Superjet in der Warteschleife: Russlands Luft- und Raumfahrt kriselt

Auf der Leistungsschau MAKS bei Moskau tritt die Krise in Russlands Luft- und Raumfahrt offen zutage. Von der einstigen Aufbruchstimmung in der traditionsreichen Branche ist derzeit wenig zu spüren. Auch Kremlchef Putin bleibt lieber fern.

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Von
  • Wolfgang Jung
  • dpa

Es gilt als Ohrfeige für Russlands stolze Luft- und Raumfahrtfahrtbranche: Erstmals fehlt Kremlchef Wladimir Putin zur Eröffnung der Internationalen Fachmesse MAKS bei Moskau. "Keine Milliardenverträge – kein Präsident", so formuliert es die Zeitung Moskowski Komsomolez. Anders als in den Vorjahren würden auf der Leistungsschau auf dem Flugfeld Schukowski diesmal keine Großaufträge erwartet, bestätigt der Sprecher der Veranstalter, Boris Rybak.

Geplant sind Abkommen im Gesamtwert von 10 Milliarden US-Dollar, das wäre ein Drittel weniger als 2011. Die Pariser Luftfahrtmesse Le Bourget verzeichnete zuletzt Aufträge von 150 Milliarden US-Dollar.

Zwar donnern auf den Werbeplakaten der MAKS moderne Jagdflugzeuge über Russland, aber in Wirklichkeit liegt die Luftfahrtbranche des Riesenreichs ziemlich am Boden. Wenige Tage vor Beginn des Aerosalons versagten gleich bei fünf Jets, die präsentiert werden sollten, während einer Generalprobe die Triebwerke. "Wenn sich eine solche Panne vor den Augen von Gästen aus aller Welt wiederholt, möchte Putin nicht neben ihnen auf der Ehrentribüne sitzen", sagt Militärexperte Pawel Felgenhauer dem Radiosender Echo Moskwy.

Stolz präsentierte Putin bei der MAKS vor zwei Jahren den Tarnkappen-Kampfjet PAK FA T-50. Das hochmoderne Flugzeug gilt als Antwort auf den US-Stealth-Jäger F-22. Russlands erster neuer Überschall-Jet seit dem Zerfall der Sowjetunion ist für Moskau nicht nur militärisch wichtig. Aus Sicherheitsgründen belegt Washington seine F-22 mit Exportverbot – damit ist der Jet aus Russlands Suchoi-Werk auf dem Weltmarkt nahezu konkurrenzlos.

Doch die Serienproduktion der 20 Tonnen schweren Kampfmaschine wird immer wieder verschoben. Zwar hat Indien bereits 200 Exemplare bestellt. "Die T-50 wird nicht nur zum Rückgrat der russischen Luftwaffe, sondern auch der indischen", sagt Michail Pogossjan von der Luftfahrtholding OAK der Zeitung Kommersant. Aber wegen technischer Probleme soll die Produktion frühestens 2015 beginnen.

Nach dem Zerfall der sowjetischen Staatsbetriebe hat der Kreml große Flugzeugbauer wie Iljuschin, Antonow und Tupolew im Konsortium OAK konzentriert, um die Industrie wiederzubeleben. Doch eine wirkliche Konsolidierung der Branche mit ihren 400 Unternehmen und 225 000 Mitarbeitern fehle, meinen Experten. "Russische Firmen produzieren zu langsam, um wettbewerbsfähige Maschinen für den internationalen Markt herzustellen", sagt Publizist Alexej Sinizki.

Auch der Hoffnungsträger der zivilen russischen Luftfahrt ist Putin zunächst keinen Besuch der MAKS wert. Der Superjet 100 soll Käufer bereits mit seinem Namen beeindrucken, doch der erste in Russland entwickelte Passagierjet seit dem Zerfall der UdSSR hebt wegen technischer Probleme nicht richtig ab. Zuletzt verkaufte die russische Staatsbank VEB ihre Anteile an der Airbus-Mutter EADS, um dem finanziell angeschlagenen Superjet-Bauer Suchoi zu helfen.

Regierungschef Dmitri Medwedew, der die MAKS anstelle von Putin eröffnet, spricht seit Jahren von einer Modernisierung Russlands. "Eigentlich hat die Energiegroßmacht günstige Voraussetzungen dazu", meint der Ökonom Jewgeni Gontmacher. Doch in Wissenschaft und Bildung mangele es an Grundlagen für einen Aufbruch. Schuld sei der Staat, der die Monopolisierung ganzer Branchen toleriere, meint Experte Felgenhauer. Das wirke sich auch beim Superjet aus. "Das Know-how kommt aus dem Ausland", sagt er. "Russisch ist nur das Metall."

Hinzu kommt ein Abwandern der Fachkräfte aus Russland, zum Teil aus politischen Gründen. Auch die Arbeitsumstände spielten eine große Rolle, erzählt Ökonom Gontmacher. "Ein Militärkonzern wie Suchoi zahlt zwar gut, aber als Geheimnisträger dürfen die Angestellten zehn Jahre lang nicht ins westliche Ausland reisen", sagt der Experte. Auf junge Russen, die die Welt sehen wollten, wirke dies abstoßend. (anw)