Vor 30 Jahren: Bildschirmtext für hohe Ansprüche

Am 2. September 1983 wurde Bildschirmtext zur Eröffnung der IFA freigeschaltet. Bis Ende 1986 werde Btx mehr als 1 Million Teilnehmer haben, verkündete die Bundespost zuversichtlich. Ein Blick auf ein letztlich gescheitertes Kommunikationssystem.

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Von
  • Detlef Borchers

Heute vor 30 Jahren wurde zur Eröffnung der IFA Bildschirmtext (Btx) bundesweit freigeschaltet. Ab dem 15. September 1983 sollten alle Bundesbürger über Zugänge in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg und München den Dienst nutzen können. Ab Mitte 1985 sollte Btx bundesweit zum Ortstarif erreichbar sein. Bis Ende 1986 werde Btx mehr als 1 Million Teilnehmer haben, verkündete die Bundespost zuversichtlich. Ein Blick auf die Ökonomie eines letztlich gescheiterten Kommunikationssystems.

Am Vorabend der IFA-Öffnung hatte Bundespostminister Schwarz-Schilling den Start von Btx in einer "Fernsehdirektverbindungskonferenz" mit Rudolf Trachsler, dem Schweizer Generaldirektor der PTT angekündigt: auch die Schweiz startete ihr System namens Videotext auf Basis des neuen CEPT-Standards. Beide Herren tauschten langatmige Grußadressen über die Bedeutung des neuen Systems aus. Dann wurde man etwas technischer:

"Durch die Aufnahme aller lateinischen Buchstaben und auch anderer Schriftarten wie Kyrillisch oder Griechisch schaffen wir die Voraussetzungen für eine Kommunikation über Ländergrenzen hinweg und für die Bildung neuer Märkte. Mit der Verbesserung der Darstellung wie freie Wahl einer Farbpalette, farbiger Bildschirmhintergrund, Linien- und Schrägflächenelemente sowie frei definierbare Grafikelemente befriedigt CEPT hohe visuelle Ansprüche."

Das vor 30 Jahren gestartete Btx war nicht neu. Bereits im Jahre 1977 hatte Bundespostminister Kurt Gscheidle den Btx-Feldversuch auf Basis des britischen Viewdata-Systems gestartet. Die Briten experimentierten damals mit der Technik, Textdaten in der Austastlücke des Fernsehbildes zu versenden. Aus diesen Versuchen erwuchs das heute noch gebräuchliche Videotext. Ein Ingenieur namens Sam Fedida hatte die weiter reichende Idee, Fernseher, Telefon und eine Mainframe-Datenbank zusammenzukoppeln und damit ein System zu schaffen, bei dem bei Bedarf weitere externe Datenbanken etwa beim Online-Banking am heimischen TV-Gerät zugeschaltet werden konnten. Leider vergaß Fedida, seine für das US-amerikanische Patentamt gedachte Anmeldung in den USA ausreichend zu frankieren.

Unter der Leitung von Fedida wurde das sogenannte Viewdata-System entwickelt, das die Bundespost in ihrem Feldversuch einsetzte. Es wurde in Westberlin und in Düsseldorf/Neuss von rund 6000 Teilnehmern ausprobiert. Das allein kostete von 1977 bis 1988 rund 100 Millionen DM und war von zahlreichen Auseinandersetzungen begleitet. Vor allem die Verlegerverbände wehrten sich heftig gegen das aufkommende neue Medium und starteten parallel zu den Feldversuchen auf einer früheren Funkaustellung die deutsche Bildschirmzeitung.

Im Feldversuch bemängelten die Btx-Tester die grobe Grafik und den langsamen Bildschirmaufbau. Die Bundespost reagierte und düpierte ihren Haus- und Hoflieferanten SEL, der über ganz Deutschland verteilt 300 Rechner und 20 Btx-Zentralen für die Btx-Daten installieren wollte. Nach einer schnellen Ausschreibung im Jahre 1981 bekam überraschend IBM den Zuschlag für ein System, das mit 60 Regionalrechnern und einer Zentrale auskommen sollte. Kurz vor dem Start entschied sich die Post außerdem für den eingangs erwähnten erweiterten CEPT-Standard mit 4096 statt bisher 8 Farben und 340 statt 92 alphanumerische Zeichen, was IBM in die Verlegenheit brachte, alle Btx-Seiten zu konvertieren und obendrein dafür 30 Millionen DM als Strafe zu kassieren.

Noch schlimmer kam es für die Hersteller der TV-Geräte, die Btx-Decoder einbauen wollten. Bereits im Feldversuch kosteten die Geräte 3000 bis 2000 DM. Als die Funkausstellung 1983 geöffnet wurde, gab es Decoder für das britische System zum Preis von 300 DM, während CEPT-Decoder mit 2000 DM Aufpreis bei einem TV-Gerät zu Buche schlugen – die Vorgabe der Bundespost lag bei 500 DM. Die Post selbst wollte die Bürgerkommunikation "unschlagbar günstig" gestalten: Neben einer Anschlussgebühr von 55 DM und 8 DM Pauschale pro Monat wollte man nur 30 Pfennig pro Btx-Nachricht (heute: Mail) vom Nutzer kassieren, den Rest wollte man sich von den Anbietern holen, die vom Nutzer bis zu 9,99 DM für den Aufruf einer einzigen Btx-Seite verlangen konnten.

Die Rechnung ging nicht auf. Die gewünschte Million Teilnehmer zum Jahre 1986 wurde mit 320.000 Nutzern spektakulär verfehlt. Ein Blick auf das parallel gestartete französische Minitel-System (das inzwischen auch Geschichte ist), ist aufschlussreich. Kleine Mintel-Bildschirme, ganz ohne Fernseher, wurden kostenlos an Haushalte ausgegeben, wenn man auf papierne Telefonbücher verzichtete. 3,7 Millionen Haushalte akzeptierten bis 1987 das Angebot, eine weitere Million kaufte sich das Gerät.

Ansonsten glichen sich die Dienste weit mehr, als offiziell zugegeben. Minitel, mit "La vie en rose" und den Servicenummern 36 15 sowie 36 14, profitierte stark von der Partnersuche und von erotischen Chats, die bereits 1987 rund 26% (2,85 Millionen Stunden) des Netzaufkommens ausmachten. Auch in Deutschland war bald der Sex via "Teledialog" und "Teletreff" das Hauptgeschäft. *69 69 69# (Beate Uhse) und besonders *33 0 33# (Paradies Eden) kassierten Millionen für ihre Dialogentgelte. Eine Stunde geile Anmache kostete im Zeittakt 78 DM, dazu kam die Pseudonym-Funktion ("Namensschutz") für 4 DM im Monat. Ein "Rundbrief" an alle registrierten Teilnehmer eines Sexdienstes wie "Abdullahs Harem", "Freudenhaus" oder "Gay Station" im Stil von "Wer hat heute Lust..." kostete zwischen 15 und 20 DM, ein von der Post geschaltetes Live-Gespräch gab es für 9,99 DM, für maximal 5 Minuten. Man befriedigte hohe Ansprüche der Teilnehmer. Der Rest machte Online-Banking oder schoss im Spiel gebührenpflichtig Pesthörnchen ab.

Siehe dazu auch:

(jk)