz.. Nun wird, in geschickter Überleitung zum ...

Was wird.

... der Film der Filme im Fernsehen ausgestrahlt, auf dem angestammten Kochkanal von Sarah Wiener. Auch wenn mein bevorzugter Filmkritiker die Ausstrahlung nicht erwähnt, muss ich den Sehbefehl ausrufen, genauso doof wie die üblichen Leserbefehle. Deshalb sollten die anderen Kunstwerke nicht vergessen werden, die den Computer im Film etablierten. Gleich nach der Odyssee kommt Desk Set mit Katherine Hepburn und Spencer Tracy. Der Computer war weiblich (ha, HA) und hieß Emmy. Bei der Frage, ob die Watusis auf Korfu leben, verschmauchte meine Angebetete. Oh, bin ich mal wieder chatty: Ursprunglich war Hal als weiblicher Computer "Athene" geplant. Nummer 3 ist selbstverständlich Electric Dreams. In ihm kauft ein schüchterner Junge einen Computer, läßt ihn aber fallen. Dadurch wird die Maschine superintelligent und gibt Tips, wie man die Herzen der Mädchen erobert. Don't try this at hoime with your iPhone.

Nummer 4 hieß im Original schlicht Alphaville, lief bei uns aber unter dem Titel "Lemmy Caution gegen Alpha 60" und ist bereits entsprechend gewürdigt. Bei Nummer 5 scheiden sich die Geister, zumindest bei den Lesern dieser Kolumme: Fassbinders Welt am Draht, ist das noch ein Film? Nummer 6 und 7 sind wohl aus sentimentalen Gründen besetzt: Tron und War Games haben offensichtlich zu viele Leser und auch meine kleine mehr oder weniger künstliche Intelligenz in der Jugend begleitet und manchen auch zu ersten Computerspielereien verführt.

Ach ja, und 23 darf natürlich nicht fehlen, die Mutter aller modernen Verschörungstheorien, wobei Platz 9, Sneakers, ja eigentlich viel spannender ist – und das nicht nur, weil ein Film, in dem Robert Redford, Sidney Poitier, Ben Kingsley, Dan Akroyd und River Phoenix gemeinsam spielen, sowieso nicht ganz schlecht sein kann; zusätzlich gruselt einem hier auch nicht bei der Darstellung, wie sich Hollywood so einen Hacker vorstellt – im Unterschied zu solch einem hanebüchenen Quatsch wie dem (glücklicherweise weitgehend ignorierten) "Das Netz", der doch eh nur gedreht wurde, damit Nerds wegen des Tittenwackelns von Sandra Bullock auch mal Geld für eine Kinokarte ausgeben. Aber schließlich noch Platz 10, passend zur heutigen Zeit des Überwachungs- und Präventionsstaats: THX 1138, ein Film aus einer Zeit, als Georg Lucas noch guter Dinge war und nicht solch pseudomythologisch überladenen Schmonzes wie Star Wars drehte. Eine Ergänzung sei mir persönlich noch gestattet, sozusagen ein Platz 11 außer Konkurrenz: Playtime von Jacques Tati, nicht etwa, weil darin ein Computer eine wichtige Rolle spielte, sondern weil die Absurdität der Ereignisse, die Irrealität, mit der sich Menschen einer scheinbar durchrationalisierten modernen Umgebung unterwerfen (oder an ihr scheitern), auch wie eine gelungene Metapher auf das erscheinen mag, was heute Politiker mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung so anstellen. Der Präventionsstaat des Herrn Schäuble lässt uns in einer genauso absurd unpersönlichen und sterilen Welt leben wie in Playtime – allerdings mit mehr Konsequenzen für die private Sphäre jedes Einzelnen und für die Gesellschaft, als sich der Modernitätskritiker Tati je vorstellen konnte.

Es gibt Leser, die meinen, dass ich die Werbung für Haarmanns Heimat übertreibe. Nun, man muss nicht im Messe-Mekka wohnen, es geht auch in der norddeutschen Tiefebene in Orten, die den Big Bang Day gemeistert haben oder wo das World Wide Web eine Wurstscheibe ist. Selbst im Nachbarland Nordrhein-Westfalen lässt es sich aushalten, dort wo die Bundesabhörzentrale liegt und der Adel noch etwas gilt. Dort, wo die von Westphalen, von der Leyen, von Nesselrode, von Spee, von Spiegel und von Twickel die EU-Subventionen im großen Stil einsacken.

Im lieblichen Rüttgers-Land wird Kindern statt Indern gerade ein hübsches Geschenk gemacht, ein Codex (nordrhein-westfälisch für "Comic für Demokratie und gegen Extremismus"), der Andis Freund Murat hat Stress (fette PDF-Datei) heißt. In ihm tritt jener Innenminister auf, der die Festplatte im Computer ohnehin als Teil des Internet begreift, auf das sein Verfassungsschutz jederzeit zugreifen kann. Wie wäre es mit einem Codex, in dem Andi erklärt, wie man verschlüsselt chattet und überhaupt seinen Computer vor den Eltern absichert. Echt ey, Alter, das wär echt cool der fette Hammerschlag gegen den "home grown stupidism".

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Dieser Text ist ein Stück aus einer Nachricht, die im 2. Weltkrieg mit dem Chiffriergerät Lorenz SZ42 zwischen den höchsten Wehrmachtsstellen verschlüsselt ausgetauscht wurde. Der geneigte WWWW-Leser, der bis hierhin durchgehalten hat, liest eine Original-Entschlüsselung, die von Colossus Mark II besorgt wurde. Sie ist nicht perfekt, reichte aber den Tommies von der Abhörzentrale in Bletchley Park aus, den Rest im Verbund mit eigenen Militärinformationen zu rekonstruieren. Das Ganze ist ein Hinweis auf den wunderbaren Cipher Event, der am kommenden Donnerstag und Freitag über die Bühne geht. Tausende von Funkexperten und Verschlüsselungsspezialisten treten dabei gegen den Nachbau eines Colossus Mark II an, der mit dieser Nachstellung einer historischen Schlacht eingeweiht wird. Täuschen, tricksen und tarnen war einstmals die Sache von Profis. Mit der innerstaatlichen Feinderklärung durch die Vorratsdatenspeicherung muss sich nun der gemeine Bürger mit solchen Themen befassen. Fortschritt happens. (Hal Faber) / (jk)